– Festakt – Rede des Bundesvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Oliver Malchow
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
verehrte Gäste,
„Leben in Sicherheit“ lautet das Motto des 25. Ordentlichen Bundeskongresses der Gewerkschaft der Polizei (GdP), der nun zu Ende geht. Es ist ein eher schlichtes Motto – aber was verbirgt sich nicht alles dahinter! Wir alle kennen das Spannungsverhältnis zwischen dem Wunsch nach größtmöglicher Sicherheit und möglichst weitgehender individueller Freiheit.
Wollte man die vielen Debattenbeiträge über fast 250 Anträge, die Grußworte und Reden statistisch nach den Begriffen Sicherheit und Freiheit durchsuchen, dürfte die Sicherheit – um im Fußballdeutsch zu sprechen – die meisten Ballkontakte gehabt haben. Und das sicher nicht nur, weil dieser Kongress eine Veranstaltung von Frauen und Männern ist, die in der Polizei arbeiten.
Auch in den Artikeln und Leserzuschriften der Zeitungen und Magazine, den Beiträgen in Rundfunk und Fernsehen, den Diskussionen in den sogenannten Sozialen Netzwerken, den Gesprächen in Kneipen und auf der Straße, dürfte die Verwendung des Wortes Sicherheit die des Wortes Freiheit um Längen schlagen.
Ich finde das nicht ungewöhnlich. Die Sicherheit des Arbeitsplatzes, soziale Sicherheit, die Sicherheit im Alter, die Sicherheit vor Gewalt und Kriminalität, vor Krieg und Vertreibung, vor gesundheitlichen Gefahren – das sind die Themen, die die Menschen, die uns alle bewegen.
Entweder wir sorgen uns mehr um unsere Sicherheit, als um unsere Freiheit oder wir wissen, dass Freiheit Sicherheit braucht und nur Sicherheit Freiheit schützen kann – aber auch muss.
Niemand huldigt der Sicherheit des Gefängnishofes, allein schon aus der Erkenntnis, dass Gefängnisse alles andere als ein Leben in Sicherheit bieten – denen draußen vielleicht, die drinnen haben andere Erfahrungen. Das gleiche gilt für Diktaturen.
Sicherheit ist auch das, was die über 200.000 Menschen, die dem Hunger, der Willkür, der Gewalt und der Verfolgung, dem Terrorismus, dem Extremismus und den Kriegen in ihren Herkunftsländern entfliehen, bei uns suchen.
Schutz und Sicherheit. Sie haben am eigenen Leib erfahren, dass ohne Sicherheit ein selbstbestimmter Wille und ein selbstbestimmtes Handeln und damit ohne Zwang zwischen allen Möglichkeiten auswählen und entscheiden zu können, nicht möglich ist.
Schon aus diesem Grunde mag ich mich nicht der in jüngster Zeit so populär gewordenen Rhetorik anschließen, die nach den Demonstrationen gegen die israelische Außenpolitik oder den Protesten der Kurden gegen Salafisten und die Terroristen des sogenannten IS schon Glaubenskriege auf deutschen Straßen vorhersieht.
Diese Rhetorik spielt – sicher ungewollt – den politischen und religiösen Fanatikern in die Hände, die aus der heiklen Gemengelage in anderen Weltgegenden ihr eigenes Süppchen kochen wollen.
Zu diesen gehören die Rechtsextremisten. Unter dem Deckmantel, gegen Salafisten und IS-Terroristen zu demonstrieren, instrumentalisieren sie gewaltbereite, meist alkoholisierte und politisch ahnungslose Hooligans, um ihre Ausländerfeindlichkeit hoffähig zu machen.
Es ist erfreulich, aber ungewohnt, dass eine fast alle Parteien übergreifende Koalition nach den verstörenden Bildern der Krawalle in Köln die Wehrhaftigkeit unseres Rechtsstaates betont, sich ein starkes Engagement des Staats- und Verfassungsschutzes wünscht und ein konsequentes Einschreiten der Polizei mit ausreichendem Kräfteansatz fordert.
Politik und Medien reagieren auch nach den Ausschreitungen in Köln wieder nach dem gewohnten Reflex der dezidierten Polizeikritik, aber immerhin wirft man unseren eingesetzten Kolleginnen und Kollegen nicht vor, allein schon durch ihr Vorhandensein die Gewaltausbrüche provoziert zu haben.
