Bildungsreise 2014
„…und immer noch haben wir Fragen“ – Der längste bisher verfasste Bericht über eine GdP-Bildungsreise nach Israel von Edgar Albrecht
Sonntag, 19. Oktober 2014 (Tel Aviv)Vor dem Gate A 13 des Flughafens Berlin-Tegel “Otto Lilienthal” treffen sich um 13.20 Uhr der größte Teil der 38 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zum Flug ins Heilige Land. Mit “Austrian Airlines” fliegen wir zunächst einmal nach Wien. Von dort aus geht es per Direktflug nach Tel Aviv. Die lange vorbereitete Reise wird vom stellvertretenden Bezirksvorsitzenden Sven Hüber aus Berlin geleitet, der uns mit einheitlichen, aufwendig bestickten, Base-Caps und GdP-Schlüsselbändern mit Namensschildern, ausstattet.
Ein kleinerer Teil der Gruppe fliegt von Westdeutschland aus, über Istanbul, nach Tel Aviv, ein Teilnehmer hat Passprobleme und reist erst einen Tag später an. Sechs Teilnehmer haben wegen des 50-tägigen Gaza-Krieges (Juli – August) ihre Reise storniert. Es ist schade, was sie alles verpassen. Martin und Falko fahren bereits das zweite Mal mit ins Heilige Land.
Auch meine Frau hatte Bedenken, einer unserer Bekannter hatte den Kommentar geäußert, dass man ja “bekloppt sein müsse, jetzt nach Israel zu fliegen”. Die Aussicht, dass man selbst im Kibbuz über Luftschutzräume verfüge, hatte sie weniger beruhigt (Wer will schon seinen Urlaub dort verbringen?) als die Tatsache, dass “nur Polizisten” teilnähmen und die GdP-Reiseleitung über lange Erfahrungen verfüge. Wenn die Reise stattfinde, könnten wir auch fahren, so meine Meinung. Wirkliche Sorgen machte ich mir nicht, zumal in den Nachrichten auch momentan nichts Bedrohliches zu hören war.
Mehr Probleme machten die Verkehrsverhältnisse in Deutschland: die GDL hatte den größten Streik seit Jahren vom Zaun gebrochen und prompt fiel unsere “Rail & Fly” – Bahnreise nach Berlin diesem Tarif- und Machtkampf zum Opfer. Schließlich fuhren wir per Pkw nach Berlin, von uns aus 641 Kilometer.
So sitzen wir froh im Airbus A 320 der Austrian Airlines (Flugkapitän Weniger), der in Tegel um 15.25 Uhr zur Startbahn rollt. Wir haben schon mit den ersten Teilnehmern unserer Reisegruppe Bekanntschaft gemacht. Nach dem Abheben können wir das Olympiastadion, den Tiergarten mit dem Brandenburger Tor, Fernsehturm am Alexanderplatz und den nun stillgelegten Flugplatz Tempelhof aus der Luft gut erkennen, als wir in einer Schleife in südöstlicher Richtung fliegen. Auch die markanten Stadtteile von Marzahn und Hellersdorf lassen sich im Sonnenglast dieses schönen Sonntags gut erkennen. Nach einem ruhigen Flug und guter Sicht landen wir um 16.30 Uhr in Wien – Schwechat. Beim Landeanflug sehen wir von Wien keine markanten Punkte dieser schönen Stadt. Im Transitbereich müssen wir nun drei Stunden überbrücken, ehe es per Anschlussflug weitergeht. Es gibt noch Verzögerungen aber um 20.25 Uhr sitzen wir im Airbus A 321 von “Austrian Airlines”. An Bord empfängt man uns mit Klängen “An der schönen blauen Donau”. Der Flug ist ausgebucht. Flugkapitän Thomas Hummel hebt 21.04 Uhr endlich mit uns ab.
Dreißig Minuten vor der Landung auf dem “Ben – Gurion – Flughafen” in Tel Aviv, müssen wir auf Weisung der israelischen Behörden angeschnallt bleiben, wie uns der Kapitän per Durchsage erklärt. Aus dem Fenster erkennen wir das Lichtermeer der Großstadt Tel Aviv, die gut 400.000 Einwohner zählt und mit dem benachbarten Jaffa zusammengewachsen ist. Wir landen genau um Mitternacht.
Israel hat eine Fläche von 22.380 qkm, ist damit etwas größer als unser Bundesland Hessen sowie 6.831 qkm besetzter Gebiete, die aber zum Teil bereits unter Autonomie stehen. Der derzeitige Präsident heißt Reuven Rivlin, Regierungschef ist Benjamin Netanjahu. Heute leben hier 6,1 Millionen Juden und 1,7 Millionen Araber. Die israelische Nationalhymne heißt “Ha Tikwa” (“die Hoffnung”).
Wir stellen unsere Uhren eine Stunde auf die aktuelle Ortszeit vor. Es folgen die üblichen langen Wege im Flughafen. Passkontrolle! Man bekommt keinen Stempel mehr in das Reisedokument, sondern eine Art Einreisebeleg.
Eine abgespannt wirkende Beamtin fragt uns lustlos nach Aufenthalten in Afrika (Ebola) und ob wir schon einmal in Israel gewesen seien. Beides verneinen wir. Am Gepäckband finden wir alle unsere Koffer vor und tauschen an der Wechselstube Euro in Schekel (NIS).
Sven Hüber stellt uns unseren Israel-Reiseführer Yalon Graeber vor, der in Rishon Le Zion, südlich von Tel Aviv wohnt. Yalon, schlank und drahtig mit ergrauter, ehemals blonder, Langhaarfrisur ist ehemaliger Deutscher aus Schleswig-Holstein und hat acht Dienstjahre beim Bundesgrenzschutz verbracht. Durch die Liebe zu einer Israelin verschlug es ihn schließlich hierhin. Er gründete eine Familie, hat zwei mittlerweile erwachsene Kinder, konvertierte zum Judentum und leistete hier auch seinen Militärdienst. Seinen Lebensunterhalt verdient er durch seine Tätigkeit als Reiseleiter, hat die Brücken zur alten Heimat aber nicht ganz abgebrochen und ist auch regelmäßig in Deutschland. Einen besseren Reiseleiter können wir gar nicht bekommen. Yalon bringt uns ohne Probleme durch den Zoll und zum Bus. Kurz zuvor war hier ein Gewitter durchgezogen, alles ist noch feucht, trotzdem beträgt die Außentemperatur noch 20 Grad Celsius.
Am Bus der HL – Tours wartet Deaib Ghadir, ein Beduine, der durch seine Fahrkünste ebenso unseren Respekt erwirbt wie durch seine Bescheidenheit. Seine große, freundliche Familie werden wir in einigen Tagen noch näher kennen lernen. Zunächst aber wird das Gepäck verladen und wir fahren zum Hotel Ruth Daniel Residence, das über 63 Zimmer verfügt. Es liegt in Jaffa, im südlichen Bereich der Stadt Tel Aviv. Während Jaffa gut 5000 Jahre alt und in Deutschland insbesondere durch seine schmackhaften Apfelsinen bekannt ist, stellt die Stadt Tel Aviv eine Neugründung aus dem Jahr 1909 dar. Zunächst einmal ist aber nur die Unterbringung wichtig. Mit den Zimmern sind wir zufrieden, es gibt Orangensaft als Begrüßungstrunk und wir sind um 3.00 Uhr Ortszeit auf den Zimmern. Mit Rücksicht auf die “kurze Nacht” (Originalzitat Sven: “Schlaf wird überbewertet”) ist das Frühstück erst auf 9.00 Uhr terminiert.
Montag, 20. Oktober 2014 (Tel Aviv, Kfar Shmarjahu, Beth Hatefutsoth, Jaffa)
Zum Frühstück sind die meisten unserer Teilnehmer bereits ab 8.30 Uhr im 1. Stock versammelt. Der Kaffee ist in Ordnung, am Büfett findet man alles, was man braucht, insbesondere Roggen- und andere Brötchen, Brot, auch Butter, Tee, Säfte, Milch. Viele Milchprodukte wie Joghurt und Quark, auch Müslis. Vergebens sucht man nach Schinken oder Salami, aber das stellt kein Problem dar. Vom Dachgarten aus, hat man eine schöne Sicht auf die Stadt. Gleich in der Nähe befindet sich auch ein modernes Fußballstadion, das Bloomfield-Stadion für 18.000 Zuschauer, in dem Spiele der U-21-Fußball-EM 2013 stattgefunden haben. Es gibt hier fünf Fußballvereine in Tel Aviv und einen in Jaffa.
Um 10.00 Uhr findet in einem Schulungsraum eine Besprechung statt. Bis auf einen Teilnehmer ist die Gruppe komplett. Vorstellungsrunde! Wir sind eine Reisegruppe die durchaus aus Polizisten der Länder wie auch aus Bundespolizisten besteht, dazu kommen Teilnehmer auch aus anderen Verwendungen im Öffentlichen Dienst, vom BKA, den Kommunen, ein Teilnehmer ist Journalist. Alle haben aber das gleiche Interesse: mehr über Israel zu erfahren. Um 11.30 Uhr geht es damit los.
Deaib fährt uns durch Tel Aviv. Es gibt übrigens, so erfahren wir von Sven, einen Spruch in Israel, der besagt, dass in Haifa gearbeitet, in Jerusalem gebetet und in Tel Aviv gefeiert wird. Die Stadt, erst 1909 von jüdischen Siedlern gegründet, gilt heute als Partymeile am Mittelmeer. Wir fahren durch die Herzl – Straße, die alte Hauptstraße, benannt nach dem Begründer des politischen Zionismus, Theodor Herzl (1860 – 1904), der heute auch auf dem Herzlberg in Jerusalem sein Ehrengrab gefunden hat. Man sieht Häuser im Jugendstil und einen, dem Klima entsprechenden Bauhaus-Stil. Deaib biegt in den Rothschild-Boulevard ein. Wir steigen aus. Yalon erklärt uns, dass im Jahre 1909, wie ein Gedenkstein an dieser Stelle belegt, 66 jüdische Familien auf dem Gebiet der heutigen Stadt eintrafen und in der Einöde am Mittelmeer, unweit der Stadt Jaffa, aus dem von den Osmanen erworbenen Grund 66 Grundstücke verlosten und vergaben. So begann man hier unter primitivsten Umständen, zunächst in Zelten lebend, die Häuser zu bauen. Das erste feste Haus war 1910 vollendet.
Gegenüber dem Gedenkstein, Rothschild-Boulevard 16, erblicken wir ein mehrstöckiges Gebäude im nüchternen Bauhaus-Stil, an dem die israelische Fahne angebracht ist. Hierbei handelt es sich um das Haus von Meir und Zina Dizengoff, das Meir nach dem Tod seiner Frau Zina der Stadt Tel Aviv mit der Maßgabe vermachte, es in ein Museum umzuwandeln. Das Gebäude wurde auf diese Weise 1936 zu einem Kunstmuseum. In der Halle dieses Gebäudes rief David Ben Gurion am 14. Mai 1948, als die Briten ihr Mandatsgebiet Palästina verließen, den neuen Staat Israel aus. Grundlage für die israelische Staatsgründung war die Balfour-Deklaration von 1917 und der UN-Teilungsplan vom November 1947. Noch während der britischen Mandatszeit (1918 – 1948) kam es zu Guerilla-Kämpfen zwischen jüdischen Kampforganisationen (Hagana, Palmach, Irgun Tzwa´i Le´umi, Lechi) und arabischen Milizen. Nur wenige Stunden nach der Unabhängigkeitserklärung Ben Gurions erklärten die arabischen Nachbarstaaten Ägypten, Syrien, Libanon, Transjordanien, Saudi Arabien und der Irak dem Staat Israel den Krieg. Unter der Parole “Werft sie ins Meer” fielen aus drei Himmelsrichtungen arabische Streitkräfte über das neue Staatswesen her. Die Israelis verteidigten sich erfolgreich und konnten sogar noch Gebiete wie Eilat dazu gewinnen. Im Juli 1949 war der Krieg beendet, die arabischen Angreifer geschlagen. Folgen: Ägypten besetzte den Gaza-Streifen und Transjordanien annektierte das Westjordanland, Israel hatte sich behauptet. Eine weitere Folge waren Flüchtlingsströme: rund 750.000 Araber, die sogenannten “Palästinenser” verließen das Gebiet Israels, gleichzeitig wurden rund 800.000 Juden aus den umliegenden arabischen Staaten vertrieben und kamen zum größten Teil in Israel unter. Die Situation der Palästinenser war, je nach Staat, in dem sie Zuflucht fanden, unterschiedlich. Dies sollte zukünftig für weiteren politischen Sprengstoff sorgen. Nach Ben Gurions Unabhängigkeitserklärung, die so folgenreich wirkte, wird der Bau heute als Unabhängigkeitshalle (Independence Hall) bezeichnet.
Ein arabischer Israeli (Misrachim) erklärt uns an der im Gebäude stehen gelassenen und ins Mauerwerk integrierten Hausmauer des ersten Hauses in Tel Aviv von 1910, in englischer Sprache, die jüdische Landnahme. Yalon übersetzt für Teilnehmer ohne Englischkenntnisse direkt ins Deutsche. Wir sehen vergrößerte Fotos, ein Exemplar des Buches “Altneuland” von Theodor Herzl und kommen dann zum Unabhängigkeitssaal.
Vom hellblau verhängten Podium mit 3 Mikrophonen, unter dem übergroßen Herzl-Bildnis, flankiert von zwei israelischen Fahnen, hat Ben Gurion die Erklärung zur Staatsgründung verlesen. Israel wurde als Demokratie gegründet, für das Parlament waren nach alter Überlieferung 120 Abgeordnete vorgesehen. Chaim Weizmann (1874 – 1952) wurde 1949 von der verfassunggebenden Versammlung zum ersten Staatspräsidenten gewählt. Ben Gurion wurde Regierungschef und Verteidigungsminister. Wir sehen noch altes Gestühl mit Namensschildern der Teilnehmer von 1948, von denen eine Golda Meir, die spätere Ministerpräsidentin, war.
Eine Israelin griechischer Herkunft erklärt uns in gut verständlichem Englisch die Umstände und Folgen der jüdischen Staatsgründung.
Um 13.20 Uhr sitzen wir wieder im Bus. Sven erklärt uns, während wir nach Norden durch Tel Aviv fahren, wie man hier das Neu-Hebräisch etablierte, die Kinder lernen es in der Schule. Alle Neuankömmlinge werden so durch die Schule integriert. Man hat die alte Sprache auf einen der Neuzeit angepassten Wortschatz erweitert. Heute wird in Neuhebräisch sogar gedichtet. Praktisch spricht auch jeder Israeli Englisch.
In Fahrtrichtung links und rechts werden wir auf die pittoresken Templer-Häuser im heutigen Stadtteil Sarona aufmerksam gemacht, schon im 19. Jahrhundert (1871) von der deutschen christlichen Missionsgemeinschaft der Templer aus Württemberg gegründet. Kaiser Wilhelm II. besuchte diese Kolonie am 27. Oktober 1898 bei seiner Palästinareise. Die Stadt Tel Aviv gründete sich durch die jüdischen Siedler ja erst 1909.
Gleichzeitig kann das heutige Tel Aviv auch durchaus Hochhäuser und Appartement-Häuser vorweisen. Die Grundstückspreise erreichen astronomische Höhen und die Stadt hat heute 405.000 Einwohner.
Rechts passieren wir das Diamantenzentrum der Stadt, das heute eine etwas geringere Bedeutung haben soll als früher. Bei gutem Wetter ist von hier schon das Westjordanland zu sehen.
Im nördlichen Umland von Tel Aviv, knapp zehn Kilometer nördlich des Stadtzentrums nahe bei Herzliya liegt unweit der Mittelmeerküste das kleine Dorf Kfar Shmaryahu mit rund 1800 Einwohnern. Geflüchtete Deutsche hatten 1937 dieses Dorf hier gegründet. Der 81jährige Gaadi und sein Nachbar Ruben, beide als Kleinkinder der Gründergeneration hierhergekommen, heute freundliche ältere Herren, erzählen uns in deutscher Sprache, wie alles in Ödnis und mit viel Arbeit hier begann. Die Exilanten, dem Grauen aus Deutschland entkommen, oft Intellektuelle, Ärzte, Anwälte, Wissenschaftler, mussten lernen, eine funktionierende Landwirtschaft aufzubauen. Man begann mit Viehwirtschaft und pflanzte Zitronen, Orangen und Pampelmusen an. Im ehemaligen Kuhstall erinnern Fotos und historisches Gerät an diese Anfänge.
Die kleinen, bescheidenen Häuschen des Dorfes könnten auch in Deutschland so gestanden haben. Eines dieser Häuser, noch bis 1999 ohne große Umbauten von einer alten Dame bewohnt, wurde mit der ursprünglichem Einrichtung im Stil der 1930er / 40er Jahre belassen. Mit weiteren Exponaten bekommt der Besucher einen guten Eindruck wie man hier lebte. Ein peinlich auf Kante sortierter Wäscheschrank, altes Küchengerät, viele deutsche Bücher aus der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Noch unsere Eltern kannten solche Häuser. Als größte Attraktionen empfinden wir aber die schönen Bäume mit ihren Zitrusfrüchten. Sie sind so gut wie reif, wir dürfen sogar einige pflücken und probieren.
Gaadi und Ruben erzählen, dass sich heute viele sogenannte “Neureiche” hier Grundstücke und Häuser kaufen. Die Besitzer solcher Häuschen werden durch den Verkauf Millionäre, weil Grundstücke im Großraum Tel Aviv begehrt sind. Die neuen Besitzer reißen die alten Häuser ab und bauen sich feudale Villen. Mit einem bisschen Wehmut verlassen wir um 14.45 Uhr die beiden Herren, deren Welt sich leider auch grundlegend zu ändern scheint. Hierzu muss man außerdem wissen, dass es in Israel nur 5 Prozent Privatland gibt, 95 Prozent sind Staatseigentum, das nicht verkauft sondern lediglich auf Zeit verpachtet werden kann. Über den größten Privatbesitz verfügt hier noch die Kirche.
Deaib fährt uns zurück nach Tel Aviv. In Fahrtrichtung rechts blitzt kurz im Sonnenlicht (es dürften so um 28 Grad Celsius sein) die Küste des Mittelmeeres auf.
Yalon erläutert uns, das die Preise für Häuser und Wohnungen hier unerschwinglich seien. Der Quadratmeter Wohnraum kostet in Tel Aviv durchaus 4000,- €, die Mieten sind entsprechend. Für obere Wohnungen in Hochhäusern der Stadt (“Penthouse” oder “Suite” genannt) legt man schon mal zwei Millionen US-Dollar auf den Tisch.
Zu den Preisen im Allgemeinen erfahren wir, dass israelische Produkte beispielsweise in den USA oder in Deutschland billiger zu kaufen sind als hier. Auch die Preise für Strom, Wasser und Lebensmittel seien hier höher, die Löhne etwa gleich, so Yalon. Taxen sind günstiger als bei uns, erläutert Sven. Alkohol ist in Israel teurer.
Man hat hier eine Staatliche Krankenversicherung, die allerdings die zu konsultierenden Ärzte bestimmt. Das Land hat übrigens die größte Ärztedichte der Welt. In Israel gibt es auch noch drei Privatkassen. Die Steuern sind hoch und für alle einheitlich, da nach dem Verdienst gestaffelt. Ausnahmen oder Freibeträge gibt es nicht.
Bei Netanya, weiter nördlich, beträgt die schmalste Stelle Israels ganze fünfzehn Kilometer. Soweit kommen wir heute aber nicht. An der breitesten Stelle misst das Land 135 Kilometer. Von Nord nach Süd, also vom Mount Hermon bis nach Eilat am Roten Meer, sind es 470 Kilometer. Wir erfahren, dass man Herzliya (Herzeliya), benannt nach Theodor Herzl, als so etwas wie das “Silicon Valley” Israels bezeichnet. Neunzig Prozent unserer heutigen Smartphone-Technik wurde und wird hier entwickelt. Viele US-Firmen haben hier ihre einzigen Vertretungen außerhalb der Vereinigten Staaten.
Östlich des Flughafens, auf dem Gelände der Universität Tel Aviv, besuchen wir Beth Hatefutsoth, das Museum des Jüdischen Volkes (Diasporamuseum). In der Cafeteria rasten wir. Die Teilnehmer werden in zwei Gruppen geteilt. Uns betreut Henry, ein sympathischer, humorvoller junger Mann, der mit uns in deutscher Sprache parliert. Kurz: wir verquatschen uns total. Es gibt soviel, was wir noch nicht wissen.
Das Judentum!
