Öffentlicher Dienst: Immer älter, immer weniger.
Der Staat ist längst kein Musterarbeitgeber mehr. Personalabbau, Überalterung der Belegschaften und zahlreiche Reorganisationsprozesse führen zu hohem Druck auf Beschäftigte. Folge: Der öffentliche Dienst zählt zu den Branchen mit den höchsten Krankenständen.
Wegen Krankheit fehlte der durchschnittliche AOK-Versicherte 2011 an 11 Tagen im Betrieb. Beschäftigte der Bundesverwaltung kommen dagegen auf 19 Krankheitstage. Um Erklärungen dafür zu finden, haben Sebastian Brandl, Professor für Arbeitssoziologie in Schwerin, und der Politologe Bernhard Stelzl die neusten Studien zur Arbeit im öffentlichen Dienst ausgewertet. Ihre Gesamtschau zeigt: Von geruhsamen Tagen in der Amtsstube kann bei den meisten Staatsbediensteten keine Rede sein.
Personalabbau. Seit Anfang der 1990er-Jahre ist im zivilen öffentlichen Dienst mehr als jede zehnte Stelle weggefallen. Berechnungen des Finanzexperten Dieter Vesper ergeben, dass im staatlichen Sektor heute knapp 100.000 Stellen fehlen. Berücksichtigt man, dass rund ein Drittel der öffentlich Bediensteten in Teilzeit arbeitet, dürfte der zusätzliche Personalbedarf noch höher ausfallen. Auch wenn sich die Bedingungen in den verschiedenen Verwaltungen, in Schulen, Feuerwachen oder Krankenhäusern nicht ohne weiteres vergleichen lassen, konstatieren Brandl und Stelzl: “Der Rückgang der Beschäftigtenzahlen legt einen Anstieg der Belastungen nahe.”
Junge fehlen. Personal baut der Staat vor allem dadurch ab, dass er auf Neueinstellungen verzichtet. Entsprechend stieg das Durchschnittsalter im öffentlichen Dienst über den Wert der übrigen Erwerbsbevölkerung. 2010 lag es mit gut 45 um drei Jahre höher. Einer Prognose zufolge dürften 2020 bereits 42 Prozent aller Beschäftigten der Bundesverwaltung über 50 sein. Diese Entwicklung halten die Autoren aus zwei Gründen für problematisch: Erstens schlagen berufliche Belastungen bei älteren Beschäftigten häufiger auf die Gesundheit durch. Zweitens könnte der Staat Nachwuchsprobleme bekommen, wenn die nächsten Pensionierungswellen anrollen.
Neue Arbeitsformen. Billiger und bürgerfreundlicher sollte der öffentliche Dienst durch zahlreiche Umbauten in den vergangenen beiden Jahrzehnten werden. Für die Beschäftigten bedeutete das häufig “erhebliche Mehranstrengungen und Verunsicherungen”. Mit der Verwaltungsmodernisierung ging vielfach eine “erzwungene Subjektivierung der Arbeit” einher, wie Soziologen beobachtet haben. Was zunächst gut klingt – größere Entscheidungsspielräume, weniger Detailvorschriften -, erweist sich im Alltag vieler Beschäftigter als erhebliche Erschwernis: Sie fühlen sich mit komplexen Entscheidungen und Problemen alleingelassen. Auch neue Ansätze zu leistungsorientierter Bezahlung scheinen nach Befragungen von Arbeitnehmern, Personalräten und Arbeitgebern nicht die erwünschten Erfolge zu bringen. Statt die Motivation zu erhöhen werden solche Instrumente häufig als Ausdruck eines Misstrauens des Arbeitgebers gegenüber der eigenen Leistungsbereitschaft wahrgenommen.
Psychische Belastungen. Die regelmäßigen Beschäftigtenbefragungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin weisen aus, dass einige Arten von Arbeitsanforderungen und entsprechende psychische Belastungen im Staatsdienst ausgeprägter sind als in der übrigen Wirtschaft, etwa: ohne hinreichende Schulung neue Aufgaben übernehmen, Verfahren verbessern und vieles gleichzeitig machen. Die Folge sind überdurchschnittlich häufige Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Nervosität und Reizbarkeit. Da ältere Beschäftigte von solchen Symptomen öfter betroffen sind als jüngere, dürfte dies ein Faktor zur Erklärung der hohen Krankenstände in vielen öffentlichen Einrichtungen sein. Eine individuelle Strategie zur Bewältigung überfordernder Jobs ohne dauernde Krankheit kann Teilzeitarbeit sein. Zumindest für den Pflegebereich liegen Studien vor, die dies nahelegen: Die Arbeitszeit wird nicht nur aus familiären Gründen verkürzt, sondern auch um den Job überhaupt aushalten zu können.
Zwar existieren beim früheren Musterarbeitgeber öffentlicher Dienst durchaus Programme zur betrieblichen Gesundheitsförderung, so Brandl und Stelzl. Allerdings handele es sich dabei regelmäßig um Parallelsysteme, “die nicht mit den Prozessen, der betrieblichen Arbeits- und Leistungsregulierung verknüpft sind”. “Verhaltensorientierte Maßnahmen” gingen oft am “verhältnisorientierten Handlungsbedarf” vorbei. Sprich: Sie setzen auf Ausgleichs- und Bewältigungsstrategien und nicht darauf, die Arbeit von Anfang so zu gestalten, das sie nicht krank macht. Dazu wäre allerdings vielerorts mehr Personal nötig.
(Quelle: www.boeckler.de)