Im Gegenteil: Ich traute meinen Ohren nicht, als über grün bis links beklagt wurde, es sei zu wenig Polizei da – und der Verfassungsschutz ahnungslos gewesen.
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, kennzeichnet nicht nur unser Dilemma, sondern ist eine Gefahr für die innere Sicherheit: Die Wankelmütigkeit der Politik.
Ich erinnere:
Mit dem Fall der Mauer, der Implosion des Kommunismus und dem damit scheinbaren Abhandenkommen eines Gegners, wurde die Auflösung des damaligen Bundesgrenzschutzes, dem Vorläufer unserer Bundespolizei, erörtert. Heute weiß sie nicht, welche Aufgabe oder Einsatzlage sie zuerst bewältigen soll.
In den letzten fünfzehn Jahren sind rund 15.000 Stellen bei der Polizei gestrichen worden, das entspricht ungefähr der Polizeistärke des Landes und der Bundeshauptstadt Berlin.
In Nordrhein-Westfalen muss sich nun die Polizei dafür rechtfertigen, warum angeblich zu wenig Beamtinnen und Beamte bei dem Neonazi-Hooligan-Aufmarsch in Köln eingesetzt worden sind. Niemand stellt aber die Frage, ob denn zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch Kräfte zur Verfügung gestanden hätten, die an jenem Sonntag nicht bei Fußballeinsätzen und anderen Wochenendevents in ihren Stiefeln gestanden hätten.
Vor zehn Jahren warnte die Gewerkschaft der Polizei: „Die Schwerpunkte der polizeilichen Arbeit variieren je nach politischem Gusto oder über den von der Politik an die Polizei weitergegeben Druck der Öffentlichkeit. Es kann nicht sein, dass die Polizei zunehmend als Notbremse für gesellschaftliche Verwerfungen instrumentalisiert wird.“
Anlass unserer Sorge war der Verfassungsschutzbericht 2004, der eine drastische Zunahme des Personenpotenzials in der Neonazi-Szene um 25 Prozent registrierte. Auch die Gründung rechter Terrorgruppen, so die GdP, gäbe Anlass zu größter Sorge.
Mein Kollege und damaliger GdP-Bundesvorsitzender Konrad Freiberg sagte damals wörtlich: „In politischen Sonntagsreden wird lautstark vor der besorgniserregenden Erstarkung rechten Gedankenguts und zunehmender Gewaltbereitschaft rechtsextremer Täter gewarnt und deren entschiedenere Bekämpfung gefordert. Gleichzeitig wird stillschweigend die Polizei personell reduziert. Ich fordere die Politik auf, dieses Missverhältnis den Bürgern und der Polizei zu erklären. Wie der notwendig hohe Fahndungsdruck der Polizei auf die potenziellen Täter unter dem Spardiktat der Haushälter aufrechterhalten werden soll, erscheint mir zweifelhaft. Die bestehenden Defizite bei der Terrorismusbekämpfung müssen dringend durch ein drittes Sicherheitspaket beseitigt werden.“
Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren:
Zu diesem Zeitpunkt mordete der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) – noch unerkannt – bereits seit vier Jahren.
Dass das Killerkommando des NSU zehn Jahre lang unerkannt blieb, hat uns alle tief erschüttert.
Die möglichen Fehlurteile und Fehlleistungen bei der Ermittlung des NSU-Komplexes aufzuarbeiten, war und ist eine wichtige Aufgabe des Rechtsstaates. Es ist aber geradezu unerträglich, wenn mögliche Versäumnisse im Bereich der Bekämpfung einer rechtsterroristischen Zelle dafür genutzt werden, die über Jahrzehnte auch erfolgreiche Arbeit von Polizei und Verfassungsschutz, bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Verhinderung islamistischer Anschläge in Deutschland, insgesamt zu beschädigen. Oder den Sicherheitsbehörden zu unterstellen, sie seien rechtslastig und würden bewusst einseitig ermitteln.
Wir reden hier über Menschen, die während der Ermittlungen nichts von Arbeitsschutz und Arbeitszeiten wissen wollten, die nicht die Einheit von Beruf und Familie interessierte, die nächtelang nicht schlafen konnten, weil sie sich auf den Weg gemacht haben, um Mörder in Deutschland dingfest zu machen. Das ist das Leben der Polizei.