Henry erklärt uns mit viel Geduld aber auch Enthusiasmus jüdische Sitten und Gebräuche, von denen es unzählige gibt, was uns auch Yalon bereits bestätigt hatte. Grundlagen sind die fünf Bücher Mose (Thora) und der Talmud (Auslegungen der Thora). Es gibt unzählige Ge- und Verbote, wie zum Beispiel das koschere Essen. Männer tragen die Kippa, eine kleine kreisförmige Mütze aus Stoff oder Leder auf dem Hinterkopf. Sie wird als Kennzeichen der Ehrfurcht vor Gott beim Synagogenbesuch, auf dem Friedhof und beim Gebet getragen, die Mehrzahl von Kippa nennt man Kippot. Orthodoxe Frauen tragen Perücken. Wir hören von Gebetsriemen (Tefillin) orthodoxer Juden. Es sind schwarze, mit Lederriemen versehene Gebetskapseln in denen sich Texte aus der Thora befinden. Ihre Form sie zu tragen und der Inhalt der Kapseln sind im Talmud festgelegt. Henry erzählt vom Passahfest, das wir ja aus der Bibel kennen, dem Sukkot-Fest (Laubhüttenfest: Erntedank nach dem 5. Buch Mose 16:16), bei dem Speisesäle noch mit Laub und Grün geschmückt werden; und dem Versöhnungsfest Jom Kippur. Auch das Thema Beschneidung, die Aufnahme in die Gemeinde (Bar-Mizwa) für Jungen mit 13 Jahren, Mädchen schon mit Zwölf, und Trauungen mit Ehevertrag sind Themen. Dazu hören wir viel aus der langen jüdischen Geschichte. Obwohl er Jude und mutmaßlich auch “Rabbi”, also Lehrer war, wird Jesus von Nazareth vom Judentum nicht als “Messias” gesehen, weil er ja am Kreuz gestorben sei. Auch Henry unterscheidet aber zwischen orthodoxen und säkularen Juden. Orthodoxe Juden, schwarz gekleidet mit Hut und Schläfenlocken, haben oft eine große Kinderschar. Zentrum des Judentums ist immer die Synagoge. An wichtigen Festtagen wie Jom Kippur verbringt mancher Gläubige 25 Stunden hier. Die Außenhülle der Thora berührt man nur mit einem Gebetsschal. Die Thora-Rollen werden in einem besonderen Schrank eingeschlossen. Eine Mesusa (Mehrzahl: Mesusot, Bedeutung: Türpfosten) bezeichnet die Schriftkapsel an der Türzarge, die gläubige Juden nach dem 5. Buch Moses 6:9 und 11:20 anbringen gemäß der dort niedergelegten Weisung: “Du sollst diese Worte auf die Türpfosten deines Hauses und deiner Stadttore schreiben.” Gibt es einen Trauerfall in der Familie, bleiben jüdische Häuser sieben Tage für jedermann geöffnet. Dieser Brauch ist zwar für die Hinterbliebenen anstrengend, bietet aber auch Trost, da man angesichts der vielen Besucher nicht allein bleibt.
Symbol der jüdischen Religion ist der siebenarmige Leuchter Menora (nicht zu verwechseln mit dem 8- oder 9-armigen Chanukka-Leuchter). Die Menora gab es bereits unter Mose in der Wüste, sie stand später im Tempel und wurde von den Römern geraubt. Bei der Staatsgründung Israels 1948 wurde sie als Symbol des Judentums in das Staatswappen mit aufgenommen.
Freitagabend, ab der Abenddämmerung, sobald drei Sterne am Himmel erkennbar sind, beginnt der jüdische Sabbat (Shabbat) und das öffentliche Leben “hält den Atem an”. Der Sabbat dauert 25 Stunden. Militär, Rettungsdienste und Polizei sind von der Regelung ausgenommen. Man kocht nicht, arbeitet nicht, bedient nicht einmal einfachste Geräte durch Knopfdruck. Heutzutage erleichtert die Technik die Regeln: Fahrstühle laufen im “Sabbat-Modus”, es gibt Zeitschaltuhren. Die Hausfrau kocht vor. Die Familien treffen sich, gehen zur Synagoge, man liest oder philosophiert. Gerne werden auch Freunde, selbst Nichtjuden eingeladen. Der Fernseher am Sabbat ist tabu.
Henry erklärt uns den Aufbau einer Synagoge, erzählt vom Tempel und dem Shabbat. In einer Synagoge, die über Fenster verfügen muss, werden die Thora-Rollen aufbewahrt. Beschädigte Thorarollen werden übrigens begraben!
Am 24. September 2014 begann abends das Jüdische Neujahr “Rosch Ha Schanah”, und damit das Jahr 5775 der jüdischen Zeitrechnung, also ein Sabbatjahr für Land und Leute. Es dient gemäß 2. Buch Mose, Vers 23, der Verlangsamung des Wirtschaftslebens und dem Bestreben, im Gegenüber den Menschen zu sehen. Ein Sabbatjahr gibt es alle sieben Jahre einmal. Gläubige Juden verkaufen nun für dieses Jahr ihr Land an einen Nichtjuden, bebauen es weiter und kaufen es nach dem Sabbatjahr wieder zurück. Orthodoxe Juden lehnen diesen “Deal” als “nicht koscher” ab, während arabische und drusische Bauern sich über das “Geschäft” freuen.
Priester gibt es im Judentum zur Zeit nicht, sie werden erst wieder im “3. Tempel” gebraucht. Bis dahin genügen Rabbiner (Lehrer) zur Pflege des Glaubens. Fazit: Das Judentum wartet immer noch auf den Messias und den Aufbau des “3. Tempels”.
Wir überziehen, es ist 18.00 Uhr und immer noch haben wir Fragen. Man will schließen! Danke Henry, wir sehen jetzt etwas klarer, wenn wir vielleicht auch noch nicht alles verstanden haben.
Auf der Rückfahrt in südlicher Richtung sehen wir in Fahrtrichtung rechts die Strandpromenade von Tel Aviv mit Joggern, Spaziergängern und Familien. Hotelhochhäuser recken sich in die Höhe, Hilton, Carlton, Crowne Plaza, Renaissance, Sheraton und Dan. Gegenüber dem Dan-Hotel gab es während der 2. Intifada im Jahr 2000 einen Sprengstoffanschlag mit vielen Toten. Ein Denkmal erinnert an das Entsetzliche. Links liegt, gut gesichert, die US-Botschaft, wir passieren die Oper.
Dann sind wir wieder in Jaffa im Ruth Daniel Residente – Hotel. Kurze Besprechung. Morgen stehen Massada und die Wüste von Judäa auf dem Programm. Wir verlassen das Hotel und werden erstmals in einem Kibbuz übernachten. Wir sind gespannt darauf.
Eine Grüppchen unserer Teilnehmer, insgesamt sind wir 17 Personen, werden nach dem Abendessen von Sven in die Altstadt Jaffas geführt. Links dehnt sich in ganzen Straßen der leider schon geschlossene Flohmarkt, dann geht es bergauf und wir erreichen den “Kanonenberg”, auf dem noch historische Geschützrohre ins Mittelmeer und seine rauschende Brandung weisen. Voraus dehnt sich die inzwischen beleuchtete hübsche Strandpromenade Tel Avivs. Gekrönt von der St. Peters Church (Peterskirche) mit ihrem angestrahltem Turm deuten ausgegrabene Grundmauern aus der ägyptischen Pharaonenzeit auf ein Alter von gut 5000 Jahren. Heute ist die Altstadt ein schön restauriertes Kleinod. Wir finden uns in gewölbten Steingassen wieder, eine ist schöner als die andere.
An einem Kiosk können wir Postkarten mit Briefmarken kaufen. Sven hatte uns erklärt, dass es mit der Post hier schwierig wäre. Man hat seltsame Öffnungszeiten (wie bei “Augenärzten“) und muss lange warten, ehe man bedient wird, manchmal muss man gar Nummern ziehen, die dann aufgerufen werden. Postkartenhändler schlagen schon ´mal einen Zuschlag auf die Marken, weil sie so schwer zu bekommen sind. Einfacher zu erwerben ist der Gold- und Silberschmuck des 81jährigen Frank Meisler, einem deutsch-britisch-israelischen Goldschmied und Bildhauer, gebürtig aus Danzig, der auch Denkmäler geschaffen hat. Der Laden ist noch geöffnet, die Preise sind ein Kapitel für sich!
Berühmt sind in Israel auch die Armenier für ihren fein gearbeiteten und ziselierten Silberschmuck, der oft mit dem grün schillernden Eilat-Stein kombiniert wird.
In einem Restaurant, das eher einer Einfahrt gleicht, die mit allerhand Kram zugestellt ist, aber eben auch über eine Theke mit Barhockern und Tischen verfügt, kehren wir ein. Wir trinken erstmals das israelische Goldstar Bier, das aus der Tempo-Brauerei in Netanya kommt oder auch Rotwein vom Berg Hermon.
Zu acht Personen laufen wir langsam wieder zum Hotel zurück. Haben noch zu packen und es war ein langer Tag. Bevor wir auf das Zimmer gehen, machen wir noch einen Abstecher auf die Aussichtsterrasse des Hotels. Gegenüber gleißt die Flutlichtanlage über tausende von Fußballfans und 22 Spieler. Einen Teil des Spielfeldes können wir von hier aus einsehen. Es ist die 47. Minute. Ein letztes Mal genießen wir die schöne Aussicht über Jaffa. Morgen geht es in die Judäische Wüste!
Dienstag, 21. Oktober 2014 (Rehovot, Negev, Masada, Totes Meer, Kibbuz Almog)
Das Frühstück ist auf 7.00 Uhr terminiert, denn um 8.00 Uhr wollen wir losfahren. Wir sind früh aufgestanden und haben gepackt. In Israel wird das Trinkwasser mit Chlor bakterienfrei gehalten, wir haben aber keine Probleme damit beim Zähneputzen. Die ersten Postkarten sind geschrieben und frankiert, in der Hotellobby kann man sie abgeben. Im Gegensatz zu manchem Spanienurlaub sind diese Kartengrüße vor unserer Rückkehr bei den Empfängern. Um 7.55 Uhr sind unsere Koffer verladen, es kann losgehen. Wir verlassen Jaffa und damit auch den Bezirk Tel Aviv. Israel ist in sechs Bezirke gegliedert: Nordbezirk (Mechoz ha Tzafon), Bezirk Haifa (Mechoz Cheifa), Zentralbezirk (Mechoz ha Merkaz), Bezirk Tel Aviv (Mechoz Tel Aviv), Jerusalem (Mechoz Jeruschalajim) und den Südbezirk (Mechoz ha Darom). Dazu kommen noch die Militärverwaltungen Judäa und Samara (Ezor Jehudah ve Schomron). In Israel gibt es 71 Städte und 141 Gemeinden.
Während Deaib den Bus in Richtung Süden steuert, können wir in Fahrtrichtung rechts noch einmal das Mittelmeer sehen. Allmorgendlich wird sich nun eine Art von Ritual wiederholen: der fröhliche israelische Song “Hava Naguila” von den Barry-Sisters wird abgespielt und alles klatscht mit. Danach folgt “My Yiddish Mome” von Sophie Tucker in jiddischer Sprache, die viele deutsche Begriffe enthält.
Yalon erzählt, dass man vor der israelischen Küste ein Erdgasfeld entdeckt hat. Es wäre ein Glücksfall für das Land, das sonst nicht über nennenswerte Rohstoffe verfügt. Im Bereich der Solartechnik (Photovoltaik) hängt man etwas hinterher, obwohl das Sonnenlicht hier sehr gut genutzt werden könnte. Mülltrennung und Recycling scheinen hier noch Fremdworte zu sein, es gibt viele Gegenden im Land, wo weggeworfener Müll die Landschaft verschandelt.
Rechts passieren wir die Stadt Rishon Le Zion, heute viertgrößte Stadt Israels (nach Jerusalem, Tel Aviv und Haifa) mit rund 235.000 Einwohnern. Yalon wohnt hier. 1882 als Moschawa durch immigrierte russische Juden als eine der ersten neuen Siedlungen gegründet, finanzierte Edmond de Rothschild fünf Jahre später eine Weinkellerei, aus der sich heute Israels größter Weinproduzent Carmel entwickelte. Die Stadt Münster in Westfalen ist seit 1981 Partnerstadt von Rishon Le Zion.
Rund zwanzig Kilometer südlich von Tel Aviv befindet sich die Großstadt Rehovot (Rechovot), heute Zentrum des Orangenanbaus aber auch der Hochtechnologie. 106.000 Menschen leben hier, deutsche Partnerstadt ist Heidelberg. Chaim Weizmann, Israels erster Präsident, lebte hier. Das heute interdisziplinäre wissenschaftliche Institut mit Teilchenbeschleuniger und eiförmigem Observatorium in markanter Architektur ist nach ihm als Weizmann-Institut weltberühmt. Das Institut hat bereits zwei Chemie-Nobelpreisträger hervorgebracht. Wir können den futuristisch anmutenden Gebäudekomplex des Weizmann-Instituts gut von der Palmach – Gedenkstätte aus erkennen.
Palmach – Gedenkstätte: was ist das? Palmach war eine der illegalen israelischen Kampforganisationen, die im Untergrund operierte. 1945 standen 600.000 jüdische Siedler der Übermacht von rund einer Million Araber gegenüber. Es gab Anschläge gegen die britische Mandatsmacht. Ein Problem der Juden war, dass sie schlecht oder gar nicht mit Waffen und Munition ausgestattet waren und befürchteten, im Kampf mit den Arabern allein deshalb zu unterliegen. In Rehovot gab es ein Ausbildungs-Kibbuz.
An dieser Stelle hält unser Bus. Unter hohen Eukalyptusbäumen, die man aus Australien importierte, stehen ein paar Militärzelte. Die Bäume pflanzte man vor allem in Sumpfgebieten an, denn die ersten Siedler erkrankten und starben oft noch an der Malaria. Probleme ergeben sich aber daraus, dass Eukalyptusbäume den Boden aussaugen und die Äste schnell abbrechen, so dass ein Aufenthalt darunter nicht ungefährlich ist.
Eine junge Frau namens Yarden erklärt uns, was es mit diesem Kibbuz, in dem 100 Personen lebten, auf sich hat. Im Geheimen wurde unter den Augen der britischen Mandatsmacht, die jederzeit auch das Kibbuz kontrollieren und durchsuchen konnte, in 21 Tagen acht Meter unter der Erde Räume in einer “Beton-Wanne” ausgebaut, in der 45 Personen heimlich arbeiteten. Yarden führt uns zur Wäscherei. Die große Waschtrommel verbarg den Geheimeingang über eine enge Wendeltreppe. Wir gehen hinunter. Unten finden wir verschiedene Metallbearbeitungsgeräte. Aus angelieferten Messingblechen wurden hier in mehreren Arbeitsgängen Patronenhülsen gefertigt. In einem abgesicherten Teil des unterirdischen Bereichs wurden die fertigen Hülsen mit Pulver gestopft, die Projektile aufgesetzt und einige der fertigen Produkte anschließend durch Beschuss getestet. Diese Arbeit war nicht ungefährlich, es sei aber nie etwas passiert, so Yarden, wenn man von Arbeitsunfällen mit Verletzungen durch die Maschinen absieht. Auf diese Weise wurden hier im Geheimen zwei einviertel Millionen Stück Munition bis 1948 hergestellt. Die Kibbuz-Wäscherei darüber und eine Bäckerei über dem Wetterschacht wurden mit Hochdruck betrieben, um den Lärm der unterirdischen Fabrikation zu übertönen. Nach Ausbruch des Unabhängigkeitskrieges konnte der Ausstoß von Patronen sogar noch weiter gesteigert werden. Nach Gründung des Staates Israel und dem Ende des Unabhängigkeitskrieges 1949 benötigte man die unterirdische Fertigungsstätte nicht mehr. Heute ist sie Gedenkstätte. Ein Programmpunkt, der sicher nicht bei einer normalen Touristentour auf dem Plan steht. Im Souvenirshop sehen wir uns noch etwas um. Eine vierköpfige jüdische Familie, offenbar Orthodoxe, Vater und Sohn tragen die Kippa, speist an einem Tisch.
Die Fahrt geht um 10.40 Uhr in Richtung Masada weiter, wir rechnen mit anderthalb Stunden Fahrt. Deaib lenkt unseren Bus wieder nach Süden. In Fahrtrichtung links passieren wir eine zweigleisige, nicht elektrifizierte Hauptstrecke der israelischen Eisenbahn (Israel Railways) von Tel Aviv Darom nach Rehovot auf der alten Strecke in Richtung Ägypten. Seit den 1990er Jahren wurde das Streckennetz systematisch ausgebaut.
Wir passieren die Anschluss-Stelle Ramla-South auf der Autobahn 6 im Zentralbezirk. Es geht weiter südwärts. Haben die strenge Weisung von Sven, ausreichend Wasser zu trinken. Bei Daib können wird für 5 Shekel gekühlte Wasserflaschen kaufen. Auf früheren Reisen kam ist schon einmal eine Teilnehmerin so dehydriert gewesen, dass man sie ins Krankenhaus bringen musste.
In Fahrtrichtung rechts macht uns Yalon auf Häuser mit markanter Silhouette in Ashkelon aufmerksam, eine Großstadt von 117.000 Einwohnern. Sie liegt kaum zehn Kilometer nördlich des Gaza-Streifens und hat im Sommer durch Raketenbeschuss der Hamas tüchtig gelitten. Hier steht auch die größte Umkehrosmoseanlage der Welt, die täglich 370.000 Kubikmeter Wasser in das israelische Trinkwassernetz einspeichert. Partnerstadt ist übrigens Berlin-Pankow! Längst sind wir im Südbezirk (Mechoz ha Darom).
Jenseits von Gaza liegt bereits Ägypten mit dem Sinai. Mit dem Staat am Nil hatte Israel 1979 in Camp David (USA) Frieden schließen können, Menachem Begin und Anwar el Sadat unterzeichneten das Dokument.
Rechts und links dehnen sich Kiefernwälder (!), es gedeihen hier auch Paprika, Oliven und Wein. Möglich ist das alles durch das Nationale Wasserprojekt seit den 1950er Jahren, wie Yalon uns erklärt. Beispielsweise gibt es eine Pipeline die aus dem größten Wasserreservoir, dem See Genezareth, über dreihundert Kilometer nach Süden in den Negev verläuft. Es sind unterirdische Leitungen mit Pumpstationen in regelmäßigen Abständen. Nur ein Drittel der Landfläche Israels kann bebaut werden, wenn ausreichend Wasser vorhanden ist. Man ist mit Recht stolz darauf, dass bereits drei Prozent des Landes durch diese Maßnahmen bewaldet sind. Die Bewässerung erfolgt unterirdisch. Für jedes neugeborene israelische Kind wird durch einen Nationalfonds ein Baum gepflanzt. Man leistet hier Pionierarbeit im besten Sinne. Man kultiviert wüste Gegenden und baut etwas auf, dass es vorher nicht gab. Es ist keine Ausbeutung des Landes, wie bei anderen “Pionierleistungen” auf diesem Planeten, ja man gibt dem Land etwas zurück.
In Israel wurde die sogenannte “Trockenbewässerung“ erfunden. Mit oberirdisch verlaufenden dünnen Wasserschläuchen wird das Wasser in geringen Mengen zu den Wurzeln der Pflanzen geleitet. Ist die Sonneneinstrahlung zu stark, so kann man die Schläuche auch eingraben, um zu verhindern, dass sie zu schnell porös werden.
Auch Meerwasserentsalzungsanlagen, die allerdings viel Strom benötigen, wurden hier erfunden, die erste dieser Anlagen ging aber als Export nach Südafrika. Heute gibt es Entsalzungsanlagen an der Küste, die an vier Kraftwerke gekoppelt sind. Die erforderliche Kohle für die Kraftwerke schafft man per Schiff heran.
Diese langfristigen Maßnahmen der Israelis imponieren mir am meisten. Hier können sogar Waldbrände Anschläge von Extremisten sein. Die Landschaft hat Ähnlichkeit mit dem italienischen Apulien. Rechter Hand können wir bis zum Gaza-Streifen sehen.
Beduinendörfer, entstanden aus Zelten und Wellblech-Baracken, heute bereits mit Steinhäusern, liegen oft an der Straße. Diese Ortschaften sind illegal, haben oft keinen Strom und kein Wasser. Rund 120.000 Beduinen sollen hier so leben.
Wir passieren eine Zeitlang später Beit Kama (Beit Qama), ein Ort, der aus einem 1949 gegründeten, heute säkularisierten, Kibbuz hervorging. Hier leben christliche Araber! Zwanzig Kilometer südlich liegt die Stadt Be´er Sheva in der Negev – Wüste, die wir aber nicht berühren. Deaib hat die Autobahn 6 verlassen und wir rollen auf der Nationalstraße 31 in östlicher Richtung auf die Stadt Arad zu. Wüstenatmosphäre umgibt uns.
Links sehen wir ein Araberdorf mit den ersten Dromedaren. Das Hellbraun des Negev wird hier zur beherrschenden Farbe. Deaib muntert uns mit Albert Hammonds “It Never Rains In Southern California” auf. Rechts gibt es wieder angepflanzten Wald, diesmal mit Schildern versehen, wenn die Pflanzungen gespendet wurden. Auf einem dieser Schilder lesen wir “Wald der deutschen Länder”. Kurz darauf sehen wir eine Gruppe israelischer Soldaten auf Manöver, sie rasten dankbar unter dem noch spärlichen Schatten junger Bäume.
Auf einem Rastplatz an der Nationalstraße 31 gibt es für uns eine zehnminütige Pause. Laut Wegweiser sind es von hier aus 112 Kilometer nach Jerusalem und 111 nach Tel Aviv. Wir machen Fotos. Die Landschaft wirkt grau-braun, um 12.15 Uhr fahren wir weiter.
Yalon erzählt uns, dass die Religionen in Israel erziehungsrechtlich unabhängig sind, das heißt, das Araber auf arabische Schulen gehen, Israelis auf jüdische (orthodoxe und säkulare). Es gibt hier keine Gemeinschaftsschulen.
Die Studiengebühren sind hoch in Israel. Man zahlt 5000,- € pro Semester. Dazu gibt es Studienplätze, die man erst ab dem 21. Lebensjahr belegen kann. Absolventen des Militärdienstes haben dann gute Chancen, diese Studienplätze zu bekommen.
