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Migration und Polizeiarbeit - Parlamentarischer Abend der Gewerkschaft der Polizei

"Du bist hier ein Deutscher"

Berlin.

Ende Mai lud die Gewerkschaft der Polizei zu einem parlamentarischen Abend in die Berliner Landesvertretung Baden-Württembergs. Abgeordnete, Wisenschaftler, Journalisten und Vertreter der GdP diskutierten engagiert über die Wirkungen und Herausforderungen einer sich ethnisch und kulturell verändernden Zusammensetzung der Gesellschaft auf den Polizeiberuf. Der Islamwissenschaftler Dr. Marwan Abou Taam vom Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz machte mit seinem Impulsreferat den Auftakt zu einem spannenden Gesprächsabend. Unter den Gästen auch der Chefredakteur des "Behörden Spiegel", R. Uwe Proll. Bitte lesen Sie seinen Bericht nach Klick auf...

"Du bist hier ein Deutscher"
Auf einem Parlamentarischen Abend der Gewerkschaft der Polizei (GdP) sagte der Islam-Wissenschaftler Dr. Abou Taam, Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz, dass aufgrund der sich verändernder ethnischen Zusammensetzung der Bevölkerung die bisherige Qualifikation der Polizeibeamten bei weitem nicht mehr ausreiche. Bis heute sei ihre soziale Kompetenz der Schlüssel zur Erledigung ihrer Aufgaben gewesen. Dazu gehöre aber der einheitliche kulturelle Hintergrund.

Da schätzungsweise zwischen 3,7 und 4,5 Millionen Menschen in Deutschland mittlerweile muslimischen Glaubens seien, stelle dies für die Polizei Herausforderungen dar. Es werde ohne weitere Ausbildung und eine veränderte Struktur von den Polizeibeamten verlangt, dass sie Ethnologen und Diplomaten seien sowie über einen ausreichenden aktuellen internationalen politischen Sachverstand verfügten. Das sei jedoch weder mit der derzeitigen Ausbildung noch durch Weiterbildung zu erreichen.

Ethnologische Kenntnisse seien dringend erforderlich, weil mehr als 100 islamische Glaubensrichtungen in Deutschland existierten, die sich in ihren Herkunftsländern durchaus bekämpfen würden. Diplomatische Kenntnisse seien erforderlich, weil zum Beispiel die türkische Religionsbehörde in Deutschland Teil des türkischen Staates sei.

Dr. Claus-Peter Clostermeyer begrüßt die GdP und ihre Gäste in der Landesvertretung Baden-Württembergs.
GdP-Chef Bernhard Witthaut mit eröffnenden Worten.

Daher habe eine Zusammenarbeit mit ihr auch immer diplomatischen Charakter. Politische Kenntnisse über das Weltgeschehen seien notwendig, da sich die Auseinandersetzung in manchen Herkunftsländern zwischen Religionsgruppen dramatisch zuspitzen würde, die dann in Deutschland weiter ausgetragen würden. Taam wies mit einem Zahlenbeispiel darauf hin, wie dramatisch sich die Entwicklung in Zukunft für die deutsche Gesellschaft zeigen werde.

Oliver Malchow, Hugo Müller und Andreas Schuster (alle GdP-GBV) im Gespräch mit Dr. Harald Olschok, Geschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Wach- und Sicherheitzsunternehmen.
Hartfrid Wolff (FDP), Michael Hartmann (SPD) und Gisela Piltz (FDP) diskutieren mit GdP-GBV Jörg Radek (r.)

So seien in den Ländern Nordrhein-Westfalen, Berlin, Baden-Württemberg und Hessen heute bereits mehr als 30 Prozent der unter 10-jährigen muslimischen Glaubens. Im Regelfalle handelt es sich dabei um deutsche Staatsbürger. Rund die Hälfte der insgesamt im Lande lebenden mit Migrationshintergrund seien bereits Deutsche. Dies müsse als Reservoir begriffen werden, so Taam. Nicht nur um die Sprachfähigkeit mit Migrantengruppen, sondern auch um die deutsche Polizei handlungsfähig zu erhalten, sei eine Teilhabe von Bürgern mit Migrationshintergrund innerhalb der Polizei sinnvoll und notwendig. Es ergäben sich hierdurch auch Potentiale.