Es ist nicht das Leben der Polizei, systematisch bestimmte politisch motivierte Straftaten zu verdecken oder finanziell zu unterstützen oder andere Kollegen auf den Irrweg zu bringen. Diese Kollegen sind mit den Berichten und solchen Unterstellungen das zweite Mal brüskiert und verletzt worden. Diese haben sich Mühe gegeben, um Straftäter schlimmster Art zu ermitteln. Sie haben tage-, wochen-, monatelang Überstunden geschoben, die sie in ihrem gesamten Berufsleben nicht abbauen werden und sie kriegen sie auch nicht bezahlt. Das machen sie, weil sie ein Berufsethos haben und sagen: Wir müssen da handeln. Polizisten in Mordkommissionen ist es völlig egal, ob das ein Mann, eine Frau, jemand mit Migrationshintergrund, groß, klein oder sonst was ist. Es geht um die Aufklärung von Taten.
Vor zwei Jahren forderte die Gewerkschaft der Polizei: „Es müssen alle Bereiche des politischen Extremismus und Terrorismus kontinuierlich mit einer ausreichenden Personalstärke in allen Sicherheitsbehörden beobachtet und strafrechtlich geahndet werden.“
Heute erleben wir, wie sich ungewöhnliche Koalitionen aus dem gesamten Spektrum des Extremismus zusammenrotten und unsere Gesellschaft bedrohen. Und nach wie vor hetzt die Polizei mit ihren knappen Ressourcen von einem Brandherd zum nächsten.
Niemand ist glücklich darüber, wie die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Jutta Limbach, in einem Artikel für die ZEIT im Februar 2007 anmerkte, dass sich seitdem die Verbrechensbekämpfung angesichts der neuen Dimension des Terrorismus und der damit verbundenen Gefahr für Leib und Leben tausender Menschen im Interesse eines vorbeugenden Rechtsgüterschutzes mehr und mehr in das Vorfeld verlegen muss.
Nicht die Aufklärung von Verbrechen, sondern ihre Verhinderung ist der Paradigmenwechsel in der Aufgabenstellung der Sicherheitsbehörden. „Neun Anschläge haben wir verhindert. Zweimal haben wir Glück gehabt.“ bilanzierte der BKA-Chef jüngst in einem WELT-Interview.
Allein auf das Glück sollten wir aber künftig nicht setzen: 2010 zählten wir rund 120 islamistische Gefährder. Derzeit werden 230 Personen als Gefährder eingestuft und rund 300 stehen als sogenannte relevante Personen unter Beobachtung. Sie bilden zumindest die logistische Basis und können die Vorbereitung eines Anschlags unterstützen. In zurzeit 420 Ermittlungsverfahren stehen 650 Beschuldigte mit islamistischem Hintergrund. Das gesamte islamistisch-terroristische Personenpotenzial wird auf 1.000 geschätzt. Die gesamte radikalislamische Salafistenszene wird nach den Prognosen des Verfassungsschutzes noch in diesem Jahr auf 7.000 Personen anwachsen.
Der hervorragenden Arbeit von Polizei und Nachrichtendiensten haben wir es zu verdanken, dass die Terrorismusgefahr in Deutschland von den Bürgerinnen und Bürgern als weitgehend abstrakt empfunden wird. Als nicht abstrakt empfunden wird dagegen die Angst vor dem Einbruch in die eigene Wohnung und die Furcht vor dem Verlust von Hab und Gut. Kein Wunder, wenn jedes Jahr eine Stadt von der Größenordnung Heidelbergs ausgeraubt wird. Nach Medienrecherchen existieren in Deutschland bereits Dutzende sogenannter Bürgerwehren. Sie sind ein Ausdruck dafür, dass die Bürger zumindest partiell das Vertrauen in den Rechtsstaat verloren haben.
Dieser Vertrauensverlust tritt ein, wie Prof. Di Fabio ausführte, wenn die personelle und sachliche Mittelausstattung für die Kernbereiche des öffentlichen Dienstes unzureichend wird, also Polizei und Justiz die Gefahrenabwehr, die Strafverfolgung, den Straf-und Maßregelvollzug nicht mehr in allen Bereichen sicherstellen können.
Meinen Kolleginnen und Kollegen begegnen die Defizite, die Prof. Di Fabio aufzählte, jede Stunde und jeden Tag:
Die Entstehung rechtsfreier Räume, Ordnungsverluste und Absenkung von Gewaltschwellen, der Verlust von Achtung und der Respekt vor Amtsträgern, die soziale Fragmentierung der Gesellschaft, ein kultureller Wandel, der sich in grundlegender Weise gegen normative Verhaltenssteuerung und die Beachtung elementarer, das heißt für das soziale Zusammenleben unentbehrlicher Ordnungsregeln richtet.