Arad ist aus einer judäischen Festung hervorgegangen (im Buch der Richter der Bibel erwähnt, 1,16) und wurde 1962 von jungen Israelis, die abgelegen leben wollten, neu gegründet. Heute leben hier 23.000 Menschen, man erhielt 1995 die Stadtrechte und wurde bekannt durch seine saubere Luft. Asthmakranke finden hier Erholung und Linderung ihrer Beschwerden. Deutsche Partnerstadt ist seit 1989 Dinslaken. Wir fahren gegen 12.45 Uhr durch ein modernes Stadtzentrum mit Industriegebiet. Arad ist die drittgrößte Wüstenstadt Israels (nach Be´er Sheva und Dimona). Deaib steuert unseren Bus von nun an in nordöstlicher Richtung auf einer Nebenstraße, die sich auf zehn Kilometer Länge in Kurven hinunter zum Toten Meer windet.
Dann sehen wir es: Masada! Ein gewaltiger Fels, der sich 450 Meter über dem Spiegel des Toten Meeres erhebt. Das Plateau auf dem Felsen hat eine Länge von nahezu 650 Metern und ist 300 Meter breit. Masada wurde 2001 zum UNESCO-Weltkulturerbe. Herodes, König von Judäa (Regierung 37 bis 4 vor Christus), hatte das Felsenplateau zu einer Festung sowie gleichzeitig mit einer luxuriösen Palastanlage ausstatten lassen. Nach Josephus Flavius (Jüdischer Krieg VII 9,1) war Masada dann zwei Generationen später der Ort des letzten jüdischen Widerstandes gegen die Römer.
Die zehnte römische Legion unter dem Legaten Flavius Silva begann im Jahr 73 nach Christus mit der Belagerung. Man legte acht Feldlager an und errichtete einen Wall um den Felsen. Auf der Westseite mussten Sklaven damit beginnen, eine mit Holzbalken verstärkte Gesteinsrampe zu bauen. Die Belagerung dauerte Monate. Die Römer ließen einen Belagerungsturm mit Rammbock auf der Rampe hinaufschieben und konnten schließlich eine Bresche in die Kasemattenmauer schlagen. Die Rebellen errichteten aus Geröll und Holz eine neue innere Mauer, die aber von den Römern in Brand gesteckt wurde. Der jüdische Kommandant Eleasar Ben-Jair, überzeugte die rund 960 überlebenden Rebellen vom Selbstmord, der einem Leben als römischer Sklave vorzuziehen sei. Als die Römer schließlich das Plateau besetzten, hatten nur zwei Frauen und fünf Kinder in einem unterirdischen Brunnengewölbe überlebt. Mit dem Untergang von Masada war die Eroberung Judäas durch Rom abgeschlossen.
Heute gehören Masada mit Bergplateau, seine Altertümer sowie die Eingangsbereiche im Osten und Westen auf einer Fläche von 340 Hektar zum israelischen Nationalpark. Auf dem Gelände befinden sich eine Jugendherberge sowie zwei Campingplätze. Unterhalb der Westseite sind Tribünen aufgebaut, weil man abends regelmäßig bei angestrahltem Felsen hier Musik- und Opernaufführungen erleben kann.
Bei knapp 30 Grad Celsius machen wir uns an den Aufstieg, von Westen her, über die römische Rampe. Sven hat allen zur Pflicht gemacht, wenigstens einen Liter Wasser mitzuführen und möglichst eine Kopfbedeckung zu tragen.
In gut fünfzehn Minuten sind wir oben. Es gibt grandiose Ausblicke auf das tief unter uns in magischem Blau schimmernde Tote Meer aber auch die Wälle der umgebenden römischen Feldlager sind unschwer auszumachen. Für Archäologen eine wahre Wundertüte! Man hat schon Vieles ausgegraben, dunkle Linien geben den aufgefundenen historischen Bestand an, manchmal hat man Fundamente weiter aufgemauert um die Gebäude deutlicher zu rekonstruieren. Wir sehen, wie die Wasserversorgung durch ein ausgeklügeltes Zisternen- und Wasserrinnen-System funktionierte, Yalon erklärt die luxuriöse herodianische Palastanlage an der Nordspitze des Felsens.
Für die israelische Armee steht fest, dass “Masada, nie wieder fallen” wird. Noch heute werden Spezialkräfte der Armee hier feierlich vereidigt und auf diese Parole eingeschworen.
Mit einer schweizerischen Seilbahn (Firma Von Roll, 1999 errichtet) fahren wir von dem Felsen hinunter und überwinden in drei Minuten 290 Meter. Die Pendelbahn ist 900 Meter lang, eine Kabine kann bis zu 80 Personen aufnehmen. Unter uns windet sich der sogenannte “Schlangenpfad”. “Unten”, an der Ostseite des Felsens, kann man noch Souvenirs kaufen und wir warten hier auf Deaib, der mit dem leeren Bus einen Umweg fahren musste, um uns an der Ostseite Masadas wieder aufzunehmen.
Wieder im Bus. Vor uns erstreckt sich die stillstehende tiefblaue Fläche des Toten Meeres, wir sind 418 Meter unter dem Meeresspiegel. Das Gewässer hat eine Fläche von 1020 qkm und die heutige Grenze zwischen Israel und Jordanien verläuft mitten hindurch. Weiter südlich zieht sich die Arava-Senke auf 170 Kilometern bis zum Golf von Akaba hin, gleichzeitig die Grenze zu Jordanien bildend. Über dem Wasser hat sich eine Dunstglocke gebildet.
Von Yalon erfahren wir, dass das Tote Meer immer kleiner wird. Weiter südlich gibt es noch eine Salzindustrie.
Zwei Jagdflugzeuge der Israelischen Luftwaffe donnern über dem Toten Meer nach Süden. Ein ganz normaler Patrouillenflug entlang der Grenze! –
Deaib fährt von Masada aus mit uns aber noch rund 15 Kilometer nach Süden. En Bokek (Ein Boqeq), wir sind hier 390 Meter unter dem Meeresspiegel, liegt am südwestlichen Ufer des Toten Meeres und damit am Südteil des inzwischen durch Austrocknung in zwei Hälften geteilten Binnensees. Da dieser Teil auch zum Abbau von Mineralien und Salzen genutzt wird, hält man den Wasserspiegel durch Pumpen konstant. Der Ort ist das größte Kur- und Fremdenverkehrszentrum auf der israelischen Seite. Hier gibt es nur Hotels, Restaurants, Bars und eine Einkaufsstraße für Touristen. Im Hotel Lot, so Sven, ist für Reha- oder Kurmaßnahmen das DMZ (Deutsches Medizinisches Zentrum) untergebracht. Vielleicht bezahle ja die Krankenkasse einen Aufenthalt hier. Bei Hautkrankheiten wie Neurodermitis und Schuppenflechte seien die Erfolge durch Aufenthalte am Toten Meer frappant.
Im Crowne Plaza – Hotel essen wir also um 15.00 Uhr zu Mittag. Das Essen ist sehr gut, das Büfett mehr als üppig, man muss sich schon zurückhalten! Ein Kellner lässt, während wir zufrieden am Tisch sitzen, unmittelbar neben uns sein Tablett mit Wasserkaraffe und etlichen Gläsern fallen. Es scheppert tüchtig.
Hier haben wir auch die Möglichkeit, im Toten Meer zu baden. Badesachen haben wir dabei. Das Crowne Plaza hat, neben dem üblichen Swimming-Pool, einen eigenen Strandstreifen am Toten Meer. Hier tummeln sich etwa 70 Personen. Das Wasser ist bewegungslos und wirkt ölig. Optisch sieht es aus wie andere stille Gewässer, aber es hat eben andere physikalische Eigenschaften und trägt mit 30 Prozent Salzgehalt ungemein. Man sollte allerdings aufpassen, dass man keine Wasserspritzer in die Augen oder in die Mundhöhle bekommt. Ein interessantes Erlebnis!
Der Aufenthalt hier hat uns allen gut getan. En Bokek war der südlichste Punkt unserer Israel-Reise, von nun an geht es auf der Nationalstraße 90 erst einmal nach Norden.
Am Ufer des Nordteils des Toten Meeres kann man das Austrocknen gut erkennen. Wie Yalon uns erläutert, senkt sich der Wasserspiegel des Toten Meeres in diesem Teil jährlich um einen Meter. Um 18.25 Uhr fahren wir über einen Checkpoint in das C-Gebiet des Westjordanlandes ein. Was heißt C-Gebiet oder C-Zone?
Wir befinden uns nun in den hier sogenannten “Westbanks”, von Israel im Sechstagekrieg 1967 erobert. Im Gaza-Jericho-Abkommen vom Mai 1994, das zwischen Israel und der PLO (Palästinensische Befreiungsorganisation) in Kairo unterzeichnet worden war, wurden den Palästinensern die Autonomie über das Gebiet um Gaza und die Stadt Jericho zugesprochen.
Es existieren drei Kategorien für Autonomiegebiete:
A: Die Palästinenser haben die Verantwortung für die Sicherheitskräfte (Polizei) und die öffentliche Verwaltung. (Beispiel: Gaza u. Jericho).
B: Die Palästinenser haben die Verantwortung für die Verwaltung, die Sicherheitsbelange werden aber von Israel wahrgenommen.
C: Die Palästinenser müssen Israel die Sicherheit und die Verwaltung komplett überlassen.
Links recken sich braune Felsen, vermutlich vulkanischen Ursprungs, so bizarr in die Höhe, dass man Steinschlag an dieser Straße nicht ausschließen darf. In Fahrtrichtung rechts leuchten jenseits der Wasserfläche die Lichter der jordanischen Ortschaften.
Dann biegt unser Bus nach links ab. Es ist längst dunkel geworden. Wir passieren einen Kontrollpunkt mit zwei Soldatinnen und sind um 18.52 Uhr im “Holiday Village” Almog, einem ehemaligen Kibbuz. Da es etwas spät geworden ist, gehen wir gleich zum Essen. Es ist alles in Ordnung. Die Zimmer sind sehr einfach eingerichtet, aber man sollte auch bedenken, dass wir uns eigentlich noch in der Wüste befinden.
Was ist ein Kibbuz?
Kibbuz (Mehrzahl: Kibbuzim): In sozialistisch ausgerichteten Kibbuzim, insbesondere von Juden aus Osteuropa gegründet, hatte jeder Neuankömmling jegliches Besitztum abzugeben. Immobile Besitztümer wurden zugunsten des Kibbuz verkauft. Oft wurden Kinder in einem “Kinderhaus” großgezogen. Man wollte einen “neuen Menschen” kreieren, der frei von Besitzzwängen lebte. Jeder hatte nach seinen Möglichkeiten zu arbeiten und bekam dafür alles, was er zum Leben brauchte. Anfangs gab es in manchen Kibbuzim nicht einmal einzelne Stühle sondern nur Bänke, weil darauf mehrere Personen sitzen konnten, das schien praktischer. Die Einrichtungen verfügten über Gemeinschaftsräume, versorgten die Alten und übernahmen die Kinderbetreuung.
Es gab auch religiös ausgerichtete Kibbuzim, Arbeits – Kibbuzim oder Kibbuzim, in denen es verboten war, zu heiraten. Insgesamt verfügte Israel über 254 solcher Einrichtungen.
Heute hat sich Vieles geändert. Die meisten Kibbuzim haben heutzutage eine eher dörfliche Struktur, oft Vieh- und Landwirtschaft oder Tourismus (wie zum Beispiel Almog oder Nofey Gonen). Nicht alles gelang den Israelis: nach Missernten gab es sogar Abwanderungen von Juden aus Israel in die USA.
Wir richten uns ein, bleiben hier nur für eine Nacht. Das nächste Treffen ist um 20.30 Uhr. Sven und Yalon erzählen uns noch einiges über die Autonomiegebiete und über den “Dress-Code” für morgen, wo es zur Polizei in Jericho geht. Alle Teilnehmer sollten als größtenteils Polizeiangehörige möglichst weiße Hemden / Blusen und dunkle Hosen tragen, mit Namensschildern und Base Caps, um ein einheitliches Auftreten zu gewährleisten. Später könne man sich wieder umziehen! Um 22.15 Uhr beenden wir den Abend, packen noch etwas Gepäck um. Frühstück morgen ab 7.00 Uhr, um 8.30 Uhr soll es in die älteste Stadt der Welt, nach Jericho, gehen. Wir freuen uns schon darauf.
Mittwoch, 22. Oktober 2014 (Jericho, Qumran, Tiberias, Kibbuz Nofey Gonen)
Almog ist eigentlich eine Oase am Rande der Wüste. Dieser grünende und blühende Punkt, überall wo Israelis sind, ist es grün, muss leider mit Maschen- und Stacheldraht eingezäunt sein und bewacht werden. Yalon wird heute nicht mit nach Jericho fahren. Als ehemaliger Soldat ist es ihm nicht erlaubt, in die Palästinensergebiete zu fahren. Jüdischen Israelis ist es grundsätzlich per Gesetz verboten, A-Gebiete zu betreten. Es gäbe nur ganz wenige Ausnahmen. Wir werden Yalon heute Nachmittag abholen. Durchweg sind wir entsprechend dem “Dress-Code” gekleidet.
Als wir um 8.40 Uhr abfahren, kommt uns die Gegend, die bekannt für ihren Dattelanbau ist, unwirklich, ja surrealistisch vor. “Unsere” Songs “Hava Naguila” und “My Yiddish Mome” erzeugen gleich wieder eine gute Stimmung im Bus und die Musik ist gerade zu Ende, als wir uns schon Jericho nähern.
Wir alle kennen die Stadt aus der Bibel, im Buch Josua erobern die Israeliten den ummauerten Ort von den Jebusitern mithilfe der berühmten Posaunen. Die Stadt soll 9000 vor Christus gegründet worden sein und liegt heute 250 Meter unter dem Meeresspiegel. 1994 wurde Jericho gemäß dem Gaza-Jericho-Abkommen an die Palästinensische Autonomiebehörde übergeben. Die 2. Intifada ab 2000 (sozusagen ein palästinensischer “Aufstand”) wurde mit dem Abkommen von Scharm – El Scheich im Februar 2005 offiziell beendet. Die Israelis übergaben daraufhin Jericho am 16. März 2005 wieder voller palästinensischer Kontrolle, es ist also eine A-Zone, in die wir nun hinein fahren. Die israelische Armee ist aber weiterhin an der strategisch wichtigen Straßenkreuzung vor der Stadt mit einem Checkpoint stationiert.
Die Wirklichkeit ist ernüchternd. Wir passieren das Interconti-Hotel mit Spielbank! Wegen des Glücksspielverbots in Israel machte man hier mit Spielbanken bis zur 2. Intifada gute Gewinne. Links sehen wir ein palästinensisches Flüchtlingscamp: es ist mit Beton eingemauert, mit Stacheldraht und einem Checkpoint an der Zufahrt abgeriegelt. Auf dem Beton prangen Graffitis wie “We will Return!” (Wir werden wiederkehren). Die gleiche Parole findet sich auf einem riesigen Schlüssel aus Metall am Ortseingang als politische Willensbekundung der Palästinenser. Der Schlüssel ist hier das Symbol für palästinensische Flüchtlinge, die oft noch die Schlüssel der Häuser besitzen, aus denen sie einst vertrieben wurden.
Wir passieren bei der Weiterfahrt auf der linken Seite ein zerschossenes Haus und links voraus erhebt sich der Berg der Versuchung. Mit einer österreichischen Seilbahn kann man hinauffahren. Nach dem Matthäus-Evangelium hatte Jesus hier den Versuchungen des Teufels widerstanden, als er 40 Tage in der Wüste war.
Dann kommt der Tel Jericho, eine Ausgrabungsstätte, unter der man das biblische Jericho vermutet. Die Ausgrabungen kommen offenbar aber nur zögernd voran. Rechts: das Jericho Ressort – Hotel, das mit “Urlaub am Toten Meer” wirbt. Ein Schaf hoppelt zur Hauptstraße und knabbert genüsslich am Buschwerk.
Deaib hält unseren Bus vor dem “Palestine College for Police”, der Palästinensischen Polizei-Akademie an. Sie besteht seit 1994 (Gaza-Jericho-Abkommen). Gleichzeitig mit uns ist Thomas Staudter, Police-Adviser, im Dienstwagen hier eingetroffen.
Wir werden vom Leiter der Polizeiakademie, einem Obersten mit dick gestickten Silbertressen auf dunkelblauer Gala-Uniform und seinem Adjutanten, einem Major im grau gescheckten Kampfanzug mit Barett, sehr freundlich empfangen.
Hier können 15 Klassen von Polizeischülern, also 300 Schüler, ausgebildet werden. Im klimatisierten Konferenzsaal nehmen wir Platz. Es gibt sehr guten Kaffee, Tee und Wasser. Der Oberst begrüßt uns, Frau Faten Mukarker (von der später noch die Rede sein wird) übersetzt. Nach einleitenden Worten, in dem der Oberst besonders die gute Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik betont, übergibt er das Wort an Thomas Staudter.
Herr Staudter referiert zunächst über die Situation vor Ort. Seit 2006 sind neben den Beamten anderer Nationen auch neun Deutsche im Rahmen der Mission EUPOL COPPS im Westjordanland (Hauptstadt: Ramallah) präsent. Seit dem Wahlsieg der Hamas gibt es das Projekt in Gaza leider nicht mehr. Thomas stellt uns die Kollegen Frank (Polizei Nordrhein-Westfalen) aus Bochum und Mike (Polizei Brandenburg) aus Eisenhüttenstadt vor, die im Rahmen von EUPOL COPPS hier tätig sind. Man versuche hier die Zusammenarbeit von Polizei und Bevölkerung, das “Community Policing” zu fördern. Dazu benötige man viel Geduld und Fingerspitzengefühl. Schnelle Lösungen werde es nicht geben, aber man mache Fortschritte. Schwerpunkte der Polizeiarbeit seien hier die häusliche Gewalt, Betäubungsmittelkriminalität und Körperverletzungsdelikte.
Das “deutsche Modell”, so erläutert Thomas weiter, besteht darin, die Polizei zu einer zivilen und bürgernahen Sicherheitsbehörde mit Eigeninitiative hinzuführen, die einerseits das Vertrauen der Bevölkerung genießt und mit Geduld auch den Respekt der Israelis erlange, was vielleicht auch neue Wege zur Verständigung anbahnen könne. Der Neubau von Polizei-Wachen im Palästinensergebiet wurde von der Bundesrepublik finanziert, der Aufbau der Schule wurde ebenfalls unterstützt. Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH baute die Übungs-Polizeistation, in der die Polizeischüler den modernen Polizeibetrieb erlernen.
Die USA und die Niederlande versuchten, das “deutsche Modell” hier zu kopieren, gingen aber oft andere Wege. Bei der Konferenz im Juni 2008 im Auswärtigen Amt in Berlin nahmen 45 Delegationen teil, darunter der palästinensische Premierminister Salam Fayyad, und stellten 242 Millionen US-Dollar zum Aufbau eines neuen Polizei- und Justizwesens für die Palästinenser bereit.
Herr Staudter erzählt vom 50tägigen Gazakrieg 2014, den er als Rückschlag ansieht. Die “Zweistaatenlösung” als Ziel sei leider politisch noch in weiter Ferne. Wichtig seien hier in der täglichen Arbeit Respekt, Eingehen auf Empfindlichkeiten, Fingerspitzengefühl und positives Denken.
Die beiden Kollegen Frank und Mike kommen dann noch zu Wort und erzählen von der täglichen Arbeit. Sie wohnen in Jerusalem, ebenso wie Herr Staudter.
Sven verteilt Gastgeschenke.
Wir besichtigen anschließend die Schule. Auf dem Exerzierplatz dreht eine Formation Polizeischüler laut singend ihre Runden. In der Sporthalle sind Ausbilder im Kampfanzug dabei, Abwehrgriffe zu schulen. Wir sehen die neue Übungs-Polizeistation und können uns auch in englischer Sprache mit dem einen oder anderen der Lehrkräfte unterhalten. Auch das Fotografieren ist erlaubt. Sehen auch den Unterricht zur Tatortarbeit in einem Lehrsaal, den Maik aus Brandenburg mit Hilfe eines Dolmetschers abhält. Das alles ist sehr interessant. Auch der große Saal, in dem die Absolventen ihre Diplome bekommen, sei sehr schön geworden, wie der Oberst uns erklären lässt.
Dann werden wir im Speisesaal zum Mittagessen eingeladen. Es gibt alles, was das Herz begehrt, palästinensische Spezialitäten.
Mit Amin Nabel M. Wasta können wir uns beim Essen sogar in Deutsch unterhalten. Er hat in Deutschland erst im August seinen Kommissarslehrgang erfolgreich abgeschlossen. Wir wünschen ihm für seinen weiteren Werdegang alles Gute.
Um 13.00 Uhr verabschieden wir uns. Ich hatte den Major dezent nach der Möglichkeit befragt, ein Abzeichen der Polizei zu bekommen. Das klappte leider nicht, dafür schenkte er mir beim Abschied einen Flaggenanstecker der Palästinenser.
Verlassen Jericho mit seiner A-Zone und sind um 13.35 Uhr wieder im Kibbuz Almog, um Yalon abzuholen. Nutzen den kurzen Aufenthalt zum Umziehen: jetzt ist wieder Freizeitkleidung gefragt. Programmänderung: der “Berg der Versuchung” und Taufstelle Jesu durch Johannes am Jordan entfällt zugunsten von Qumran. Die Taufstelle sei ungünstig, der Jordan führe dort nur wenig Wasser, das auch trübe sei. Erfahren, dass es eine zweite (!) Taufstelle weiter oberhalb gibt, die wir Samstag aufsuchen werden.