Zwar seien häufig Menschen mit Migrationshintergrund "Potentielle Kunden" der Polizei, doch könnten sie in Zukunft auch Kollegen, wenn nicht sogar Chefs werden. Taam plädierte dafür, Vorbilder im Polizeidienst zu fördern. Zwar hätten die Beamten und Beamtinnen einem doppelten Druck stand zu halten, sowohl in ihrer ethnischen Gemeinde wie auch gegenüber deutschen Bürgern, dennoch müsste gerade ihre Chancen eine Polizeikarriere verbessert werden.

Die GdP-Gäste verfolgen den Impulsvortrag von ...
... Dr. Marwan Abou Taam, LKA Rheinland-Pfalz.
GdP-Chef Bernhard Witthaut (r.) im Gespräch mit Christian Endreß (Uni Witten-Herdecke) und Dr. Carolin Eitner (Uni Dortmund).

Eine Umfrage unter jungen Polizeibeamtinnen und -beamten ergab, dass jene mit Migrationshintergrund sich auf keinen Fall ausschließlich in die Rolle des "Übersetzers" zwischen Polizei und Migrantengruppen eingeengt sehen wollen. Ihre persönliche Lebensplanung sehe häufig anders aus, zum Beispiel eine Spezialisierung im Polizeiberuf einzuschlagen. Zudem: Sie wollten ein "echter Polizist" sein, nicht als Beamte wegen ihres Migrationshintergrundes ständig im Migrationsumfeld eingesetzt werden.

Der Islamwissenschaftler Taam, der für das Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz arbeitet, nannte auch die so genannte "Selbst-Ethnisierung" als großes Problem. In zahlreichen Ausländergruppen werde weniger auf Integration als vielmehr auf Segregation gesetzt, was den Zusammenhalt der Gesellschaft insgesamt in Frage stelle. Die Polizei sei daher immer mehr mit Sozialarbeit beschäftigt. Arbeit mit Migranten sei häufig frustrierend. Ein Beispiel: Mehrere Mitglieder einer Familie werden des Drogenhandels verdächtigt. Die Familie beschließt, dass der jüngste Sohn als "Opfer" der Polizei ausgeliefert werde. Diese wisse aber, dass es andere Personen gewesen sein müssen, die den Drogenhandel organisiert haben. Dies führe bei den Polizisten auch deswegen zur Frustration, weil sie nicht die Person, die als Täter in Frage käme, zur Rechenschaft ziehen könnten.

Prägnate Fakten auf den Folien des Impulsreferates des ...
Islamwissenschaftler Dr. Marwan Abou Taam.

Bei manchen Familien stoße das Verhalten ihrer Kinder oder Jugendlichen auf Missverständnis. Diese seien aber in Deutschland geboren und wollten sich gerne wie Deutsche verhalten. Der Vorwurf innerhalb der türkischen oder arabischen Familien hieße dann: "Du bist wie ein Deutscher". In deutschen Familien hingegen würde "Fehlverhalten" damit gebrandmarkt: "Du verhältst Dich wie ein Türke".

Volker Norbisrath (Arbeitskreis "Innen" im SPD-Parteivostand) mit Jörg radel, stellv. GdP-Bundesvorsitzender
Behörden Spiegel-Chefredakteur R. Uwe Proll hakt bei Michael Hartmann (MdB) nach.
Dr. Abou Taam hatte zahlreiche Fragen zu beantworten; hier von Dietrich Läpke (Deutsche Hochschule der Polizei)

Der Bundesvorsitzende der GdP, Bernhard Witthaut betonte auch mit Blick auf den neuen Koalitionsvertrag in Baden-Württemberg, dass die Rolle der Polizei von der Politik zunehmend wieder als Ordnungsaufgabe begriffen werde. Sozialarbeit, wie zum Beispiel in Berlin, sei kein Modell für die Zukunft. Harte Polizeiarbeit vor Ort sei erforderlich, Sozialarbeit eine nicht-polizeiliche Profession.

Von R. Uwe Proll, Chefredakteur Behörden Spiegel

Wolfgang Wieland (MdB, Die Grünen) und R. Uwe Proll offenbar auf einer Wellenlänge.
GdP-Bundeskassierer Andreas Schuster (r.) diskutiert mit Günter Baumann (MdB, CDU) und Frank Tempel (M.) aus Bundestagsfraktion DIE LINKE.

Fotos: Michael Zielasko
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