Diese Defizite bezahlen meine Kolleginnen und Kollegen jeden Tag damit, dass sie morgens nicht wissen, ob sie abends gesund und unversehrt wieder nach Hause kommen.
59.044 Polizeivollzugsbeamte wurden im vergangenen Jahr Opfer von Straftaten – das sind rund 162 Kolleginnen und Kollegen pro Tag.
3.393 Beamte wurden Opfer einer gefährlichen und schweren Körperverletzung – das sind rund neun Kolleginnen und Kollegen pro Tag.
Statistisch gesehen wird also alle vier Tage ein Beamter Opfer eines versuchten Totschlags – das waren 2013 insgesamt 82 Kolleginnen und Kollegen.
Nun sind meine Kolleginnen und Kollegen als Amtsträger meist deutlich erkennbar, auch können sie sich, was wir jedem Bürger und jeder Bürgerin hingegen dringend raten, angesichts gefährlicher Situationen nicht einfach aus dem Staub machen.
In einem Interview in unserer Zeitschrift brachte Bundesinnenminister Dr. de Maizière seine Empörung über das Ausmaß brutaler Gewalt gegen Polizisten zum Ausdruck.
Ähnliches erleben Rettungskräfte, Mitarbeiter von Ausländerbehörden, in Hartz-IV-Behörden oder in Ordnungsbehörden, wo Bürgerinnen und Bürger aller Nationalitäten einfach glauben, dass sie diese Menschen wie Fußabtreter benutzen können.
Das darf nicht hingenommen werden. Zu den Erosionsgefahren des Rechtsstaates zähle Prof. Di Fabio auch, wenn Dienstherren ihre Fürsorgepflicht für öffentliche Bedienstete nicht hinreichend ernst nehmen.
Es darf nicht sein, dass Mitarbeiter dieser Institutionen Übergriffe nicht melden oder anzeigen, aus Resignation darüber, „dass es doch nichts bringt.“
Ich habe in den letzten Wochen und Monaten in politischen Diskussionen, Gesprächen mit Abgeordneten und Interviews mehr zu den Themen „Unabhängige Demonstrationsbeobachter“, „Beschwerdestellen“, „Kennzeichnungspflicht für die Polizei“ Stellung nehmen müssen, als darüber reden zu können, wie die spürbaren Erosionen unsere Rechtsstaates aufgehalten, Bürgerinnen und Bürger vor Gewalt und Kriminalität bewahrt und Polizistinnen und Polizisten in ihrer täglichen Arbeit besser geschützt werden können.
Der Streit um die richtigen Überzeugungen, um die richtigen Ideen, der Meinungsstreit, findet nach den Regeln des Versammlungsgesetzes statt. Da mag es dann auch Blockaden geben. Daran teilzunehmen ist das eine, dazu aufzufordern aber, bringt die Polizei in Handlungszwänge, weil sie nämlich nicht fragen darf, ob die moralische Bewertung des eigenen Handelns okay ist oder nicht. Es ist das Wesen des Demonstrationsrechtes, dass es Minderheiten schützt, so konträr die politischen Ziele diese Minderheiten gegen die eigene innere Überzeugung stehen.
Wir sind als Gewerkschaft der Polizei vor vielen Jahrzehnten sehr bewusst in den Deutschen Gewerkschaftsbund eingetreten. Wir haben intensivste Diskussionen in unserer Mitgliedschaft geführt und uns war klar, welche Geschichte der DGB und seine Mitglieder haben. Uns war klar, dass es Regelverletzungen und -übertretungen gegeben hat, um die eigenen Rechte durchzusetzen. Wir haben trotzdem gesagt: Wir sind als Polizisten für die Einhaltung von Recht und Gesetz verantwortlich. Das ist unser Auftrag, und davon sind wir zutiefst überzeugt.
Ohne Rechtsstaat ist weder persönliche Freiheit in Sicherheit noch soziale Gerechtigkeit möglich, sagte Prof. Di Fabio und dem stimme ich unumwunden zu.