Über die Nationalstraße 90 fährt Deaib uns wieder zum Toten Meer zurück. Linker Hand haben wir die abgesunkene, an den Rändern leicht salzverkrustete unbewegliche Fläche des Toten Meeres und rechts hoch aufragende Felsen, in hellbrauner bis grauer Schattierung. Die Landschaft wirkt wüst und öde. Bekannt wurde Qumran durch den Fund eines Hirtenjungen 1947, der auf der Suche nach einer verloren gegangenen Ziege, in einer der hier häufig vorhandenen Höhlen, auf antike Keramikgefäße mit uralten Schriftrollen stieß. Die sogenannten “Qumran-Rollen” wurden in den Folgejahren zu einem Politikum, es stritten die Katholische Kirche, Transjordanien und Israel darum. Die Übersetzung zog sich, nicht zuletzt auch aus politischen Gründen, Jahrzehnte hin. Die Texte geben Auskunft über die “Frühchristen”, gut ein Jahrhundert vor Jesus, die als “Essener” hier am Toten Meer in mönchischer Einsamkeit lebten und die Erwachsenentaufe vollzogen. Es gibt Ausgrabungen, die wir uns ansehen. Man nimmt an, dass auch Jesus hier weilte, in der Bibel gibt es ja die Aussage, dass er vierzig Tage in der Wüste verbrachte. Wir besuchen hier ein kleines Museum mit Souvenir-Laden. Tageshöchsttemperatur heute: 31 Grad Celsius.
Yalon zeigt uns jenseits des Toten Meeres eine Bergkuppe auf der jordanischen Seite, wo Moses, der mit seinem Volk vierzig Jahre durch die Wüste gezogen war, das verheißene Land Kanaan sah, dann starb und dort auch begraben sein soll. Es scheint wirklich so, dass hier jeder Hügel eine eigene Geschichte hat.
Wir folgen im Bus nun wieder der nach Norden führenden Nationalstraße 90 durch das Jordan-Tal. Rechts passieren wir eine verlassene, ehemals jordanische Kaserne und den früheren Palast des haschemitischen Königs Husseins von Jordanien am Toten Meer. Nun umfahren wir Jericho und sind in der B-Zone des Westjordanlandes (“Westbanks”). Die Originaltaufstelle Jesu am Jordan ist erst seit drei Jahren wieder offen, wie wir erfahren. Wir sehen die asphaltierte Straße dorthin und mehrere Kirchen.
Gegenüber, jenseits des Jordans, haben die Israelis den Jordaniern geholfen, in dem vorher wüsten Gebiet eine funktionierende Landwirtschaft aufzubauen und neue Dörfer zu gründen. Man hat den Jordaniern sogar eine Salzfabrik am Toten Meer gebaut, denn seit 1994 herrscht hier Frieden, der seinerzeit zwischen König Hussein von Jordanien und Jitzchak Rabin unterzeichnet worden war.
Passieren die Stadt Argeman. Auf der rechten Seite sieht man den kilometerlangen Grenzzaun der israelisch-jordanischen Grenze. Links dehnen sich Felsen entlang. Deaib fährt uns weiter nach Norden durch das Jordantal und hat nun arabische Musik aufgelegt.
Sehen noch den Transport eines Kampfpanzers auf einem Tieflader. Dann verlassen wir die B-Zone des Westjordanlands und fahren weiter in das israelische Kernland. Am Checkpoint kontrolliert eine mit Schnellfeuergewehren bewaffnete Doppelstreife eines privaten Sicherheitsdienstes den Bus. Schlagartig ist alles ruhig. Stichprobenkontrolle: zwei Teilnehmer müssen ihre Pässe vorweisen, alles in Ordnung. An der inneren Seite des Sicherheitszaunes patrouilliert auf dem Postenweg ein Militärjeep. Kontrolle zu Ende, Deaib kann weiter fahren.
Wir machen eine Rast für 20 Minuten. Um 17.30 Uhr geht es weiter. Wir passieren Tel Te´ amin und Rehov. Yalon macht uns darauf aufmerksam, dass die Stadt Bet She´an, an der wir vorbeifahren, 3000 Jahre alt ist. Hier spießten die siegreichen Philister den Kopf des unterlegenen Königs Saul auf und schlugen seinen enthaupteten Körper an die Stadtmauer (1. Samuel 31). Die Stadt gehörte damals zum `Bund der Zehn Städte´ gegen die Juden, der im Neuen Testament als `Dekapolis´ bezeichnet wird.
Der Jordan, in Fahrtrichtung rechts, ist hier nur noch dreieinhalb Meter breit und ganz nah. Auf dem Hügel darüber sehen wir einen Grenzposten der Jordanier. Von dieser Grenze entfernen wir uns nun wieder, da wir die nordwestliche Richtung zum See Genezareth einschlagen. Trotzdem können wir noch zu den Golanhöhen und der Grenze nach Syrien sehen. Rechts weist uns Yalon auf Reste der Hedschasbahn hin.
Diese war 1908 für die Strecke von Damaskus nach Medina auf 105 mm – Spur mit mehr als 1300 Kilometer Streckenlänge vollendet worden. Es gab auch mehrere Stichbahnen, so die von Haifa über Beisan, südlich des Sees Genezareth (heute: Bet She ´ an), die weiter nach Osten auf Dar ´a zulief und dort auf die in Nord-Süd-Richtung verlaufende Hauptstrecke traf. Die Hedschasbahn war insbesondere für Pilger nach Mekka (“Hadsch”) gebaut worden, mit Rücksicht auf die Heilige Stadt endete sie in Medina. Heute ist sie nur noch in Teilen befahrbar.
Dann sehen wir gegen 18.00 Uhr den See Genezareth, auch Galiläisches Meer oder “Harfenmeer” genannt. Er liegt gut 210 Meter unter dem Meeresspiegel, hat eine Fläche von 166 qkm, misst 53 Kilometer im Umfang und ist 43 Meter tief. Für Israel ist er als Süßwasser-Reservoir ungeheuer wichtig. Am Ausfluss des Jordans befindet sich auch die Ersatz-Taufstelle.
Immer noch auf der Nationalstraße 90 fahren wir in nordwestlicher Richtung, am Westufer des Sees, auf Tiberias zu, die wichtigste Stadt an dem Gewässer. Vor 2000 Jahren neu erbaut, war sie zu Jesu Zeiten praktisch eine Großbaustelle. Herodes Antipas ließ die Stadt ab 17 nach Christus in römischer Art aufbauen und es ist gut vorstellbar, das Jesus als Sohn und Nachfolger eines Zimmermanns hier mitgearbeitet hat. Die neue Königsstadt des Herodes-Sohnes Antipas wurde später, nach der Zerstörung Jerusalems (70 nach Christus), zur Zufluchtstätte für die Juden. Im 3. Jahrhundert war hier der Sitz des Sanhedrins (Hohe Rat, höchste jüdische politische und religiöse Instanz). 210 nach Christus stellte man in Tiberias die bisher mündliche Überlieferung der Thora als “Mischna” schriftlich fertig, um 400 die “Gemara” (die zweite “Schicht des Talmuds”) und um 450 den palästinensischen Talmud. Mehrfach wurde Tiberias im Laufe der Zeit durch Erdbeben zerstört. Auch die Kreuzritter waren ab 1099 hier.
Heute hat Tiberias 40.000 Einwohner und wirkt auf uns exklusiv. Am Seeufer schaukeln Sportboote und Jachten, man verkauft teure Juwelen. Auf der linken Seite sehen wir Ausgrabungsstätten. Man hat hier zwei Ernten im Jahr. Berühmt ist auch der jährliche Triathlon-Wettbewerb. Deaib fährt uns an der Uferstraße am See entlang, es dunkelt bereits.
Nahe Magdala (Maria Magdalena) halten wir und decken uns in einem Supermarkt, der bezeichnenderweise “Magdalena” heißt, mit Wein und diversen geistigen Getränken ein.
Yalon erklärt, dass der gegenüber gerade noch erkennbare Berg Arbel ein Widerstandsnest der Hasmonäer im Aufstand gegen König Herodes gewesen sei. Man konnte die Rebellen nur besiegen, indem man Soldaten vom Gipfel aus abseilte und brennendes Holz in die Höhlen der Steilhänge werfen ließ.
Wir fahren um 19.00 Uhr weiter, immer noch auf der Nationalstraße 90. Sind längst im Nordbezirk und in Galiläa. Yalon macht uns auf die links hoch liegende Stadt Safed (heute: Zefat, 840 Meter über dem Meeresspiegel) aufmerksam, die lange ein Ort jüdischer Gelehrsamkeit und geistiges Zentrum der Kabbala war. Gemeinsam mit Hebron, Tiberias und Jerusalem war Safed eine der vier wichtigen jüdischen Städte. Heute zählt man 30.000 Einwohner. Der derzeitige Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, wurde hier 1935 geboren.
Vorbei an Korazim, Almagor und Koah führt unser Weg weiter nach Norden, zunächst noch in Richtung Kiryat Shmone, wir biegen aber vorher bei Gonen auf die Landstraße 977 ab. Um 19.45 Uhr sind wir im Kibbuz Nofey Gonen angelangt. Es ist so schön hier zu wohnen, dass wir gar nicht mehr weg wollen! Zunächst hilft uns ein Kibbuz-Mitarbeiter mit Elektrokarren beim Gepäck. Die Teilnehmer sind stets zu zweit in blockhüttenähnlichen Holzhäusern mit kleiner Terrasse in gepflegten Grünanlagen untergebracht. In den Häusern hat man sehr viel Platz. Zu jedem Haus gehört auch ein Whirlpool. Wir sind begeistert.
Wieder geht es zunächst zum Essen. Im großen Speisesaal fühlen wir uns wohl, das Essen ist reichhaltig und gut. In einem Aufenthaltsraum treffen wir alle dann um 21.00 Uhr zusammen, weil Sven und Yalon uns noch einiges zu erklären haben. Es geht um den morgigen Tag, der auch ein volles Programm beinhaltet. Bei der beduinischen Familie unseres Fahrers Deaib, die wir morgen besuchen, dürfen wir bei Essen und Trinken nichts ablehnen. Wir freuen uns auf diesen Tag.
Beim Frühstück schauen wir durch blühendes Grün auf die Höhen des Libanon. Nahe dem Speisesaal kann man aber auch auf Bodenniveau die betonierten Luftschutzbunker zwischen den Grünanlagen erkennen. Lange können wir das Idyll Nofey Gonen aber nicht genießen, um 9.00 Uhr ist Abfahrt.
Zunächst noch ein Geburtstagsständchen für Thomas, dem Sven ein Präsent überreicht. Danach wieder “unser” Song “Hava Naguila”. Wir sind ja in Grenznähe zu Syrien und dem Libanon. Rechts erkennen wir den Mount Hermon, der mit 2814 Metern höchster Berg Syriens ist. Israels höchster Punkt liegt bei 2224 Metern, rund 11,5 Kilometer südwestlich des Gipfels. In den Höhen über 1800 Metern ist der Hermon-Berg vom Dezember bis Mai mit Schnee bedeckt und Wintersportgelände. Deaib steuert den Bus von der Landstraße nach links auf die Nationalstraße 90, der wir heute wieder nach Süden folgen.
Wir beobachten den Vogelflug aus Osteuropa nach Süden. Die Israels betreiben hier eine funktionierende Fischzucht und exportieren sogar bis nach Norwegen! Eine ganze Horde Kraniche hat sich zum Frühstück in einem gepflügten Feld eingefunden. Gesprächsstoff im Bus ist auch ein schwarzer Skorpion, der gestern Abend von einigen “Nachtschwärmern” gesichtet wurde, aber für Menschen ungefährlich ist.
In den Nachrichten wurde davon berichtet, dass ein Extremist mit dem Auto in Jerusalem in eine Straßenbahn-Haltestelle hinein gefahren sei, hierbei eine Frau mit Kind getötet und weitere Personen verletzt habe. An der ägyptischen Grenze seien ein Offizier und eine Soldatin bei einem Feuergefecht mit ägyptischen Rauschgifthändlern verletzt worden! Brüchige Sicherheitslage!
Beiderseits der Straße, gestern Abend war es schon dunkel, als wir hier in entgegen gesetzter Richtung entlangfuhren, gedeihen seit den 1990er Jahren auch Avocado- und Mangobäume. Wir passieren Rosh Pinar, auf deutsch: Eckstein, 1881 als einer der ersten Orte der jüdischen Einwanderung gegründet. Eigentlich war es ein typisches Malaria-Gebiet. Baron Rothschild ließ hier Wein anbauen und schenkte das Land später dem Staat Israel. Links können wir bereits wieder die glitzernde Wasserfläche des Sees Genezareth sehen, den man hier auch wegen seiner Form “Harfensee” oder Galiläisches Meer nennt. Hier wandelte Jesus, wir sind in Galiläa.
Mit unserem Bus fahren wir nun auf der Nationalstraße 85 ein Stück westwärts, biegen dann aber auf die “65” nach Süden ab. Kalksteinfelsen und auffallend dunkler, fruchtbarer Boden. Die Straße ist tief in die Kalksteinhöhen eingeschnitten und noch nicht ganz fertig. Wechseln auf die “77” und “79” und passieren Kfar Kana, das in den Hang hineingebaut, mehrere christliche Kirchen aufweist, wie beispielsweise die schöne Franziskanerkirche aus dem 6. Jahrhundert. Denn dies ist der Ort, in dem die biblische “Hochzeit von Kana” stattgefunden hat.
Dann geht es nach Nazareth mit 80.000 Einwohnern hinein. In der früher überwiegend christlichen alten Stadt lebt heute die größte Gemeinschaft israelischer Araber, die inzwischen 80 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Deutsche Partnerstadt ist Neubrandenburg. Verwaltungsmäßig getrennt, wurde 1957 Nazrat-Illit in unmittelbarer Nähe von osteuropäischen Einwanderern gegründet. In beiden “Schwesterstädten” zusammen leben heute gut 130.000 Menschen. Partnerstadt von Nazrat-Illit ist seit 1980 das rheinische Leverkusen.
Die Altstadt Nazareths liegt in einer von Hügeln umgebenen Mulde. Deaib fährt uns zu einer Stelle, wo wir eine gute Aussicht auf das Häusermeer vor uns, mit dem modernen Bau der Verkündigungskirche, haben. Ganz links, so erklärt Yalon, können wir den 588 Meter hohen einzeln aus der Ebene ragenden Berg Tabor erkennen der sich über das Jezreel-Tal erhebt. Christen bringen mit ihm die “Verklärung des Herrn” in Verbindung (Matthäus 17:2-5). Jesus soll hier seinen Jüngern in göttlicher Gestalt erschienen sein und das Licht, das sie dabei sahen, bezeichnet man seitdem als “Taborlicht”. In der Bibel heißt es: “seine Gewänder aber wurden leuchtend wie das Licht. Und siehe …. Eine Stimme aus der Wolke sprach: `Dieser ist mein Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; ihn sollt ihr hören´.“ (Matthäus 17:5). Immer wieder umkämpft, teilen sich heute Franziskaner und Griechisch-Orthodoxe die Kuppe dieser für die Christen so wichtigen Höhe.
Wieder ganz in der Gegenwart, begrüßt uns um 11.00 Uhr der stellvertretende Leiter der Polizei Nazareth, Shlomo, zu deutsch Salomon. Er erzählt uns in Englisch aus der Geschichte der Stadt. Die unplanmäßige Bauweise des arabischen Viertels bezeichnet er als “Little Italy”. Eine Dreiviertelstunde später im Polizei-Hauptquartier, berichtet Shlomo von “many Problems” (vielen Problemen) der Polizei im nicht ganz einfachen Alltag. Man habe hier zehn Kirchen und vierzehn Moscheen, knapp 80 Prozent Muslime und gut 20 Prozent Christen. Elf Communitiy-Police-Centers (Einzelwachen) versuchten Sicherheit und Ordnung aufrecht zu erhalten. Es hagelt Statistiken. Nazareth verfüge über drei Krankenhäuser: das italienische, das britische und das französische Hospital. Bei Verkehrsunfällen habe man im Jahr 2014 bisher sieben Tote zählen müssen. Zur Zeit benötige man für die Stadt 200 Polizeibeamte, gerade auch weil die Gewalt zunehme. Ein besonderes Problem stellten der Besitz illegaler Waffen dar. Die meisten männlichen Einwohner ab 15 Jahren seien zumindest mit einer Pistole bewaffnet. Keine “Einlage” sondern Realität: Shlomo wird während des Vortrags darüber informiert, dass man einen Araber mit einem Maschinengewehr festgenommen habe.
Die Nazareth-Polizei wurde 1948 gegründet. 45 Prozent der Polizeibeamten seien Muslime, Christen und moslemische Beduinen, 55 Prozent Juden. Die Polizei habe einen Frauenanteil von 20 Prozent, der allerdings in Nazareth nur 6 Prozent betrage. Wir sehen eine Gedenktafel für im Dienst getötete Polizisten mit deren Fotos und der Inschrift “Erinnere Dich!”. Wir lernen auch Arik Cohn, einen deutsch sprechenden Experten für die Entschärfung von Sprengstoffen, der auch schon in Deutschland vielbeachtete Vorträge gehalten hat. Arik, 46 Jahre alt, ist als Verbindungsoffizier hier, wir werden ihn am Sonntag in Jerusalem wiedersehen. Er sammelt übrigens auch Polizeiabzeichen.
Sven übergibt GdP-Gastgeschenke und wir verabschieden uns von den Kollegen. Im Hof der Dienststelle haben wir noch diverse Fotos gemacht.
Zu Fuß betreten wir die verwinkelte Altstadt, die durchaus ihren Reiz hat.
Nur einen Steinwurf entfernt, sehen wir die wichtigste christliche Sehenswürdigkeit Nazareths, die Verkündigungsbasilika mit ihrem markanten zehneckigen Turm, größter christlicher Sakralbau im Nahen Osten. Der Bau, mit seinem schönen hellen Kalkstein, und dezenten rötlichen Schmuckfriesen wurde 1969 geweiht. Über Ruinen früherer Kirchenbauten, die man inzwischen bis ins 4. Jahrhundert zurückdatiert, wurden zwei miteinander verbundene Kirchen errichtet. Die Unterkirche birgt die Verkündigungsgrotte, ein Gewölbe, in der nach der Bibel der Erzengel Gabriel der Jungfrau Maria erschien und ihr ankündigt, dass sie Gottes Sohn gebären werde (Lukas, Kapitel 1).
Kerzen brennen auf dem Altar in der Grotte, der mit Blumen geschmückt, sonst aber bescheiden ausgeführt ist. Eine würdige Sakralstätte, wie wir finden, die uns angenehm berührt. Es sind auch nicht zu viele Menschen hier. Im Kreuzgang des Außengeländes gibt es viele sehr schöne Mariendarstellungen aus aller Herren Länder, beispielsweise eine neu gemalte “Sixtinische Madonna” nach Raffael, geschmückte, schlichte, prunkvolle und innige Darstellungen. Der deutsche Beitrag ist etwas “gewöhnungsbedürftig”.
Noch einmal ein wenig höher, gelangen wir in Nachbarschaft der eben besichtigten Basilika in die Josefskirche. Hier soll das Heim von Maria, Josef, Jesu und den vermuteten weiteren Familienmitgliedern gewesen sein. Die schöne, bescheidene dreischiffige Kirche wurde 1914 als Nachfolgebau älterer Gotteshäuser vollendet, die bis ins 6. Jahrhundert zurückreichen sollen. Es gibt ein Taufbecken mit Mosaiken. Eine Unterkirche älteren Datums ist bescheiden ausgestattet und eine mit schwerem Eisen vergitterte Tür versperrt den Zugang zu einer noch tiefer liegenden Felsen-Krypta. Es gibt eine schöne Skulptur, die Josef mit seinem Ziehsohn Jesus zeigt. Ausschmückende Bemalungen und ein Ölgemälde, das Jesus als Auszubildenden in der Zimmermannswerkstatt mit Maria und Josef zeigt, werden gerne fotografiert.
Dann haben wir noch etwas Zeit, uns an den Marktständen und in der Altstadt umzusehen, 14.45 Uhr sollen wir am Bus sein. Erwerben einige Andenken. Es sind 28 Grad.
Es ist doch 15.00 Uhr geworden, ehe wir Nazareth verlassen. Deaib steuert den Bus auf der Nationalstraße 79 in nordwestlicher Richtung. Nach Akko, unserem nächsten Ziel, sind es 46 Kilometer. Das Land wirkt auf uns nun kahler, steiniger. Bestellte Felder und Fluren werden seltener, aber in Fahrtrichtung rechts passieren wir eine Anpflanzung von Eichen. Auch an Deaibs Heimatdorf Bir El Maksur kommen wir bereits vorbei, hier sind wir heute Abend von den Ghadirs eingeladen!
Linker Hand weist uns Yalon auf den Berg Karmel hin, was man mit “Weingarten Gottes” übersetzten kann. Der Berg gehört zu einem 546 Meter hohen Gebirgszug entlang der Küste, der heute Nationalpark ist. Für die Juden hat der Berg eine wichtige Bedeutung, da nach dem Alten Testament die Propheten Elija und Elischa hier wirkten. König David gliederte dieses Gebiet um 1000 vor Christus in sein Königreich ein. In die drittgrößte Stadt Israels, Haifa, kommen wir nicht, können aber in der weitläufigen Bucht einige Industrieanlagen erkennen. Immerhin leben hier im Großraum 600.000 Menschen, die Stadt selbst hat rund 270.000 Einwohner. Deutsche Partnerstädte sind Bremen, Mainz, Düsseldorf, Erfurt und Mannheim. Erst in der britischen Mandatszeit wurde hier 1933 ein moderner Hafen angelegt, es folgten ein Marinestützpunkt und ein Ölverschiffungshafen, denn die britische Pipeline aus dem Irak endete in Haifa.