Ein Leben in Sicherheit ist kein Leben hinter Gefängnismauern, sondern ein Leben in Freiheit. Freiheit und Sicherheit sind keine Gegensätze, sie bedingen einander.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
verehrte Gäste,
„Leben in Sicherheit“ lautet das Motto des 25. Ordentlichen Bundeskongresses der Gewerkschaft der Polizei (GdP), der nun zu Ende geht. Es ist ein eher schlichtes Motto – aber was verbirgt sich nicht alles dahinter! Wir alle kennen das Spannungsverhältnis zwischen dem Wunsch nach größtmöglicher Sicherheit und möglichst weitgehender individueller Freiheit.
Wollte man die vielen Debattenbeiträge über fast 250 Anträge, die Grußworte und Reden statistisch nach den Begriffen Sicherheit und Freiheit durchsuchen, dürfte die Sicherheit – um im Fußballdeutsch zu sprechen – die meisten Ballkontakte gehabt haben. Und das sicher nicht nur, weil dieser Kongress eine Veranstaltung von Frauen und Männern ist, die in der Polizei arbeiten.
Auch in den Artikeln und Leserzuschriften der Zeitungen und Magazine, den Beiträgen in Rundfunk und Fernsehen, den Diskussionen in den sogenannten Sozialen Netzwerken, den Gesprächen in Kneipen und auf der Straße, dürfte die Verwendung des Wortes Sicherheit die des Wortes Freiheit um Längen schlagen.
Ich finde das nicht ungewöhnlich. Die Sicherheit des Arbeitsplatzes, soziale Sicherheit, die Sicherheit im Alter, die Sicherheit vor Gewalt und Kriminalität, vor Krieg und Vertreibung, vor gesundheitlichen Gefahren – das sind die Themen, die die Menschen, die uns alle bewegen.
Entweder wir sorgen uns mehr um unsere Sicherheit, als um unsere Freiheit oder wir wissen, dass Freiheit Sicherheit braucht und nur Sicherheit Freiheit schützen kann – aber auch muss.
Niemand huldigt der Sicherheit des Gefängnishofes, allein schon aus der Erkenntnis, dass Gefängnisse alles andere als ein Leben in Sicherheit bieten – denen draußen vielleicht, die drinnen haben andere Erfahrungen. Das gleiche gilt für Diktaturen.
Sicherheit ist auch das, was die über 200.000 Menschen, die dem Hunger, der Willkür, der Gewalt und der Verfolgung, dem Terrorismus, dem Extremismus und den Kriegen in ihren Herkunftsländern entfliehen, bei uns suchen.
Schutz und Sicherheit. Sie haben am eigenen Leib erfahren, dass ohne Sicherheit ein selbstbestimmter Wille und ein selbstbestimmtes Handeln und damit ohne Zwang zwischen allen Möglichkeiten auswählen und entscheiden zu können, nicht möglich ist.
Schon aus diesem Grunde mag ich mich nicht der in jüngster Zeit so populär gewordenen Rhetorik anschließen, die nach den Demonstrationen gegen die israelische Außenpolitik oder den Protesten der Kurden gegen Salafisten und die Terroristen des sogenannten IS schon Glaubenskriege auf deutschen Straßen vorhersieht.
Diese Rhetorik spielt – sicher ungewollt – den politischen und religiösen Fanatikern in die Hände, die aus der heiklen Gemengelage in anderen Weltgegenden ihr eigenes Süppchen kochen wollen.
Zu diesen gehören die Rechtsextremisten. Unter dem Deckmantel, gegen Salafisten und IS-Terroristen zu demonstrieren, instrumentalisieren sie gewaltbereite, meist alkoholisierte und politisch ahnungslose Hooligans, um ihre Ausländerfeindlichkeit hoffähig zu machen.
Es ist erfreulich, aber ungewohnt, dass eine fast alle Parteien übergreifende Koalition nach den verstörenden Bildern der Krawalle in Köln die Wehrhaftigkeit unseres Rechtsstaates betont, sich ein starkes Engagement des Staats- und Verfassungsschutzes wünscht und ein konsequentes Einschreiten der Polizei mit ausreichendem Kräfteansatz fordert.
Politik und Medien reagieren auch nach den Ausschreitungen in Köln wieder nach dem gewohnten Reflex der dezidierten Polizeikritik, aber immerhin wirft man unseren eingesetzten Kolleginnen und Kollegen nicht vor, allein schon durch ihr Vorhandensein die Gewaltausbrüche provoziert zu haben.