Auf der mehrspurig ausgebauten Nationalstraße 4 geht es für wenige Kilometer dem Küstenverlauf entlang, biegen noch einmal ab und sehen Akkon. Die uralte Hafenstadt, schon bei den Ägyptern schriftlich und in der Bibel erwähnt, sah Syrer, Griechen und Römer. Paulus nannte die Stadt Ptolemais. Akkon, auch Akko genannt, war von 638 – 1104 arabisch. In seinem Hafen konnte man bei jedem Wetter Ware löschen, was den Ort so wichtig machte. Sultan Saladin eroberte Akkon 1187 von den Kreuzrittern zurück, konnte aber nicht verhindern, dass die befestigte Stadt von 1189 – 1191 von Engländern, Franzosen und auch einem deutschen Kontingent (3. Kreuzzug Barbarossas) belagert wurde. Während dieser Belagerung gründeten 1190 deutsche Kaufleute aus Lübeck und Bremen den Deutschen Ritterorden als Hospitalgemeinschaft, indem sie ein “Feldlazarett” einrichteten. 1198 erhob man diese Gemeinschaft zum Ritterorden, der noch heute besteht. Akkon wurde im Juli 1191 von den Kreuzrittern erobert.
Beim Einzug der Sieger soll sich die Szene abgespielt haben, dass der englische König Richard Löwenherz, der mit dem französischen Monarchen Philipp II. August im Triumphmarsch in die Stadt einziehen wollte, den Anspruch Herzog Leopolds V. von Österreich, der die deutschen Kreuzritter bei der Belagerung befehligt hatte, rüde zurückwies und die Standarte des Babenberger Herzogs in den Burggraben warf. Diese Zurücksetzung rächte Leopold im Dezember 1192, indem er Löwenherz, der unerkannt durch Österreich reiste, gefangen nehmen ließ und an den deutschen Kaiser Heinrich VI. übergab. Auf dem Trifels gefangen, musste Löwenherz ein ungeheures Lösegeld aufbringen und einen Lehnseid auf Heinrich VI. ablegen, ehe er freigelassen wurde. (Jeder Robin-Hood-Anhänger kennt die überlieferte Geschichte von Prinz John und diesem Lösegeld für König Richard. In Akkon begann die Vorgeschichte.)
Im Jahr 1228 landete hier der deutsche Stauferkaiser Friedrich II. (“Stupor mundi” – Das Staunen der Welt) und unternahm seinen friedlichen Kreuzzug, den er mit den Muslimen durch Verhandlungen abgesichert hatte, ein bemerkenswertes Novum in der sonst so blutigen Historie der Kreuzzüge.
Mit der Eroberung Akkons im Mai 1291 durch ägyptische Mamluken des Sultans al-Malik al- Asraf Chalil waren die Kreuzzüge der europäischen Mächte endgültig gescheitert. Wieder osmanisch geworden, wurde die Hafenstadt 1799 erneut 61 Tage belagert, diesmal von Napoleon. Bonaparte scheiterte hier, ein übertriebenes Denkmal, das wir rechter Hand sehen, erinnert an diese Begebenheit.
Akkon hat heute knapp 47.000 Einwohner, wie wir von Yalon erfahren, davon leben 10.000 Menschen in der Altstadt. Die Hafenstadt wurde für ihre Altstadt ebenso wie für die Bahai-Gärten doppelt zum Weltkulturerbe erklärt. Deutsche Partnerstadt ist Recklinghausen. Übrigens lauten die Funkrufnamen der Johanniter-Unfallhilfe in Österreich und Deutschland heute noch “Akkon”, damit eine Tradition des Johanniter-Ordens weiterführend.
Um 15.45 Uhr sind wir da und finden uns in der “Johanniter-Festung” wieder. Mächtige Steinmauern aus mehreren Epochen wurden immer wieder instandgesetzt. Zuletzt hatten die Briten hier im Turm den Galgen installiert, mit dem sie ihre Todesurteile vollstreckten. Ein kurzer Film erklärt uns die wichtigsten Sehenswürdigkeiten in humoristischer Form mit einem Kreuzritter und seinem Pferd. Wir passieren das Okashi-Museum und laufen durch die Altstadt bis zum Hafen. Hier wurde kaum restauriert, nichts ist künstlich. Wir machen Fotos vom Basar.
Im Hafen, mit einem kleinen Leuchtturm, kann man unschwer in der leichten Brandung die überspülten Fundamente der mehr als 700 Jahre alten Templerfestung ausmachen. Verlockend ist auch die Möglichkeit, den uralten 350 Meter langen Tunnel, der von den Templern aus ihrer Festung bis zum Hafen angelegt worden war, zu begehen. Hierzu fehlt aber wohl die Zeit, die Bilder von den gut ausgebauten Gewölben sind faszinierend.
Auch hier sind achtzig Prozent der Bevölkerung Araber und Muslime. Ihre Moschee birgt drei Barthaare des Propheten Mohammed, die den Gläubigen immer am 28. Tag des Ramadan feierlich präsentiert werden.
Auch die so typischen Kupfer- und Silberschmiede üben hier ihr schönes Handwerk aus, man müsste mehr Zeit zum Stöbern haben. Trotzdem bin ich froh, dass wir uns einen positiven Eindruck verschaffen konnten. Vielleicht kommen wir ja einmal zurück hierher. Um 17.15 Uhr sind wir am Bus.
Ungefähr auf der halben Strecke zwischen der Bucht von Haifa und Nazareth, liegt an der Nationalstraße 79 das Beduinendorf Bir el Maksur, in dem unser Busfahrer Deaib Ghadir zu Hause ist. Wir sind von ihm eingeladen und treffen um 18.00 Uhr vor dem Anwesen der Familie ein. Die Beduinen, die hier leben, sind vom Stamm der Arab al Hujeirat. Drei Angehörige dieses Stammes waren im 17. Jahrhundert ausgestoßen worden und wanderten mit ihren Angehörigen über den Jordan nach Galiläa ein. Hier bildeten sie einen neuen Stamm, dessen Geschichte sich der Überlieferung nach bis auf die Königin von Saba zurückverfolgen lässt. Der große deutsche Forscher Max von Oppenheim aus Köln hat in den 1930er Jahren hier vierzig Zelte gezählt. Die Stammesführer hatten Land gekauft und sich 1948 im Unabhängigkeitskrieg, als viele Araber aus Israel flohen, neutral verhalten und mit den Israelis später die Ansiedlung am heutigen Orte ausgehandelt. Bir el Maksur ist heute die Heimat von 9000 Beduinen, dessen Bürgermeister Dr. Yasser Hujeirat eine moderne Auffassung vom Leben hat und das Studium junger Leute fördert.
Beduinen sind nomadische Hirtenstämme der muslimischen Araber im Nahen Osten. Mit ihren Schaf- und Ziegenherden zogen sie früher auch durch den Negev, wo genug Regen fiel, um ohne Bewässerung eine kurze Winterweizenernte für die eher anspruchslosen Menschen zu ermöglichen. Aus der Wolle ihrer Tiere webten sie Decken und ihre Kleidung, besonders die der Frauen waren aufwendig und farbig bestickt. Auf dem Markt im Wüstenort Beersheba und im Negev-Museum kann man ihre authentische Kleidung und ihre traditionellen Trachten heute noch bewundern.
Als sie noch in Zelten lebten, wurde Musik auf einfachen Instrumenten gespielt, die Gastfreundschaft war lebenswichtig und ein hohes Gut. Abends erzählte man sich alte Geschichten, begleitet vom rhythmischen Mahlen des Kaffees, der den ganzen Abend über getrunken wurde. Viele dieser nur mündlich überlieferten Erzählungen handelten von Ehre, Rechtschaffenheit und den Heldentaten der Vorfahren, zu denen sie auch den biblischen Abraham, oder Ibrahim, wie er bei ihnen genannt wurde, zählten. Auch heute sind sie stolz auf ihr reiches und eigenständiges kulturelles Erbe.
Auch wenn sie heute sesshaft geworden sind, leben sie in der traditionellen Großfamilie, die das Familienleben prägt. Oberhaupt ist stets das älteste Familienmitglied. Im Familienverband wird Vieles geregelt, wie Betreuung der Kinder und der Alten, Krankenpflege und auch Arbeitslosigkeit kann oft “aufgefangen” werden, allerdings ist die soziale Kontrolle allumfassend. Seniorenheime oder Kindergärten sind überflüssig.
Kinder haben bei ihnen alle Freiheiten. Eine Beduinenhochzeit findet nur statt, wenn der Bräutigam eine fertig eingerichtete Wohnung oder ein Haus hat und seine Zukünftige auch ernähren kann. Auch der Stand seiner Familie, was Ehre und Respekt anbetrifft, spielt eine nicht unwichtige Rolle.
Hochzeiten werden aufwendig gefeiert, es gibt riesige Hochzeitsgesellschaften, weil die Verwandtschaft groß ist, praktisch nimmt das ganze Dorf daran teil. Die traditionellen bunten, gestickten Trachten verschwinden leider zunehmend und werden durch Fellachen-Kleidung ersetzt. Frauen spielen die traditionelle Rolle, haben aber etwas mehr Freiheiten als sonst im arabischen Raum.
Der jüngste Sohn hat sich um seine Eltern zu kümmern. Die Beduinen dürfen Wehrdienst in der israelischen Armee leisten und finden sich in der Wüste gut zurecht. Längst leben sie nicht mehr in Zelten sondern bauen sich Häuser. Der Hausbau selbst kann stagnieren, da man erst weiterbaut, wenn wieder Geld zum Weiterbau vorhanden ist. Deshalb sehen arabisch-beduinische Orte manchmal etwas “unfertig” aus.
Sven, der schon jahrelange freundschaftliche Verbindungen zu Deaibs Familie hat, wird besonders freudig begrüßt. Die Oma, weit in den 80er Jahren stehend, eine würdige Frau, war noch im Beduinenzelt geboren worden und ist das Familienoberhaupt. Respekt vor dem Alter ist eine der angenehmsten Charakterzüge dieser freundlichen Menschen. Zunächst drängen wir uns fast alle zur Begrüßung im Wohnzimmer. Nun kommen die vielen Verwandten noch dazu und die Kinder quirlen ausgelassen herum, haben sie doch schon mitbekommen, dass wir alle Süßigkeiten verschiedenster Art für sie mitgebracht haben. Ich glaube, dass es mindestens 40 Familienangehörige waren, die an dem Abend teilnahmen, vielleicht noch mehr. Das ist wirklich ein “großer Bahnhof”, der uns da empfängt.
Aber schon werden wir in einen großen Speisesaal im Untergeschoss geführt, wo man festlich für alle gedeckt hat. Ein vielseitiges Essen wir für uns aufgetragen. Man hat sich ungeheure “Umstände” unseretwegen gemacht, acht Frauen haben den ganzen Tag gekocht und gebacken. Es gibt zunächst noch ofenwarmes Pitabrot, alle möglichen Salate mit Gurken und Tomaten, Reis, Humus, ein blattspinatähnliches Gemüse, Lamm mit heller Soße, frisch gegrilltes Hähnchen und zerkleinertes Rindfleisch. Alles war sehr wohlschmeckend. An Getränken gab es alles außer Alkohol. Kaum war eine Flasche leer geworden, tauchte von irgendwoher jemand auf und brachte Nachschub.
Mehr als gesättigt, finden wir uns auf der Terrasse oder im Wohnzimmer wieder ein. Inzwischen dürfen die Frauen im Speisesaal essen!
Im Wohnzimmer serviert man uns nun arabischen Kaffee, verschiedene Tees, kombiniert mit einem riesigen Blech Quarkkuchen. Selbst Thomas, der ja Geburtstag hat, wird nicht vergessen: die fleißigen Frauen hatten ihm eine richtige Geburtstagstorte mit Schokoladenguss gebacken, von der wir nun alle probieren müssen.
Die Kinder mit ihren schönen dunklen “Knopfaugen” haben inzwischen jede Scheu vor der Busladung Fremder, wenn man mal von “Onkel Sven” absieht, verloren. Die Ausgelassenheit steigt.
Ein älterer Verwandter führt uns das Kaffeestampfen, also das Mahlen der Kaffeebohnen in einem hohlen Holzbehälter mit einem Stampfholz vor. Es ist eine eigenwillige Zeremonie, die in jedem Haus etwas abweicht. So hat jede Familie ihre eigene gut hörbare “Melodie”, man weiß so immer im Ort, dass nun Zuhause Kaffee gekocht wird. Der Rhythmus, gepaart mit dem uns umgebenden Kaffeeduft hat schon etwas Verlockendes. Der eine oder andere von uns darf seine Künste mit dem Stampfholz auch einmal probieren. Später zeigt man uns stolz die schöne Moschee im Ort, die wir uns ansehen dürfen.
Muslime: Die Kopfbedeckung für muslimische Männer für das Gebet und den Alltag nennt man “Takke”. Grundlage des Islam ist der Koran. Es gibt fünf wichtige Pflichten eines jeden Gläubigen, auch “die fünf Säulen“ genannt: das Glaubens-Bekenntnis zu Allah und seinem Propheten Mohammed, das fünfmalige tägliche Gebet, Fasten im Ramadan, Almosen für die Armen, möglichst einmal im Leben die Hadsch nach Mekka. – Zum Ende der Fastenzeit feiert man das bekannte “Zuckerfest”. Die islamische Zeitrechnung beginnt mit der Auswanderung des Propheten Mohammed am 16. Juli 622 und gilt insbesondere für religiöse Zwecke. Wir leben also 2014 im islamischen Jahr 1392. Bildnisse Gottes und des Propheten sind im Islam nicht zugelassen. Die Scharia bezeichnet das religiöse Recht. Der Imam ist das Vorbild; Vorsteher und Oberhaupt einer Islamischen Gemeinschaft. Bei einem Trauerfall bleiben arabische Häuser vierzig Tage lang für die Kondolenzbesuche geöffnet.
Um 21.30 Uhr haben wir uns alle von der gastfreundlichen Familie Ghadir verabschiedet. Deaib kann stolz auf seine Angehörigen sein. Auch er muss sich nun noch einmal von seiner Familie losreißen und uns zurück zum Kibbuz Nofey Gonen fahren. Unterwegs wird noch einmal an der “90” gehalten und um 23.15 Uhr sind wir zurück im Kibbuz.
Sven und Yalon hatten inzwischen während der Fahrt das Programm für morgen erläutert: die Golanhöhen und die Grenze zum Libanon. Die Aufmerksamkeit schwindet etwas. Freuen uns auf die schöne Unterkunft und hoffen, vielleicht morgen einmal abends noch etwas mehr Zeit zu haben.
Freitag, 24. Oktober 2014 (Golanhöhen, Bental, Kibbuz El Rom, Kibbuz Misgav-Am)
Die Nacht war wirklich kurz, bei uns klingelt um 6.00 Uhr der Wecker. Nach einem unterhaltsamen und lustigen Frühstück sind wir pünktlich um 8.00 Uhr am Bus.
Deaib fährt mit uns gut 20 Kilometer ostwärts. Die israelisch-syrische Grenze erstreckt sich hier über 60 Kilometer auf einer Höhe von 1000 Metern über dem Meeresspiegel. Syrien ist etwa halb so groß wie die Bundesrepublik und hat zur Zeit 20 Millionen Einwohner, gut 2 Millionen weitere Syrer haben das Land bereits verlassen und sind auf der Flucht. Auf dem Golan, so erläutert uns Yalon, leben 35.000 Menschen, davon gelten die Hälfte als syrische Drusen.
Nach dem erfolgreichen Sechstagekrieg 1967 hatte die israelische Armee die bis dahin syrischen Golanhöhen besetzt und sie schließlich Ende 1981 annektiert. Grund dafür ist das israelische Sicherheitsbedürfnis. Bis zum Sechstagekrieg schossen die Syrer auch im Frieden regelmäßig nach Galiläa hinein. Im Jom-Kippur-Krieg 1973 konnten die Syrer die Stadt Kuneitra (Quneitra) zurückerobern, wurden aber wieder zurückgedrängt und Israel besetzte den Ort erneut. Gemäß dem israelisch-syrischen Waffenstillstandsabkommen 1974 räumte die israelische Armee die zerstörte Stadt und die Vereinten Nationen richteten im Grenzstreifen zwischen den beiden Staaten eine sogenannte “Pufferzone” ein, die mit UN-Truppen (UNDOF) besetzt ist. Das zerstörte Kuneitra liegt heute in dieser Pufferzone.
Im Jahr 2000 bot der israelische Premierminister Ehud Barak Syrien die Rückgabe der Golanhöhen gegen einen Friedensvertrag an, die Verhandlungen scheiterten aber an den weitergehenden syrischen Forderungen.
Israels sichere Trinkwasserversorgung hängt vom niederschlagsreichen Golan ab, 30 % des jährlichen gesamten Wasserhaushaltes kommen aus dieser Region. Militärisch sichert der Gebirgszug vom Mount Hermon bis Saki und die Formation der Landschaft Galiläa vor syrischen Überraschungsangriffen, da es nur wenige geeignete Pässe gibt, die zu überwachen sind. Die kurze Entfernung zu Damaskus (60 km) ist ein weiterer Sicherheitsaspekt für israelische Militärs.
Der israelische Hauptort dieser 1150 qkm großen Golan-Region ist Katzrin, rund 15 km Luftlinie südlich von uns. Die Israelis bewohnen auf dem Golan 10 Kibbuzim (Mehrzahl von Kibbuz), 9 Moshawim (genossenschaftlich strukturierte Wehrdörfer, Einzahl: Moshaw), zwei Dörfer und die genannte Stadt Katzrin, die syrischen Drusen leben in vier weiteren Dörfern im Norden der Region. Das steinige Land der Basalt-Hochebene wird für den Weinanbau, dem Anbau von Getreide, Zitrusfrüchten, Gemüse und als Weideland genutzt. Immer wieder sehen wir gelb gekennzeichnete Minenfelder, die nicht geräumt wurden, auf denen Kühe weiden. Geht eine Mine, ausgelöst durch das Vieh, hoch, so bekommt der Besitzer eine staatliche Entschädigung dafür. Yalon erwähnt den israelischen Meisterspion Eli Cohen. Wir sehen hier schnell wachsende Eukalyptusbäume aber auch Ruinen und passieren einen etwa 200 Meter langen Panzergraben. In Fahrtrichtung links erhebt sich der 2814 Meter hohe Berg Hermon, an dessen Hängen der gleichnamige Wein wächst. Auch die Niederschläge an seinen Flanken sind wichtig für das Land. Im hochgelegenen Ort Neve Atiw betreiben die Israelis Wintersport. Links sehen wir eine Kaserne. Die Militärpräsenz in diesem Gebiet ist verständlich. Noch am 27. August diesen Jahres war dieser Bereich hier wegen der Kämpfe bei Kuneitra auf syrischer Seite vom israelischen Militär gesperrt worden. Auch 2012 hat es hier sogenannte “Grenzzwischenfälle” gegeben.
Wir halten schließlich am Berg Bental, sind in etwa 1200 Metern Höhe. Weiter südlich liegt der Berg Avital. Braunes, karges Vulkangestein umgibt uns. Unten im Tal sehen wir das Kibbuz Marom Hagolan und vier drusische Dörfer, noch auf der israelischen Seite. Aus aufgefundenem Kriegsschrott hat man hier Skulpturen zusammengebaut. Dann sehen wir eine Bunkerstellung mit Eindeckungen aus schweren Natursteinen, die durch große Maschendrahtfelder zusammengehalten werden. Als Attrappen hat man auf dieser Stellung mannshohe Silhouetten kämpfender Soldaten platziert. Den Bunker darf man betreten. Davor steht ein Wegweiser, dessen Pfeile in verschiedene Richtungen zeigen: Jerusalem 240 km, Tiberias 50, Damaskus 60, Bagdad 800, Kiryat Shmona 25 und Haifa 85 km.
Zum besten Aussichtspunkt gelangt man durch einen halbhohen Splitterschutzgraben aus Beton-Fertigteilen. Hier befindet sich ein Beobachtungsstand der Vereinten Nationen (UNDOF-Mission). Aufgrund der UN-Resolution 350 ist die UN-Disengagement Observer Force (UNDOF) seit 1974 zur Truppenentflechtung hier eingesetzt. Zwei unbewaffnete Soldaten, ein Englisch sprechender Däne und ein Niederländer, sind heute in ihrem Beobachtungsstand präsent. Sie haben nichts dagegen, dass wir sie hier “besuchen”. Auf einem eisernen Dreibein steht ein Armee-Fernglas, auf der Brüstung flattert die hellblaue UN-Flagge. Mit dem Niederländer kann ich Deutsch und ein wenig “Nederlands” sprechen, er kommt aus Amsterdam und kennt auch Aachen ganz gut. Momentan sei es hier relativ ruhig.
Vor uns liegt das zerstörte Städtchen Kuneitra in der UN-Pufferzone. Wir sehen die Grenze zu Syrien mit einem UN-Checkpoint im Tal. Israelisches Gebiet ist am Grün der bebauten Fläche gut erkennbar. Manchmal gibt es hier immer noch Schusswechsel, trotz Anwesenheit der UN-Truppen. Österreich hatte die UN-Mission auf dem Golan nach der Entführung einiger seiner UN-Soldaten durch die Syrer abgebrochen. Im Sommer noch waren hier philippinische Soldaten der Vereinten Nationen entführt, aber wieder freigelassen worden. Bei den Israelis spüren wir die Skepsis, die sie den hier eingesetzten UN-Soldaten entgegenbringen. Wir verabschieden uns und wünschen den Männern weiterhin eine friedliche Zeit.
“Haben wir WLAN auf dem Golan?” wird von den Smart-Phone-Fans unserer Gruppe gefragt. Im nahegelegenen Cafe´ gibt es einen guten Cappuccino.
Um 10.15 Uhr verlassen wir den Berg Bental. Deaib bringt uns in fünfzehn Minuten zum Kibbuz En Zivan, südlich des Bental, wo es eine Schokoladenfabrik und einen Weinkeller gibt. Leider ist dort heute geschlossen.
Neues Ziel: El Rom. Deaib fährt uns auf der Nebenstraße 978 in Richtung Ma´sade, dann Marom Hagolan.
Während der Fahrt erzählt Yalon ein wenig über die Politik in Israel. Ariel Scharon wird hier “Vater der Siedlungen” genannt, diese dienen auch als Faustpfand für Verhandlungen. Jitzchak Rabin hatte, mit der Einsicht, dass Israel nur im Frieden sicher weiterexistieren könne, den Friedensprozess eingeleitet. Seine Ermordung durch einen jüdischen Fundamentalisten habe viele Hoffnungen zerstört. Zu Ehud Barak hören wir: hätte er die Golanhöhen im Jahr 2000 zurückgegeben, säße die IS jetzt dort! Golda Meir: “alte Garde”, ihrer Regierung (1969 – 1974) gilt der Vorwurf, durch militärische Überheblichkeit vom Jom-Kippur-Krieg 1973 überrascht worden zu sein. Verglichen mit deutschen Verhältnissen, ist die politische Richtung “links” in Israel immer noch “rechts” in der Bundesrepublik. Die Arbeiterpartei (“links“) habe oft Friedensprozesse eingeleitet, unterschrieben habe dann “rechts”, also die Likud-Partei, die gegenwärtig mit Benjamin Netanyahu wieder den Regierungschef stellt.
Um 11.00 Uhr sind wir im ehemaligen Kibbuz El Rom, das auf 1650 Metern Höhe liegt, die zweithöchste Ortschaft Israels ist, nur Neve Atiw, das Skigebiet liegt noch höher. Beide Orte liegen schließlich im Umfeld des Mount Hermon. Eine Gruppe Soldaten in Zivil und im Kampfanzug, ihre Maschinenpistolen lässig über die Schulter gehängt, rastet hier. Das Kibbuz war im Jom-Kippur-Krieg 1973 zerstört worden, seine 60 Kibbuzniks haben es wieder aufgebaut und in ein Privatunternehmen umgewandelt. Links gedeihen Zedern in ganzen Wäldern, ein schöner Anblick!
Es gibt ein Restaurant, in dem auch Souvenirs verkauft werden. Der Wirt erzählt, dass sie hier im letzten Winter minus 15 Grad Celsius gehabt hätten. Er bietet uns “alkoholic Cider” aus sechs verschiedenen Apfelsorten an, die jeweils 4 bis 6 Prozent Alkohol aufweisen. Auch T-Shirts verschiedener Art, beispielsweise mit der selbstbewussten Aufschrift: “America don´t worry: Israel is behind you!”.
Das Kibbuz liegt nur drei Kilometer von der syrischen Grenze entfernt, in den letzten drei Jahren, seit 2012, sei es “öfter mal lauter hier”, wie der Wirt in Hinblick auf den Bürgerkrieg in Syrien feststellt.
Um 11.45 Uhr sehen wir einen Film über das nahegelegene “Tal der Tränen” (jüdisch: Emek Ha Bacha). Hier begann am 6. Oktober 1973 das dreitägige Drama des 77. Bataillons (7. Panzerregiment), das sich mit 70 gepanzerten Fahrzeugen einer Übermacht von 800 Panzern gegenübersah. Die Syrer setzten Panzer sowjetischer Bauart vom Typ T 62 und T 55 ein, die Israelis die Typen M 60 (aus den USA) und britische “Centurion”-Panzer. Die Israelis waren dazu noch wegen fehlender Nachtsichtgeräte technisch unterlegen, was sich verheerend auswirkte. Die Syrer hatten mit Luftlandetruppen die jüdischen Stellungen auf dem Berg Hermon erobert. Im Südteil brachen die Syrer durch. Drei Tage und drei Nächte dauerten die Kämpfe an.
Im Film kommen überlebende Panzersoldaten zu Wort. Dramatische Szenen während der Schlacht wurden nachgestellt und mit Originalfunksprüchen von damals unterlegt. Beteiligte und die Witwe eines Gefallenen berichten eindringlich. Später erfahren wir, dass beteiligte Soldaten sogar in Schulen von ihren Erlebnissen berichten, aber eher zur Abschreckung. Diese Männer machen mir nicht den Eindruck, dass sie mit Kriegserlebnissen prahlen! Das 77. Bataillon hatte furchtbare Verluste. Oberstleutnant Avigdor Kahalani schaffte es schließlich, die syrischen Panzerkeile im “Tal der Tränen – OZ 77” zu schlagen. Zurück blieben hunderte ausgebrannter Panzerwracks. Israelische Panzerverbände verfolgten die Syrer bis 32 Kilometer vor Damaskus. Auch fällt hier der Name Jonathan Netanyahu als Kriegsheld, Bruder des jetzigen Regierungschefs, er kam später bei der Befreiung einer von Palästinensern und deutschen Terroristen entführten Passagiermaschine in Entebbe 1976 ums Leben und ist auf dem Nationalfriedhof Herzlberg begraben. – Am Suezkanal und auf dem Sinai gab es militärisch 1973 ein Patt zwischen Israel und Ägypten, aber auch hier waren die Verluste hoch. Israel war traumatisiert. Fazit: nur ein dauerhafter Frieden, selbst mit Zugeständnissen erkauft, sichert Israels Überleben und verhindert vielleicht, dass künftige Generationen Gleiches durchmachen müssen.
Nachdenkliche Blicke, als wir wieder nach draußen gehen, es scheint alles so friedlich! Wir sehen von einer Anhöhe aus in die Schneise, wo die Syrer damals durchbrechen wollten. Die Minenfelder in der Gegend seien “noch aktiv”, erklärt man uns. Israel verlor auf dem Golan 800 Mann. Gedenkstätten der eingesetzten Einheiten werden heute gepflegt und regelmäßig besucht. Ein wenig lebt man in El Rom davon. Ein paar Panzerwracks, die noch gut erhalten sind, hat man stehengelassen und beschriftet. Wir sehen beispielsweise einen syrischen Kampfpanzer russischer Bauart in braun-geflecktem Tarnanstrich, nur wenige Meter entfernt einen israelischen Centurion in Olivgrün. Entlang des Höhenzugs, von dem man weit nach Syrien hineinblicken kann, stehen in Abständen authentische israelische Panzer mit gesenkten Rohren zur Beobachtung der vorgelagerten Ebene. Auf dem gegenüberliegenden Hügel horchen Funker und Aufklärer ins Niemandsland hinüber. Wachsamkeit ist hier wichtig, um nicht noch einmal, wie damals zum Jom Kippur, überrascht zu werden.
Wir blicken auf die weißen Häuser des syrischen Neu-Kuneitra. Dort herrscht Bürgerkrieg. Der Ort soll von Islamisten besetzt sein. Um 12.32 Uhr hören wir dort Schüsse: das Tackern des schweren 14,5 mm-Maschinengewehrs sowjetischer Bauart für Panzer und noch etwas lautere Einschläge von Granatwerfern. Für uns keine Gefahr, die israelische Umgebung nimmt es hier mit der Gleichgültigkeit der dauernden Gewöhnung hin! Für uns wirkt es surreal. Wann wird es hier Frieden geben?
Noch hat die israelische Armee das Gebiet nicht abgesperrt, sonst wären wir mit dem Bus gar nicht mehr hierher gekommen.
Um 12.45 Uhr verlassen wir El Rom. Nach viertelstündiger Fahrt über die Straßen 9799 und 978 gelangen wir ins das nur wenige Kilometer nördlicher liegende Odem (bei Har Hermonit). 1090 Meter über dem Meeresspiegel gelegen, kalten Wintern und starkem Wind ausgesetzt, leben hier nur rund 150 Israelis. Es gibt hier ein Weingut. Der Name Odem bedeutet “Roter Berg”, in dessen Vulkangestein ein gehaltvoller Wein angebaut wird. Bei einer Weinprobe können wir uns davon überzeugen. Wir probieren einen 14,5 prozentigen Merlot, dann einen Sauvignon von 2011, beide trocken und schließlich einen halbtrockenen Syrah. Nach diesen Rotweinen empfinde ich den “Odem Mountain” mit 18 Prozent Alkohol als zu süß. Vom zertifizierten “Odem Mountain” werden seit 2003 jährlich 80.000 Liter produziert. Damit hat das Weingut einen Marktanteil von 80 Prozent für koscheren Wein in Israel! Koschere Weine dürfen nur von Juden geerntet und gekeltert werden. Es wird darauf geachtet, dass kein Nichtjude dabei beteiligt ist, ein Zertifikat bestätigt diesen Tatbestand.
Um 14.00 Uhr geht es weiter, die Temperatur beträgt 25 Grad Celsius. Der eine oder andere hat doch etwas Wein gekauft. Die Stimmung steigt wieder. Der Bus bewegt sich weiter gen Norden in Richtung Masada und Nimrod.
Hier wohnen in vier Dörfern auf israelischem Gebiet etwa 17.500 Drusen. Der Staat Israel hat ihnen die Einbürgerung angeboten. Dies haben die meisten aber abgelehnt. Die hier lebenden Drusen sind bekannt für ihre Apfel-Plantagen. Im Restaurant des Ortes Brehat Ram mit einem kreisrunden See, nahe der Nationalstraße 98 gelegen, kehren wir zum drusischen Mittagessen ein.
Drusen: Die Religion ist im 11. Jahrhundert in Ägypten als Abspaltung der ismailitischen Schia entstanden. Begründer der drusischen Lehre war Hamza ibn Ali ibn Ahmad, ein persischer Missionar. Er predigte, dass nur das bloße Bekenntnis von Gottes Einzigkeit nötig sei und alle Gottesdienste überflüssig mache. In seinen “Sendschreiben der Weisheit”, die wichtigste Heilige Schrift der Drusen, erklärte er, der regierende Kalif al Hakim sei identisch mit Gott. Als der Kalif bald darauf spurlos verschwand, fanden sich die ersten Drusen in ihrem Glauben bestärkt. Nur in der Anfangszeit war der Glaube vierzig Jahre für alle offen. Wegen ihrer Religion verfolgt, zogen sich die Drusen in entlegene Gebiete zurück. Im 15. Jahrhundert schrieb der Moralist Abdallah at-Tanuchi einen Kommentar zu den “Sendschreiben” und schuf moralische Regeln für die drusische Lebensführung. Drusen haben eine allegorische Interpretation des Koran mit einer eigenen Doktrin. Man glaubt an Seelenwanderung, die weder Koran noch Bibel vorsehen: die Seele eines verstorbenen Drusen oder einer Drusin geht in ein neugeborenes Drusenbaby über. Aus diesem Grunde gibt es bei ihnen keine “traurigen” Beerdigungen!
Druse wird man nur durch Geburt in einer drusischen Familie. Gläubige werden als “Unwissende” und “Eingeweihte” einer Geheimreligion unterschieden. Eingeweihte erkennt man daran, dass sie stets eine weiße Kopfbedeckung zu ihren schwarzen Gewändern tragen. Drusische Frauen sind eher gleichberechtigt und tragen kein Kopftuch. In dieser Religion gibt es keine Gotteshäuser oder Moscheen. Wer in eine andere Religion einheiratet, wird ausgestoßen und gilt als “tot”.
In Israel gibt es heute 125.300, in Syrien 700.000 und im Libanon 280.000 Drusen. Die Drusen haben eine eigene Fahne in den fünf Farben ihrer Propheten: grün, rot, gelb, blau und weiß. In Israel leben sie im Karmel-Gebirge und Galiläa und auf dem Golan. Sie sind dem jüdischen Staat gegenüber loyal und leisten auch ihren Wehrdienst.
Zurück zum Mittagessen. Es gibt Labne, große hauchdünne Brotfladen mit Hühnchen, die die Oma auf einem gewölbtem Blechherd unter offenem Feuer backt. In die noch heißen Fladen kann man sich vom Büfett Tomaten, Gurken, Kohl und Paprika hineinfüllen. Es schmeckt sehr gut. Dazu trinken wir noch etwas und ich erwerbe für wenig Geld ein paar Äpfel als Reiseproviant.
Weiterfahrt um 15.10 Uhr. Wir fahren nun eine gewundene Straße durch den Nimrod Nationalpark. Hier thront die berühmte Burg Nimrod (auch “Subeibe” genannt) auf einem achthundert Meter hohen Felsrücken und bewacht die alte “Via Maris” von Damaskus nach Kairo, die hier verläuft (“989”). Man nimmt an, dass sie 1229 von Saladins Neffen al-Aziz Uthman zum Kampf gegen die Kreuzritterheere angelegt worden war. Die Legende berichtet hingegen darüber, dass Nimrods Burg durch den König von Babel, dem Sohn des Cam, errichtet worden sei, “dem ersten, der die Macht über die Welt hatte.“ Vielleicht eine Vorläuferburg an gleicher Stelle. Große kubische Felssteine zeigen uns die imposanten Ausmaße dieser Festung, die noch mehrfach die Besitzer wechselte. Bei einer Gelegenheit kämpften die Christen sogar zusammen mit Soldaten aus Damaskus, um den Emir von Banias aus der Festung zu vertreiben. Als die Kreuzritter selbst vertrieben wurden, wurde die Burg ein Schrein der “Hashashin”. Die mystische muslimische Schiitensekte praktizierte den politischen Mord durch mit Haschisch berauschte Meuchelmörder, die Assassinen. 1517 kamen die Osmanen, Nimrod wurde Luxus-Gefängnis für Adlige. Im 18. Jahrhundert zerstörte nicht ein Heer, sondern ein Erdbeben, das uneinnehmbar scheinende Bauwerk.
Mit Ein Kania haben wir das letzte von vier Drusendörfern (Brehat Ram, Majdal Shams, Masada und Ein-Kania) durchfahren. So langsam verlassen wir die Golanhöhen mit der Umgebung des Berges Hermon und fahren nach Westen weiter. Deaib biegt auf die Nationalstraße 99 ab, Richtung Kiryat Shmone. Wir passieren die Baniasquellen, die in einer Höhle entspringen. Das Wasser fließt 510 Meter zum Jordan hinab und speist den See Genezareth. Hier gab es schon einen Zeustempel, als Herodes der Große dem römischen Kaiser Augustus hier einen Tempel errichten ließ. Sein Sohn Philipp machte den Ort zur Hauptstadt seiner Tetrarchie und nannte sie in Caesaria um, so dass sie in den Evangelien als Caesaria Philippi bezeichnet wurde. Jesus brachte seine Jünger hierher und sprach zu Petrus: “Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen” (Matthäus 16:18).
Weiter westlich gelangen wir in den Nationalpark Dan, der vom gleichnamigen Gewässer durchflossen wird. Der Dan ist der einzige Fluss der auf ganzer Länge in Israel liegt. Wir nähern uns nun der libanesischen Grenze, sehen bald in Fahrtrichtung rechts den ersten Grenzzaun.
Das Nachbarland, der Libanon, ist mit 10.452 qkm von der Fläche her halb so groß wie Israel, hat rund 6 Millionen Einwohner und ist mit der Hauptstadt Beirut aus dem französischen Mandat nach dem 1. Weltkrieg hervorgegangen. Winston Churchill hatte sich später damit gebrüstet, dass er den ganzen Nahen Osten an einem Nachmittag mit einer Landkarte und einem Lineal neu aufgeteilt hätte. Eine Grenzziehung und Aufteilung, die heute immer noch große Probleme verursacht. Im Libanon gibt es 18 anerkannte Religionsgemeinschaften, auch viele christliche. Der jahrelange Bürgerkrieg hatte das Land gelähmt. Die palästinensischen Flüchtlinge sind im Libanon praktisch recht- und staatenlos. Es ist ihnen hier verboten, einen Beruf zu erlernen. Kein Wunder dass viele von ihnen der Hisbollah folgen.
Nach schweren Anschlägen der libanesischen Fatah in Israel mit 37 Toten (darunter 10 Kinder) und 76 Verletzten erfolgte durch die israelische Armee die befristete “Militär-Operation Litani” im März 1978 zur Bekämpfung des Terrorismus im Südlibanon.
Als PLO-Anschläge, von Beirut aus gesteuert, in Israel weiter zunahmen, marschierte die israelische Armee 1982 ganz in den Libanon ein (1. Libanonkrieg) und besetzte Beirut. Die PLO räumte das Land. Zur eigenen Sicherheit besetzte Israel den Südlibanon bis 1985 und richtete bis zum Jahre 2000 eine Sicherheitszone ein. Im Sommer 2006 wurde Israel vom Libanon aus mit Raketen beschossen, marschierte erneut ein (2. Libanonkrieg), um diesen Beschuss und weitere Entführungen von Israelis zu unterbinden. Am 1. Oktober 2006 zogen die Israelis aus dem Land ab. Inzwischen gäbe es weitere Anschläge, so Yalon. Die schiitische Hisbollah sei ein Staat im Staate und unterwandere diesen. Momentan unterstützte sie Assads Alewiten in Syrien und kämpfe dort gegen die Sunniten vom IS.
Die Vereinten Nationen versuchen mit einer UN-Mission an der libanesisch-israelischen Grenze weitere Eskalationen zu verhindern. Im Mittelmeer erfolgt zur Zeit seit 2006 eine Überwachungsaktion zur Verhinderung von Waffenlieferungen (UNIFIL-MTF) auch unter Beteiligung der deutschen Marine.
Um 15.45 Uhr bewegt sich unser Bus auf der Nationalstraße 90 nun wieder nach Norden in Richtung Metula, aber es sind keine 5 Kilometer mehr bis zum nördlichsten Kibbuz Israels, dem Kibbuz Misgav-Am. Auf die Nebenstraße 9977 nach links abgebogen, steuert Deaib den Bus bergauf durch einen richtigen Wald. Um 16.00 Uhr kommen wir an.
Misgav-Am liegt auf 840 Metern über dem Meeresspiegel. Josef Abas, gebürtig aus Rotterdam, begrüßt uns mit dem angenehmen niederländischen Deutsch, das ich heute schon mal am Berg Bental gehört habe. Er erklärt, was wir hier vor uns sehen.
Der Grenzzaun aus Maschendraht, direkt vor uns, ist die Landesgrenze zum Libanon, die hier auch in Windungen verläuft. Nach Norden hin, blicken wir auf Metula mit seinem rot-weiß gekennzeichneten Gittermast, das nördlichste Dorf Israels, das wie ein Finger in den Libanon hineinragt. Dort erkennen wir auch den einzigen UN-Grenzübergang der Gegend, die UN-Truppen stehen hier auf libanesischem Gebiet. Ganz rechts ist immer noch der Hermon-Berg wahrnehmbar.
Direkt vor uns, unten im Tal, befindet sich das libanesische Dorf Radja, besiedelt von Alewiten. Auch El Adisseh kann man gut sehen. Wieder erkennt man das jüdische Gebiet allein anhand seiner grünen Felder. Vor uns, unweit des Zauns, befindet sich noch eine ältere Verteidigungsstellung des Kibbuz mit Halterungen für Granatwerfer. In der Anlage selbst verfügt man über 29 Bunker.
In einem Schulungsraum des Kibbuz erzählt Josef dann aus seinem Leben. Er kam als 24jähriger hierher und heiratete, “genauso wie der derzeitige niederländische König Willem Alexander”, wie er süffisant feststellt, eine Argentinierin. Im Kibbuz ist er seit 1977.
Früher sei es hier recht friedlich gewesen. Heute gäbe es den Zaun, Minen und Stacheldraht. Auch das Verhältnis zur benachbarten libanesischen Bevölkerung sei gut gewesen. In den 1970er Jahren hätte es Terrorakte gegeben und dann den Jom-Kippur-Krieg 1973. Fünf Jahre später sei die israelische Armee 15 Kilometer tief bis zum Litani-Fluss in den Libanon einmarschiert, habe aber das Gebiet drei Wochen später wieder geräumt. 1980 hätten fünf Terroristen das Kibbuz überfallen, mehrere Menschen und ein Kind getötet, ehe sie durch ein Sonderkommando überwältigt werden konnten. Für Josef ist “Misgav-Am: the Kibbuz at the end of the world” (Misgav-Am: das Kibbuz am Ende der Welt). “Sie sollen ruhig sehen, wie wir hier leben!” ist einer seiner Kommentare an uns.
1982 war der erneute israelische Einmarsch in den Libanon erfolgt, der Rückzug von den Israelis im Jahre 2000 angetreten. Josef berichtet vom Raketenbeschuss. Momentan kämpfe die Hisbollah aber in Syrien.