Im Gegenteil: Ich traute meinen Ohren nicht, als über grün bis links beklagt wurde, es sei zu wenig Polizei da – und der Verfassungsschutz ahnungslos gewesen.
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, kennzeichnet nicht nur unser Dilemma, sondern ist eine Gefahr für die innere Sicherheit: Die Wankelmütigkeit der Politik.
Ich erinnere:
Mit dem Fall der Mauer, der Implosion des Kommunismus und dem damit scheinbaren Abhandenkommen eines Gegners, wurde die Auflösung des damaligen Bundesgrenzschutzes, dem Vorläufer unserer Bundespolizei, erörtert. Heute weiß sie nicht, welche Aufgabe oder Einsatzlage sie zuerst bewältigen soll.
In den letzten fünfzehn Jahren sind rund 15.000 Stellen bei der Polizei gestrichen worden, das entspricht ungefähr der Polizeistärke des Landes und der Bundeshauptstadt Berlin.
In Nordrhein-Westfalen muss sich nun die Polizei dafür rechtfertigen, warum angeblich zu wenig Beamtinnen und Beamte bei dem Neonazi-Hooligan-Aufmarsch in Köln eingesetzt worden sind. Niemand stellt aber die Frage, ob denn zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch Kräfte zur Verfügung gestanden hätten, die an jenem Sonntag nicht bei Fußballeinsätzen und anderen Wochenendevents in ihren Stiefeln gestanden hätten.
Vor zehn Jahren warnte die Gewerkschaft der Polizei: „Die Schwerpunkte der polizeilichen Arbeit variieren je nach politischem Gusto oder über den von der Politik an die Polizei weitergegeben Druck der Öffentlichkeit. Es kann nicht sein, dass die Polizei zunehmend als Notbremse für gesellschaftliche Verwerfungen instrumentalisiert wird.“
Anlass unserer Sorge war der Verfassungsschutzbericht 2004, der eine drastische Zunahme des Personenpotenzials in der Neonazi-Szene um 25 Prozent registrierte. Auch die Gründung rechter Terrorgruppen, so die GdP, gäbe Anlass zu größter Sorge.
Mein Kollege und damaliger GdP-Bundesvorsitzender Konrad Freiberg sagte damals wörtlich: „In politischen Sonntagsreden wird lautstark vor der besorgniserregenden Erstarkung rechten Gedankenguts und zunehmender Gewaltbereitschaft rechtsextremer Täter gewarnt und deren entschiedenere Bekämpfung gefordert. Gleichzeitig wird stillschweigend die Polizei personell reduziert. Ich fordere die Politik auf, dieses Missverhältnis den Bürgern und der Polizei zu erklären. Wie der notwendig hohe Fahndungsdruck der Polizei auf die potenziellen Täter unter dem Spardiktat der Haushälter aufrechterhalten werden soll, erscheint mir zweifelhaft. Die bestehenden Defizite bei der Terrorismusbekämpfung müssen dringend durch ein drittes Sicherheitspaket beseitigt werden.“
Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren:
Zu diesem Zeitpunkt mordete der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) – noch unerkannt – bereits seit vier Jahren.
Dass das Killerkommando des NSU zehn Jahre lang unerkannt blieb, hat uns alle tief erschüttert.
Die möglichen Fehlurteile und Fehlleistungen bei der Ermittlung des NSU-Komplexes aufzuarbeiten, war und ist eine wichtige Aufgabe des Rechtsstaates. Es ist aber geradezu unerträglich, wenn mögliche Versäumnisse im Bereich der Bekämpfung einer rechtsterroristischen Zelle dafür genutzt werden, die über Jahrzehnte auch erfolgreiche Arbeit von Polizei und Verfassungsschutz, bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Verhinderung islamistischer Anschläge in Deutschland, insgesamt zu beschädigen. Oder den Sicherheitsbehörden zu unterstellen, sie seien rechtslastig und würden bewusst einseitig ermitteln.
Wir reden hier über Menschen, die während der Ermittlungen nichts von Arbeitsschutz und Arbeitszeiten wissen wollten, die nicht die Einheit von Beruf und Familie interessierte, die nächtelang nicht schlafen konnten, weil sie sich auf den Weg gemacht haben, um Mörder in Deutschland dingfest zu machen. Das ist das Leben der Polizei.