Heute habe das Kibbuz noch 79 Mitglieder, die bei der Arbeit noch von Studenten unterstützt werden, insgesamt seien das dann kaum 300 Menschen. Das Land des Kibbuz ist auf 99 Jahre vom Staat Israel gepachtet. Früher gab das Kibbuz einem alles, was man brauchte, erklärt Herr Abas weiter. Es habe Essen, Kleidung und etwas Lohn gegeben. 1997 habe man das System komplett geändert. Jeder bezahle nun Wasser und Elektrizität selbst, man bekomme Gehalt und sei in der Rentenkasse versichert. Man habe hier eine Geflügelzucht und Fischteiche eingerichtet, baue Avocados, Weintrauben und Grapefruit an.
Zum Abschluss machen wir hier am höchsten Punkt unser Gruppenfoto als Andenken. Dann zeigt uns Josef noch seine riesige Flaschenöffnersammlung, zu der wir alle noch einige Artikel beisteuern können. Seine Sammlung ist mit 4000 Stücken rekordverdächtig und was er da zusammengetragen hat, ist schon spektakulär. Auch seine Katalogisierung kann sich sehen lassen. Unsere Stücke sind in den besten Händen. Sven hatte uns ja im Vorfeld gebeten, den einen oder anderen dieser nützlichen Haushaltshelfer mitzubringen. Beruhigt, die Länderwertung (111 Staaten) bei Flaschenöffnern führt nun uneinholbar Deutschland an.
Wir verlassen um 18.00 Uhr Misgav-Am, einen Ort, der so gelegen ist, dass ich dabei unwillkürlich an ein Pulverfass denken muss. Shalom Josef, alles Gute!
Es dunkelt bereits. Passieren noch das Te Hai – College in Fahrtrichtung rechts, unterhalb der Höhe, auf der Misgav-Am gelegen ist. Die Studenten des Colleges übernachten “oben” im Kibbuz. Es ist nun deutlich weniger Verkehr, denn der Sabbat (“Shabbat”) beginnt noch heute Abend.
Sven und Yalon haben uns während der Busfahrt noch einmal vom “Shabbat shalom!” berichtet. In jüdischen Häusern zündet man zwei Kerzen an. Männer und ihre 13jährigen Söhne waren in der Synagoge, während die Frauen zuhause vorkochten. Nach Rückkehr der Männer wird zunächst im ganzen Familienkreis, oft mit Gästen, gebetet. Der Hausherr segnet den Wein. Alle trinken aus einem Becher. Kinder bekommen Traubensaft. Dann setzt sich die Familie zu Tisch. Oft ist es das einzige Mal in der Woche, wo die Familie noch zusammenkommt. Yalon versucht auch, uns einige hebräische Worte, wie “Bitte”, “Danke” und Zahlen beizubringen. Ich befürchte, er hat es schwer mit uns!
Um 18.30 Uhr sind wir zurück im schönen Nofey Gonen. Abendessen im Kibbuz um 19.00 Uhr. Im Speisesaal herrscht tüchtige Unruhe. Viele jüdische Familien sind hier. Alle sind festlich angezogen, Männer und Jugendliche mit Kippa. Der Sabbat endet am Samstagabend, eine Stunde nach Beginn der Dämmerung, er dauert 25 Stunden.
Der Tag war anstrengend. Wir bereiten im Appartement 129 die Koffer vor, morgen verlassen wir Nofey Gonen, leider. Diesmal wird der Whirlpool ausprobiert, dazu gibt es Hermon-Wein. Nur die Telefonverbindung nach Hause kommt nicht zustande. Ob es am Sabbat liegt?
Morgen fahren wir 8.30 Uhr ab, zu christlichen Stätten am See Genezareth.
Samstag, 25. Oktober 2014 (Berg der Seligpreisung, Tabgha, Kapernaum, Jerusalem)
Zuwenig geschlafen, als unser Wecker um 6.30 Uhr die “kurze Nacht” beendet. Beim Frühstück ist infolge des Sabbats der Kaffeeautomat abgestellt. Nun kommen uns die Erfahrungen aus Almog zugute, brühen uns das Koffein-Getränk aus Pulver und kochendem Wasser auf. Heute gibt es kein frisches Brot, sondern handelsübliches, verpacktes Toastbrot aus dem Supermarkt. Ein wirkliches Problem ist es aber nicht, eher etwas sonderbar!
Verlassen Nofey Gonen wirklich nicht gerne, in diesen Holz-Appartements haben wir uns wohl gefühlt, aber es geht nach Jerusalem!
Um 08.40 Uhr beginnt die heutige Fahrt. Hierbei durchqueren wir das Hula-Naturschutzgebiet (Emek Hula), mit uns ziehen auch die Kraniche hier durch. Es geht auf der bekannten Strecke zur Nationalstraße 90 und südwärts Richtung Tiberias. In Fahrtrichtung rechts lassen wir Zefat, die Stadt der Kabbala, “rechts liegen”.
Sven macht uns bei der Fahrt zum See Genezareth hinunter von weitem auf die die beiden markanten Felsen mit ihren Steilwänden, die ein Tal begrenzen, aufmerksam: die sogenannten “Hörner von Hattin” (heute Kfar Hittim, etwas nördlich von Tiberias). Im Juli 1187 wurde hier das Heer der Kreuzritter unter Guido von Lusignan (Königreich Jerusalem), Raimund III. Graf von Tripolis und Gerard de Ridefort mit Kontingenten der Templer und der Johanniter, insgesamt etwa 22.000 Mann, vom Wasser des Sees Genezareth abgeschnitten und vom Ayyubidenheer unter Sultan Saladin (45.000 Mann) vernichtend geschlagen. Bereits am 2. Oktober fiel Jerusalem, das “Heilige Land” war bis auf wenige Festungen in der Hand der Sieger. Der 3. Kreuzzug (1189-1192) konnte den Untergang der christlichen Reiche noch hinauszögern, aber Jerusalem war für die Christen verloren und Akkon fiel endgültig 1291. Hattin war also der Anfang vom Ende. Hier ist es also gewesen!
Um 09.20 Uhr erreichen wir den Berg der Seligpreisung oberhalb von Tabgha, westlich von Kapernaum (Kfar Nahum) am Nordufer. Die “Church on the Mount of Beatitudes” ist südlich von Korazim (an der Nationalstraße 90) über die Nebenstraße 8177 direkt erreichbar und führt zu einer Anhöhe (mit Busparkplatz) und einer wunderschönen Aussicht auf den See Genezareth. Hier, an einem Abhang nahe einer Felsenhöhle, soll Jesus die Bergpredigt gehalten und die Apostel unter seinen Jüngern ausgewählt haben.
“Selig die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich. Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden. Selig die Sanftmütigen, denn sie werden Land besitzen. Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, denn sie werden gesättigt werden. Selig die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. Selig die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen. Selig die Friedensstifter, denn sie werden Söhne Gottes heißen. Selig, die verfolgt werden um der Gerechtigkeit willen, denn ihrer ist das Himmelreich. Selig seid ihr, wenn sie euch schmähen und verfolgen und euch alles Böse lügnerisch nachsagen um meinetwillen. Freut euch und frohlocket, denn euer Lohn ist groß im Himmel. Denn so haben sie auch die Propheten vor euch verfolgt. Ihr seid das Salz der Erde. (…) Ihr seid das Licht der Welt“. (Matthäus 5: 1 – 14 / Lukas 6: 20 – 49)
Die acht Seligpreisungen Jesu sind das Herzstück seiner Predigt, ja vielleicht des Christentums. Entsprechend wurde die Kuppelkirche der Seligpreisungen von dem italienischen Architekten Antonio Barluzzi 1937 als Achteck (Oktogon) an der Stelle der Bergpredigt vollendet. Böse Zungen bezeichnen sie auch aus “Mussolini-Kirche”. Wir sehen uns das sakrale Bauwerk in gebotener Stille an. Draußen spenden Palmen, Zypressen aber auch Laubbäume und blühende, gepflegte Anlagen angenehmen Schatten und der See Genezareth glitzert im Sonnenlicht. Damals, als Jesus hier predigte, sollen fünftausend Menschen anwesend gewesen sein: heute sind es kaum weniger. Auf dem Parkplatz Bus an Bus, wenig Erhabenheit. Menschengewühl im Säulenumgang der Kirche. Eine ältere Franziskanerin müht sich in einem kleinen Büro mit einem Handy ab, alle Achtung!
Im Andenkenladen verkauft man auch den offenbar beliebten “Hochzeitswein aus Kana”.
Um 10.30 Uhr geht es mit dem Bus unter den Klängen von “Ave Maria” weiter. Den See haben wir in Fahrtrichtung links im Blick, als wir wieder ein Stück auf der Nationalstraße 90 in Richtung Tiberias fahren, dann aber links zum Seeufer hin auf die 87 nach Osten Richtung Kapernaum einbiegen. Schon zehn Minuten später sind wir da. Den Weg kann man auch zu Fuß den Berg hinab von der Kirche der Seligpreisung her zur Brotvermehrungskirche machen. Diese befindet sich im westlichen Teil von Tabgha (Tabigha) am See Genezareth und gilt als der Ort, an dem die “Speisung der Fünftausend” stattfand. Im Gebiet von sieben Quellen (griechisch: Heptapegon) war Tabgha damals wohl der einsame Ort, an den sich Jesus zurückzog (Matthäus 15:39). Bei einem Felsblock nahe der Hauptstraße Via Maris (Damaskus – Kairo) erinnerte man sich jahrhunderte lang an die Brotvermehrung (Matthäus 14: 13-21 und Markus 6: 30-44), baute im 4. und 5. Jahrhundert zwei Vorgängerkirchen an dieser Stelle, deren letzte 614 von den Persern zerstört wurde.
Zunächst sehen wir einen uralten, runden Taufstein mit einer großen Vertiefung und vier “Sitzen”, offenbar einer jüdischen Mikwe, dem Ritualbad, ähnlich. Damals wurden Täuflinge noch ganz untergetaucht. Sven liest aus Johannes 6:1-15, die “Speisung der Fünftausend”. Dann gelangen wir in ein helles, schlicht gehaltenes und gefälliges Sakralgebäude: die Brotvermehrungskirche der Benediktiner.
Im Jahre 1888 hatte die Deutsche Katholische Palästina-Mission das Gelände erworben. Man veranlasste Ausgrabungen und legte in den 1930er Jahren wertvolle Mosaikböden des 4. und 5. Jahrhunderts frei. Der Bestand wurde mit einer Notkirche geschützt. Das heutige, dem byzantinischen Stil nachempfundene dreischiffige Sakralgebäude wurde 1980 – 1982 von den Kölner Architekten Anton Goergen und Fritz Baumann für den “Deutschen Verein des Heiligen Landes” (Gedenktafel) mit hellen Steinen auf den Grundmauern des 5. Jahrhunderts errichtet. Der offene Dachstuhl stammt aus Deutschland, die roten Dachziegel kommen aus Italien. Das Portal der Kirche gestaltete der deutsche Bildhauer Elmar Hillebrand. Innen befindet sich auch eine offenbar alte Steinmetzskulptur mit Schriftband, die so auch am Kölner Dom denkbar wäre. Ein schlichter, eiserner Leuchter mit zwölf Kerzen hängt an Ketten vom Gebälk des offenen Dachstuhls. Zwei Ikonen byzantinischer Art, eine davon eine Mariendarstellung mit Kind, werden mit Kerzen besonders verehrt.
Sehr bekannt ist das aus dem 5. Jahrhundert geborgene Mosaik vor dem Altar, das einen Korb mit vier Broten (das fünfte Brot ist das bei der Eucharistie verwendete Brot auf dem Altar) sowie zwei Fischen, links und rechts davon angeordnet, zeigt. Den Felsenstein unter dem tischähnlichen Altar verehrt man als die Stelle der Brotvermehrung. Die Kirche wirkt bescheiden und gefällig.
Von hier aus können wir zu Fuß laufen, es sind nur wenige hundert Meter bis zum Ufer des Sees Genezareth. Inzwischen sind es 31 Grad Celsius, aber die Temperatur lässt sich gut ertragen. Sven liest im Schatten der Bäume aus Johannes, Kapitel 21. Die Katholische Kirche sieht hier bis heute ihren Auftrag. “Herr, auf Dein Wort will ich das Netz auswerfen.” (Lukas 5:5). In den gepflegten Grünanlagen finden auch Gottesdienste unter freiem Himmel statt. Unter einer offenen, Pergola ähnlichen Überdachung im schattigen Grün singt eine Gemeinde vor weißgekleideten Geistlichen, wenige Meter weiter zum See hin gibt es einen legereren Gottesdienst, die Gläubigen haben sich in einem Kreis um einen runden Tisch versammelt, an dem die Priester die Messe zelebrieren. Wir betreten dann das kleine Sakralgebäude.
“Mensa Christi” nennt man das schlichte Gotteshaus aus dunklem Basalt, dessen Fensterlaibungen weiß abgesetzt sind, die Primatskapelle, betreut von den italienischen Franziskanern, unmittelbar am Seeufer gelegen. “Sacellum Primatus Sancti Petri” steht auf einer Steintafel an der Kapelle. Schon im 4. Jahrhundert stand hier ein Vorgängerbau mit zwölf Stufen zum See. Hier ist nach Johannes 21:1-17 Jesus nach der Auferstehung seinen Jüngern begegnet und hat Petrus mit dem Worten “Weide meine Lämmer .. Weide meine Schafe” die Führung der Kirche übertragen. An dem großen Steinblock, der noch immer im Ostteil der Kapelle zu sehen ist, sollen Jesu und seine Jünger anschließend das Mahl gehalten haben. Vom Portal der 1933 gebauten Kirche führen zwölf Stufen zum Seeufer hinunter, das war schon im 4. Jahrhundert so, wie die Pilgerin Egeria im Jahre 383 schrieb.
Das Seeufer des Sees Genezareth ist hier sehr steinig. Viele Menschen stehen auch am Ufer, manche gehen in den See hinein.
Um 12.00 Uhr fahren wir zweieinhalb Kilometer weiter in östlicher Richtung (87) nach Kapernaum (Kfar Nahum, was Dorf des Nahum bedeutet). Es sind 30 Grad Celsius. Auf dem See Genezareth sehen wir mehrere Schiffe, es gibt hier auch noch Fischer, wie vor 2000 Jahren.
Auf der 87 zum See in Richtung Karim (Qazrin). Dann sind wir da. “Capharnaum The Town Of Jesus”, steht auf einem Mosaik am Portal, durch das wir vom Bus-Parkplatz in die Stadt gelangen.
Vor 2000 Jahren war Kapernaum eine Grenzstadt zwischen zwei Gebieten, deshalb erscheint uns authentisch dass damals hier ein “Hauptmann” (der Grenztruppen) des Herodes Antipas stationiert war. Kapernaum soll im 2. Jahrhundert vor Christus gegründet worden sein, 746 zerstörte ein Erdbeben das Dorf, das im 11. Jahrhundert aus unbekannten Gründen aufgegeben worden war. Erst im 19. Jahrhundert haben Forscher den Ort wiederentdeckt.
Für Christen wohnte Jesus in diesem Fischerdorf (Matthäus 4, 12-13). Bei Matthäus (8, 5-13) wird ein hier stationierter Hauptmann erwähnt, dessen kranken Knecht Jesus heilt. Aus diesem Ort stammen auch die Brüderpaare Simon Petrus und Andreas sowie die Söhne des Zebedäus: Jakobus und Johannes, die ihren Unterhalt als Fischer verdienten, ebenso der Zöllner Levi, genannt Matthäus. Jesus soll zu ihnen gesagt haben: “Folget mir nach; ich will euch zu Menschenfischern machen!“
In der hier befindlichen Synagoge lehrte Jesus (Markus 1, 11-28), der im Haus des Simon Petrus wohnte und dessen Mutter von schwerem Fieber heilte. Den Forschungen zufolge hatte Kapernaum an einer Durchgangsstraße strategische Bedeutung und wurde damals von etwa 4000 bis 5000 Menschen bevölkert. Franziskaner und Griechisch-Orthodoxe haben in der Vergangenheit Grundstücke erworben und Ausgrabungen veranlasst.
Wir wenden uns nach rechts zum Seeufer hin. Eine überlebensgroße Petrus-Statue mit Schlüssel und Stab, zu seinen Füßen ein Fisch (“Petrusfisch“), wurde hier dem Ort zugewandt aufgestellt. Es ist ein beliebtes Fotomotiv. Das abfallende, steinige Seeufer ist mit Anlagen versehen, in den riesige Agaven gedeihen, für die Besucher hat man Bänke unter schattenspendenden Bäumen aufgestellt.
Ganz nahe befindet sich, über dem Ausgrabungsgelände des Petrus-Hauses, die in den 1980er Jahren von dem italienischen Architekten Ildo Avetta erbaute moderne “Petruskirche”. Sie wurde auf Strebepfeilern über die Ausgrabungen gesetzt, diese hierdurch schützend, gleichzeitig ein Ort für Gottesdienste und der Andacht. Die Bauherren, die Franziskaner, wünschten (fast schon evangelische) Schlichtheit. Auch sollte der Neubau den Ort keinesfalls architektonisch beherrschen. So wirkt dieser ungewöhnliche Sakralbau wie eine Mischung aus Raumschiff oder Flughafen-Tower bietet aber Besinnung und Ruhe an diesem heiligen Ort. Durch einen Ausschnitt im Boden, umgeben mit einem schönen Ziergitter, blickt man hinunter in die Fundamente des Petrus-Hauses. Die wenigen Wandflächen sind mit acht Holzreliefs geschmückt, die Szenen aus dem Evangelium zeigen.
Dann, umgeben von verschiedenen Ausgrabungen, betreten wir die Ruine der früheren Synagoge, einem Nachfolgebau des ursprünglichen Gebäudes, in dem Jesus gelehrt haben soll (Markus 1, 11-28). Jenseits der basaltdunklen Ausgrabungsfundamente schimmern malerisch die roten Kuppeln der griechisch-orthodoxen “Kirche der Zwölf Apostel” herüber.
Um 12.45 Uhr sind wir wieder am Bus. Deaib fährt von der “87” auf die Nationalstraße “90” in Richtung Tiberias. In Fahrtrichtung rechts wachsen Bananen, links glitzert das Seeufer. Dann sehen wir auch die Pumpstationen, die das kostbare Wasser des Sees in die Pipeline pumpen, die nach Süden in den Negev führt. Wieder durchfahren wir gepflegte Bananenplantagen.
Bei “Abu Ali” nahe bei Genosar (auch: Ginosar, oberhalb von Tiberias) kann man den nur hier servierten Petrusfisch genießen. Am Strand findet man Muscheln. Deaib zeichnet mir die Stelle auf der Karte ein (Jamar Beach), bevor wir um 14.40 Uhr weiterfahren.
Linker Hand das Seeufer, wir fahren Richtung Tiberias, liegt anderthalb Kilometer westlich der Nationalstraße 90 das heutige Städtchen Migdal. In der Bibel lautet sein aramäischer Name Magdala, beim Geschichtsschreiber Flavius Josephus heißt der Ort Tarichea: es ist der Heimatort von Maria Magdalena aus der Bibel. Über die Stellung dieser interessanten Frau aus dem Umfeld Jesu in der Männergesellschaft der zwölf Jünger diskutieren Gelehrte bis heute. In Südfrankreich ist sie sehr populär und wurde quasi von den Franzosen “adoptiert”. Archäologen haben hier eine sehr alte Synagoge und eine Menora-Darstellung ausgegraben.
Rechts wieder der Berg Arbel, den man nun bei Tageslicht gut erkennen kann, wo Herodes der Große gegen Aufständische gekämpft hatte. Wir fahren durch eine Gegend, in der man heute Mangos und Oliven anbaut. Am Seeufer sieht man oft die so malerisch wirkenden Dattelpalmen. Kokos-Palmen gäbe es in Israel nicht, wie Yalon erläutert.
In Fahrtrichtung links befindet sich der “Kanal”, das heißt eine Betonröhre, mit dem der Salzwasserzufluss einer Quelle des Sees Genezareth um diesen herumgeleitet wird und seinen Abfluss im Jordan findet. Grund dieser aufwendigen Baumaßnahme: den See, der das wichtigste Wasserreservoir des Landes bildet, salzfrei zu halten.
Yalon erzählt unterdessen von seinem Übertritt zum Judentum im Jahr 1989. Knapp neun Kilometer südlich Tiberias erreichen wir nahe Beit Yerah die Jordan-Taufstelle von Yardenit. Der Jordan ließt hier, nur wenige hundert Meter westlich der Südspitze des Sees Genezareth, in Schleifen nach Süden. Eine andere Taufstelle befindet sich bei Qasr el Yahud östlich von Jericho und wurde 1967 geschlossen. Mich hat von Anfang an die Vielzahl der möglichen “Taufstellen” irritiert. Forscher sprechen auch von Madaba oder Bethanien am Ostufer des Jordan. Für den Gläubigen ist es vielleicht wichtig, am Jordan gewesen zu sein, wo Jesus getauft wurde. Im Markusevangelium (1, 9-11) steht nur, dass Jesus sich von Johannes im Jordan taufen ließ. Johannes der Täufer steht in der christlichen Überlieferung für die Vergebung der Sünden durch die Taufe und die radikale Umkehr zu Gott. Die mit der Taufhandlung verbundene “Unterordnung” oder gar eine Jüngerschaft Jesu unter Johannes muss schon bei den ersten Christen als unangemessen oder gar anstößig empfunden worden sein. Nach Markus 1, 11 wird Jesus nach der Taufe als “Sohn Gottes” bezeichnet. Die Katholische Kirche feiert die Taufe Jesu jährlich am ersten Sonntag nach dem Dreikönigstag (6. Januar).