Es ist nicht das Leben der Polizei, systematisch bestimmte politisch motivierte Straftaten zu verdecken oder finanziell zu unterstützen oder andere Kollegen auf den Irrweg zu bringen. Diese Kollegen sind mit den Berichten und solchen Unterstellungen das zweite Mal brüskiert und verletzt worden. Diese haben sich Mühe gegeben, um Straftäter schlimmster Art zu ermitteln. Sie haben tage-, wochen-, monatelang Überstunden geschoben, die sie in ihrem gesamten Berufsleben nicht abbauen werden und sie kriegen sie auch nicht bezahlt. Das machen sie, weil sie ein Berufsethos haben und sagen: Wir müssen da handeln. Polizisten in Mordkommissionen ist es völlig egal, ob das ein Mann, eine Frau, jemand mit Migrationshintergrund, groß, klein oder sonst was ist. Es geht um die Aufklärung von Taten.
Vor zwei Jahren forderte die Gewerkschaft der Polizei: „Es müssen alle Bereiche des politischen Extremismus und Terrorismus kontinuierlich mit einer ausreichenden Personalstärke in allen Sicherheitsbehörden beobachtet und strafrechtlich geahndet werden.“
Heute erleben wir, wie sich ungewöhnliche Koalitionen aus dem gesamten Spektrum des Extremismus zusammenrotten und unsere Gesellschaft bedrohen. Und nach wie vor hetzt die Polizei mit ihren knappen Ressourcen von einem Brandherd zum nächsten.
Niemand ist glücklich darüber, wie die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Jutta Limbach, in einem Artikel für die ZEIT im Februar 2007 anmerkte, dass sich seitdem die Verbrechensbekämpfung angesichts der neuen Dimension des Terrorismus und der damit verbundenen Gefahr für Leib und Leben tausender Menschen im Interesse eines vorbeugenden Rechtsgüterschutzes mehr und mehr in das Vorfeld verlegen muss.
Nicht die Aufklärung von Verbrechen, sondern ihre Verhinderung ist der Paradigmenwechsel in der Aufgabenstellung der Sicherheitsbehörden. „Neun Anschläge haben wir verhindert. Zweimal haben wir Glück gehabt.“ bilanzierte der BKA-Chef jüngst in einem WELT-Interview.
Allein auf das Glück sollten wir aber künftig nicht setzen: 2010 zählten wir rund 120 islamistische Gefährder. Derzeit werden 230 Personen als Gefährder eingestuft und rund 300 stehen als sogenannte relevante Personen unter Beobachtung. Sie bilden zumindest die logistische Basis und können die Vorbereitung eines Anschlags unterstützen. In zurzeit 420 Ermittlungsverfahren stehen 650 Beschuldigte mit islamistischem Hintergrund. Das gesamte islamistisch-terroristische Personenpotenzial wird auf 1.000 geschätzt. Die gesamte radikalislamische Salafistenszene wird nach den Prognosen des Verfassungsschutzes noch in diesem Jahr auf 7.000 Personen anwachsen.
Der hervorragenden Arbeit von Polizei und Nachrichtendiensten haben wir es zu verdanken, dass die Terrorismusgefahr in Deutschland von den Bürgerinnen und Bürgern als weitgehend abstrakt empfunden wird. Als nicht abstrakt empfunden wird dagegen die Angst vor dem Einbruch in die eigene Wohnung und die Furcht vor dem Verlust von Hab und Gut. Kein Wunder, wenn jedes Jahr eine Stadt von der Größenordnung Heidelbergs ausgeraubt wird. Nach Medienrecherchen existieren in Deutschland bereits Dutzende sogenannter Bürgerwehren. Sie sind ein Ausdruck dafür, dass die Bürger zumindest partiell das Vertrauen in den Rechtsstaat verloren haben.
Dieser Vertrauensverlust tritt ein, wie Prof. Di Fabio ausführte, wenn die personelle und sachliche Mittelausstattung für die Kernbereiche des öffentlichen Dienstes unzureichend wird, also Polizei und Justiz die Gefahrenabwehr, die Strafverfolgung, den Straf-und Maßregelvollzug nicht mehr in allen Bereichen sicherstellen können.
Meinen Kolleginnen und Kollegen begegnen die Defizite, die Prof. Di Fabio aufzählte, jede Stunde und jeden Tag:
Die Entstehung rechtsfreier Räume, Ordnungsverluste und Absenkung von Gewaltschwellen, der Verlust von Achtung und der Respekt vor Amtsträgern, die soziale Fragmentierung der Gesellschaft, ein kultureller Wandel, der sich in grundlegender Weise gegen normative Verhaltenssteuerung und die Beachtung elementarer, das heißt für das soziale Zusammenleben unentbehrlicher Ordnungsregeln richtet.
Diese Defizite bezahlen meine Kolleginnen und Kollegen jeden Tag damit, dass sie morgens nicht wissen, ob sie abends gesund und unversehrt wieder nach Hause kommen.
59.044 Polizeivollzugsbeamte wurden im vergangenen Jahr Opfer von Straftaten – das sind rund 162 Kolleginnen und Kollegen pro Tag.
3.393 Beamte wurden Opfer einer gefährlichen und schweren Körperverletzung – das sind rund neun Kolleginnen und Kollegen pro Tag.
Statistisch gesehen wird also alle vier Tage ein Beamter Opfer eines versuchten Totschlags – das waren 2013 insgesamt 82 Kolleginnen und Kollegen.
Nun sind meine Kolleginnen und Kollegen als Amtsträger meist deutlich erkennbar, auch können sie sich, was wir jedem Bürger und jeder Bürgerin hingegen dringend raten, angesichts gefährlicher Situationen nicht einfach aus dem Staub machen.
In einem Interview in unserer Zeitschrift brachte Bundesinnenminister Dr. de Maizière seine Empörung über das Ausmaß brutaler Gewalt gegen Polizisten zum Ausdruck.
Ähnliches erleben Rettungskräfte, Mitarbeiter von Ausländerbehörden, in Hartz-IV-Behörden oder in Ordnungsbehörden, wo Bürgerinnen und Bürger aller Nationalitäten einfach glauben, dass sie diese Menschen wie Fußabtreter benutzen können.
Das darf nicht hingenommen werden. Zu den Erosionsgefahren des Rechtsstaates zähle Prof. Di Fabio auch, wenn Dienstherren ihre Fürsorgepflicht für öffentliche Bedienstete nicht hinreichend ernst nehmen.
Es darf nicht sein, dass Mitarbeiter dieser Institutionen Übergriffe nicht melden oder anzeigen, aus Resignation darüber, „dass es doch nichts bringt.“
Ich habe in den letzten Wochen und Monaten in politischen Diskussionen, Gesprächen mit Abgeordneten und Interviews mehr zu den Themen „Unabhängige Demonstrationsbeobachter“, „Beschwerdestellen“, „Kennzeichnungspflicht für die Polizei“ Stellung nehmen müssen, als darüber reden zu können, wie die spürbaren Erosionen unsere Rechtsstaates aufgehalten, Bürgerinnen und Bürger vor Gewalt und Kriminalität bewahrt und Polizistinnen und Polizisten in ihrer täglichen Arbeit besser geschützt werden können.
Der Streit um die richtigen Überzeugungen, um die richtigen Ideen, der Meinungsstreit, findet nach den Regeln des Versammlungsgesetzes statt. Da mag es dann auch Blockaden geben. Daran teilzunehmen ist das eine, dazu aufzufordern aber, bringt die Polizei in Handlungszwänge, weil sie nämlich nicht fragen darf, ob die moralische Bewertung des eigenen Handelns okay ist oder nicht. Es ist das Wesen des Demonstrationsrechtes, dass es Minderheiten schützt, so konträr die politischen Ziele diese Minderheiten gegen die eigene innere Überzeugung stehen.
Wir sind als Gewerkschaft der Polizei vor vielen Jahrzehnten sehr bewusst in den Deutschen Gewerkschaftsbund eingetreten. Wir haben intensivste Diskussionen in unserer Mitgliedschaft geführt und uns war klar, welche Geschichte der DGB und seine Mitglieder haben. Uns war klar, dass es Regelverletzungen und -übertretungen gegeben hat, um die eigenen Rechte durchzusetzen. Wir haben trotzdem gesagt: Wir sind als Polizisten für die Einhaltung von Recht und Gesetz verantwortlich. Das ist unser Auftrag, und davon sind wir zutiefst überzeugt.
Ohne Rechtsstaat ist weder persönliche Freiheit in Sicherheit noch soziale Gerechtigkeit möglich, sagte Prof. Di Fabio und dem stimme ich unumwunden zu.
Ein Leben in Sicherheit ist kein Leben hinter Gefängnismauern, sondern ein Leben in Freiheit. Freiheit und Sicherheit sind keine Gegensätze, sie bedingen einander.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
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