Yardenit ist natürlich ein Touristenspektakel, jährlich sollen 500.000 Gläubige hierher kommen. Der Andenkenhandel hat sich bereits darauf eingestellt und gibt die Preise in US-Dollar an. Eine große brasilianische Gruppe kleidet sich um. Es gibt Umkleideräume, man bekommt Handtücher und Umhänge. Man kann auch Jordanwasser, bereits in Pastikflaschen abgefüllt, hier käuflich erwerben. Der Fluss ist an dieser Stelle noch etwa zehn Meter breit. Den Uferbereich hat man mit Steinen, Mauern und Treppen eingefasst. Zur Dekoration sind Auszüge des Markusevangeliums (1: 9-11) über die Taufe Jesu, auf gefliesten und bemalten Steintafeln, in sehr vielen Sprachen der Welt, in Nischen oder an Wänden angebracht. An zwei Stellen können ganze Gruppen neuer Täuflinge in den Jordan gelangen und per Ganzkörpertaufe ihren Glauben festigen. Sie tragen weiße Ganzkörperumhänge, Priester vollziehen an ihnen den Taufritus.
Unsere Fahrt geht um 15.50 Uhr weiter, auf der Nationalstraße 90 in Richtung Bet She´an. Auf der linken Seite können wir noch einmal bis zu den Golanhöhen sehen, fahren durch eine Gegend mit bestellten Feldern beiderseits der Straße, vorbei an Afikim und Gesher, Orte die rechts an der Straße liegen. Links fließt der Jordan, nur noch wenige Meter breit. Er bildet hier die bereits bekannte Grenze zu Jordanien, was uns auch ein Grenzzaun anzeigt. In regelmäßigen Abständen sehen wir in Fahrtrichtung links jordanische Grenzposten.
Zwanzig Kilometer südlich des Sees Genezareth, sehen wir auf einer 550 Meter hohen Anhöhe die Reste einer beeindruckenden Burganlage aus schwarzem Basalt. Yalon erzählt dazu, dass es Reste der Kreuzritterburg Belvoir seien. Belvoir heißt französisch “schöne Aussicht” und im Hebräischen wird die Anlage als “Kochav ha – Jarden“, was “Stern des Jordan” heißt, bezeichnet. Die Araber wiederum nennen die Anlage “Kawkab al-Hawa”, den “Stern der Winde”. Um 1150 durch den französischen Adligen Velos auf der beherrschenden Höhe erbaut, wurde die Burg 1168 an den Johanniter-Orden verkauft. Die geschickten Mönchs-Krieger der Johanniter errichteten anschließend hier eine der mächtigsten Burgen der ganzen Umgebung. 1187, nach der furchtbaren Niederlage bei den “Hörnern von Hattin”, hielt die Kreuzritter-Besatzung Belvoir für achtzehn Monate gegen die Truppen Saladins. Bei einem ihrer Ausfälle aus der Burg konnten die christlichen Ritter den Kommandeur der muslimischen Belagerer töten, so dass Saladin selbst mit Verstärkungen nachkommen musste, um die Belagerung zu Ende zu bringen. Mineure, hatten bereits einen Teil der südlichen Außenmauer zum Einsturz gebracht, als man sich auf Übergabeverhandlungen einigte. Am 5. Januar 1189 übergaben die Christen die Burg daraufhin kampflos an die Muslime, sie hatten einen ehrenhaften und freien Abzug nach Tyros erwirkt. Im Gegensatz zu Richard Löwenherz vor Akkon (Niedermetzelung von 3000 Gefangenen), hielt sich Saladin an ein gegebenes Wort.
Als Festung von den Muslimen “geschleift”, fiel Belvoir 1240 noch einmal an christliche Kreuzfahrer, wurde aber 1245 endgültig durch die Muslime erobert. Im 18. Jahrhundert gründeten Araber auf dem Burgplateau ihr Dorf Kaukab el – Hawa. Im Israelischen Unabhängigkeitskrieg 1948/49 wurden die Ruine und das Dorf durch die legendäre israelische Golani-Brigade gegen irakische Verbände erneut erobert.
Heute gibt es hier eine Aufzuchtstation für Geier! Man lernt doch nie aus!
Um 16.07 Uhr werden 33 Grad Celsius Außentemperatur gemessen. Wir haben Bet She´an (“König Saul” … siehe Mittwoch) und Rewaja passiert, fahren weiter südwärts. Es ist die Strecke, die wir vor drei Tagen von Qumran zum See Genezareth in umgekehrter Richtung befahren haben.
Den Checkpoint zum Westjordanland erreichen wir um 16.27 Uhr. Die Landschaft wird jetzt wieder öder und eintöniger, sie geht praktisch abschnittsweise in Wüste über. Die Feldbestellung erfolgt nur noch sporadisch. Im Bus ist Ruhe eingekehrt und auch mir fallen die Augen zu.
Bei Niran, nördlich von Jericho, gibt es an einem Kiosk mit ein paar Häusern eine kurze Rast. Im amerikanischen Mittleren Westen gibt es sicherlich auch so ein paar Orte, die diesem hier ähnlich sehen.
17.12 Uhr fahren wir weiter. Fünf Minuten später sehen wir eine ganze Herde weidender Dromedare in Fahrtrichtung rechts, links sind, wie seit Jahrtausenden, Ziegenhirten mit zwei Herden unterwegs. Nördlich von Jericho häufen sich auch wieder Treib- und Gewächshäuser, auch die Landschaft wirkt nicht mehr so karg.
Wir umfahren Jericho und verlassen die Nationalstraße 90, die uns vom Toten Meer bis nach Misgav Am im Norden geführt hatte. Deaib biegt auf die Nationalstraße 1 ein, die nach Westen hin ins Judäische Bergland führt.
Links sehen wir typische Beduinenbehausungen, die ungenehmigt hier aus Pappe, Sperrholz und Wellblech errichtet wurden und wie Slums wirken. Deaib gibt Gas!
Um 17.50 Uhr sehen wir die äußeren Hochhäuser von Jerusalem und halbrechts einen Teil der Hebräischen Universität Jerusalem auf dem 826 Meter hohen Mount Skopus mit dem Hadassah-Krankenhaus. Die Universität mit ihrem markanten Turm war bereits 1925 eröffnet worden. Albert Einstein hat ihr seine Schriften und seinen Besitz vermacht. Als “Freunde der Universität Jerusalem e.V.” sind in Deutschland unter anderem die Schauspielerin Iris Berben sowie einige andere prominente Persönlichkeiten (z.B. Heinrich Bonnenberg und Lara Süsskind) bekannt.
Jerusalem schon bei Ägyptern und Assyrern erwähnt, war bereits in frühester Zeit besiedelt. Älteste Ausgrabungsfunde auf dem Berg Ophel datieren allerdings erst aus der Zeit um 5000 vor Christus. Hier führte einst ein alter Nomade namens Abraham seinen Sohn Isaak auf den Gipfel des Berges Moriah und war bereit, ihn im Namen eines unsichtbaren Gottes zu opfern, während die meisten anderen Völker viele Götter anbeteten. Isaak blieb verschont, sein Vater Abraham schloss hier ein Bündnis mit Gott, das alle Zeiten überdauern sollte. Abraham wurde durch Isaak und Jakob einerseits Stammvater der Juden, andererseits durch Ismael Stammvater der arabischen Völker.
Jahrhunderte später eroberte König David die inzwischen am Berg Moriah erbaute und befestigte Stadt von den hier siedelnden Jebusitern und machte “Ursalem” zur Hauptstadt. Er brachte das Heiligtum der Juden, die Bundeslade mit den Zehn Geboten, die seit den Zeiten Moses “ambulant“ von den Juden mitgeführt wurde, auf den Berg Moriah.
Auf David folgte sein Sohn Salomo, der diese Stätte mit dem 1. Tempel ausbauen ließ. Das Bauwerk, 955 vor Christus prächtig fertig gestellt, stand hier vierhundert Jahre bis die Babylonier kamen. 587 vor Christus führte König Nebukadnezar die Juden in die “Babylonische Gefangenschaft” und zerstörte den Tempel. Erst ab 538 vor Christus durften die Juden zurückkehren und begannen, den 2. Tempel zu bauen, was Jahrzehnte in Anspruch nahm. Im 4. vorchristlichen Jahrhundert kamen die Griechen, die im jüdischen Makkabäer-Aufstand (165 v. Christus) vertrieben und durch die Dynastie der Hasmonäer abgelöst wurden. Im Jahr 63 vor Christus kamen die Römer. Der jüdische 2. Tempel in Jerusalem wurde von Herodes dem Großen, Klientelkönig unter römischer Herrschaft, ab 20 vor Christus prunkvoll um- und ausgebaut. Diesen Tempel sah Jesus und warf die Händler hinaus. Nur wenige Jahrzehnte später, im Jahre 70 nach Christus, unternahmen die Juden einen Aufstand gegen die Römer und Jerusalem wurde durch Titus erobert. Der Tempel wurde geplündert und zerstört, Bundeslade und Menora schaffte man als Beute nach Rom, ihr Verbleib bleibt bis heute ungeklärt.
Als die Juden im Jahr 132 unter Simon Bar Kochbar erneut rebellierten und sogar Judäa und Samaria für kurze Zeit zurückeroberten, war Jerusalem wieder ihre Hauptstadt. Kaiser Hadrian schickte neue Truppen und machte die Stadt im Jahr 135 dem Erdboden gleich. Auf den Ruinen erstand die römische Provinzstadt Aelia Capitolina, die Juden wurden in die “Diaspora” in angrenzende Länder und nach Persien vertrieben. Ihnen war verboten, nach Jerusalem zurückzukehren, ein Verbot, das fünf Jahrhunderte anhielt.
Unter Kaiser Konstantin und seiner Mutter Helena, die in Jerusalem das Heilige Kreuz fand und die Grabeskirche erbauen ließ (335 geweiht), erlebte die Stadt eine neue Blüte. Jerusalem gehörte bei Teilung des römischen Reiches 395 zu Ostrom (Byzanz). 614 kamen die persischen Sassaniden, 629 eroberte Byzanz die Region zurück. 638 kamen die Araber, die den Juden die Ansiedlung in Jerusalem wieder gestatteten.
Auf dem Tempelberg begann Kalif Abd al – Malik um 690 mit dem Bau des Felsendoms über der Stelle, auf der Abraham seinen Sohn opfern wollte. Der Felsendom galt den Muslimen nicht als Moschee, sondern als Schrein. Nach muslimischer Überlieferung ist der Prophet Mohammed hier mit seinem Hengst Burak in den Himmel geritten. 706 bauten die Umayaden, ebenfalls auf dem Tempelberg, die Al-Aqsa-Moschee, die im Jahre 717 eingeweiht wurde. Neben Mekka und Medina gehört Jerusalem seitdem für die Muslime zu ihrer dritten Heiligen Stadt.
Die zurückgekehrten Juden beteten vor dem letzten Relikt des 2. Tempels, der Westmauer, die man auch “Klagemauer” nannte. Sie wurde die heiligste ihrer Gebetsstätten überhaupt. Es herrschten die muslimischen Abbasiten, Fatimiden und Seldschuken bis die Kreuzritter 1099 unter Gottfried von Bouillon Jerusalem im Zeichen des Kreuzes eroberten und die Bevölkerung massakrierten.
Sie herrschten hier bis 1187 (Schlacht bei den Hörnern von Hattin) und wurden von Saladin vertrieben, 1291 mit dem Fall von Akkon endgültig. Mit Saladin herrschten die Ayyubiden und 1516 kamen die Osmanen. Diese blieben vierhundert Jahre und bauten die heute noch vorhandene Stadtmauer.
Im 1. Weltkrieg (9. Dezember 1917) marschierte der britische General Edmund Allenby mit seinen Truppen in Jerusalem ein und beendete damit endgültig die osmanische Herrschaft hier. Die Briten blieben (Mandatszeit) bis 1948.
Nach Gründung des Staates Israel am 14. Mai 1948 und dem sofort darauf folgenden Unabhängigkeitskrieg erfolgte 1949 die Teilung der Stadt: Ost-Jerusalem mit der historischen Altstadt kam an Trans-Jordanien, der Westteil Jerusalems an Israel. Die Jordanier vertrieben wiederum alle Juden und sprengten beide Synagogen in ihrem Ost-Sektor. Der neue Staat Israel proklamierte trotzdem 1950 Jerusalem zur Hauptstadt. Durch sie verlief die “Grüne Linie”, die die Stadt teilte, beherrscht von Scharfschützen. Erst im Sechstagekrieg 1967 eroberten die Israelis Ost-Jerusalem und vereinigten die Stadt wieder. Heute gibt es halbmondförmig neue Siedlungen im Norden, Osten und Süden der Stadt, die verwaltungstechnisch neu gegliedert wurde.
Dies sind die wichtigsten Angaben, die man benötigt, um einigermaßen Bescheid zu wissen. Inzwischen leben 933.000 Menschen hier. Allen Religionen wird freier Zugang zu den Heiligen Stätten gewährt. Nicht von allen Staaten ist Jerusalem als israelische Hauptstadt anerkannt, deshalb befindet sich beispielsweise die deutsche Botschaft in Tel Aviv.
Wir nähern uns von Osten her.
Um 18.00 Uhr sind wir an der Sperrmauer und dem Checkpoint. Wir verlassen das Westjordanland (Zone C). Rechts sehen wir den Skopusberg mit der Universität, links die Anhöhe zum Ölberg. Dann fahren wir durch einen Tunnel. Als wir diese Straßenunterführung Minuten später verlassen, sehen wir auf die Altstadt und den Felsendom. Deaib legt israelische Musik über die Heilige Stadt auf: “Jerusalem Of Gold”. Es beginnt dunkel zu werden.
An einer Verkehrsampel hält neben uns ein Wasserwerfer-Fahrzeug der Israelischen Polizei, der vorne rechts ziemlich ramponiert ist. – Wir erfahren, dass alle Häuser der Stadt seit den 1970er Jahren per Gesetz mit dem hellen Jerusalem-Stein zu verklinkern sind, um ein einheitliches Bild zu ergeben. Die Häuser dieser Stadt beim Sonnenaufgang zu sehen, muss schon atemberaubend sein.
Yalon erzählt, dass wir gerade den “Todesstreifen”, die frühere Grüne Linie der ehemaligen Grenze zwischen Ost- und West-Jerusalem, die bis 1967 bestand, befahren.
Es gibt jüdische Viertel, in die man aus religiöser Rücksichtnahme am Sabbat nicht hineinfährt. In der Altstadt leben auf einer Fläche von einem Quadratkilometer rund 40.000 Menschen. Dort gibt es das arabische, jüdische, armenische und christliche Viertel. Die beeindruckende Stadtmauer wurde unter Sultan Süleymann I. von 1535 an, mit der Zitadelle, erbaut. Beide sind heute noch vorhanden und UNESCO-Weltkulturerbe. Auf der linken Seite sehen wir eines von sieben Altstadt-Toren, das `Neue Tor´ (hebräisch: Hahadash).
Deaib nutzt die Zeit, kommt noch gut durch die Stadt, denn es herrscht noch die “Sabbat-Ruhe” auf der Straße, es ist nicht allzu viel Verkehr. Er biegt ab, wir sehen das US-Konsulat (die Botschaft befindet sich in Tel Aviv). Es wird dunkel. 18.25 Uhr sind wir in der Hillel-Street, die Marmila führt direkt auf das Jaffa-Tor zu.
Über ihre Smartphone-Apps tauschen einige Teilnehmer bereits die Bundesligaergebnisse aus. Wir sind im Hotel Eyal, das erst 2014 eröffnet worden ist, eingetroffen. Anschrift: 21 Shamai Street. Wir sind sehr zufrieden damit und fühlen uns wohl.
Bereits um 19.00 Uhr ist Abendessen im Speisesaal im 1. Stockwerk. Das Essen ist sehr gut, Büfett-Anordnung mit großer Auswahl. Um 20.00 Uhr treffen wir uns alle in der Lobby (Erdgeschoss), um in die Altstadt zu gehen. Unsere Orientierungspunkte sind eine McDonalds-Filiale, das Caffiti, die Fußgängerpassage Mamilla Avenue, die direkt zum Jaffa-Tor an der Altstadtmauer führt. Am Jaffator sind noch Einschüsse aus dem Sechstagekrieg von 1967 sichtbar. Gleich dahinter befindet sich die Davids-Zitadelle.
Anhand der zyklopisch anmutenden bearbeiteten Riesensteine “mit Rahmen” im unteren Bereich des David-Turms, erklärt Yalon, dass diese aus der Zeit Herodes des Großen stammten und gut 2000 Jahre alt sind. Den mittleren Teil des Turms haben vor knapp 1000 Jahren (um 1100) die Kreuzritter aufmauern lassen, die Steine wirken unbearbeitet und stehen manchmal auch aus der Fassade hervor. Der obere Teil des Turms und auch der Stadtmauern sind aus der Osmanenzeit und gut 500 Jahre alt. Die Steine wirken zierlicher und gleichmäßiger, Sultan Süleyman I. ließ ab 1535 diese Arbeiten ausführen.
Yalon spricht von der Eröffnung des Sueskanals, bei der der österreichische Kaiser zugegen gewesen sei, aber eben auch der preußische Kronprinz Friedrich (17.11.1869) als Vertreter des Norddeutschen Bundes sogar mit mehreren Kriegsschiffen. Als Kaiser Wilhelm II. seinen Palästinabesuch 1898 plante, erwog die türkische Regierung in Konstantinopel, einen Teil der Stadtmauer Jerusalems abzureißen, da man mit “erhöhtem Verkehrsaufkommen” durch den Besuch rechnete. Wilhelm II. war übrigens dagegen und wollte eine “solche Barbarei” nicht zulassen. Trotzdem wird bis heute immer noch fälschlicherweise dargestellt, der Kaiser habe den Abriss angeordnet! Auf Befehl Sultan Abdülhamids II. wurde schließlich ein Mauerstück direkt am Jaffator durchbrochen, heute führt hier eine Straße durch.
Am 29. Oktober 1898 ritt also das deutsche Kaiserpaar, Wilhelm II. und seine Frau Auguste Victoria, auf Schimmeln in weißen Sonnenmänteln am Jaffator in Jerusalem ein. Offizieller Grund war die Eröffnung der evangelischen Erlöserkirche, 1893 – 1898 von Paul Ferdinand Groth erbaut, durch das Kaiserpaar, zwei Tage später, am 31. Oktober, dem Reformationstag. Wilhelm war von der Stadt enttäuscht, fühlte sich aber als Schutzherr aller deutschen Christen in Palästina, bis 1914 immerhin auf rund 2500 Menschen angewachsen.
Schon Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. hatte Mitte des 19. Jahrhunderts, gemeinsam mit der Anglikanischen Kirche von England, im Heiligen Land das protestantische Bistum Jerusalem gegründet. Es wurde 1886 wieder aufgelöst. Kaiser Wilhelm I. hatte zu seiner Regierungszeit bis 1888 Gelder für den Bau einer Kirche in der Heiligen Stadt sammeln lassen, sein Enkel Wilhelm II. 1889 das deutsche “Jerusalem-Stift” gegründet und mit Geld ausgestattet. So fühlte sich Wilhelm II. wohl als Vollstrecker preußisch-deutscher Ambitionen im Heiligen Land, sein Besuch blieb aber Episode. Die spätere Politik des Kaisers mit dem Osmanischen Reich betraf dann eher das Jahrhundertprojekt zum Bau der Bagdad-Bahn.
Wir warten vor dem Davids-Turm. Einlass ist um 20.45 Uhr. Wir sitzen gegenüber einer dieser ehrwürdigen, geschichtsträchtigen Mauern, auf denen man uns 45 Minuten lang eine grandiose “Night-Spectacular-Show” mit Licht- und Soundeffekten zeigt. Die natürlichen Unebenheiten des Mauerwerks machen manche Darstellungen noch plastischer. So erleben wir hier einen Durchmarsch durch die mehrtausendjährige Geschichte der Stadt. Was hat Jerusalem nicht schon alles erlebt?! Hier ist jeder Stein Geschichte!
Wieder in der Realität. Durch Hornsignal vernahmen wir das Ende des Sabbats und im jüdischen Viertel werden nun die Restaurants und Cafe´ s erst richtig lebendig, während in der nahegelegenen Altstadt die arabischen Händler ihre Stände schließen. Wir sehen orthodoxe Juden mit schwarzer Kleidung, Hut und Schläfenlocken ebenso wie religiöse Juden mit Kippa und säkulare, die ganz nach westlichem Gusto gekleidet sind. Hier ist heute Abend richtig viel los.
In der Fußgängerzone der Mamilla Avenue, einer exklusiven Einkaufsstraße, stöbern wir, die Teilnehmergruppe hatte sich zerstreut. Hier gibt es ein italienisches Restaurant, Cafe´s, und einige Modegeschäfte.
Der Weg zurück ist kein Problem, wir sind um 22.30 Uhr zurück im Hotel. Was für ein Tag! Vormittags noch am See Genezareth, mittags am Jordan, abends in Jerusalem! Und wir freuen uns schon auf unser Programm für morgen.
Sonntag, 26. Oktober 2014 (Yad Vashem, Davidswache, Beit Jala, Tempelbergtunnel)
Wegen der Zeitumstellung auf “Winterzeit” hatten wir heute Nacht eine Stunde “gewonnen”. Draußen auf der Straße, unser Zimmer geht dorthin hinaus, war es sehr laut und als die “Nachtschwärmer” endlich ruhiger wurden, begannen einen Steinwurf entfernt Baufahrzeuge eine Hochhaus-Baustelle schräg gegenüber geräuschvoll anzufahren. Also: aufstehen!
Zwei Stunden später in der Lobby des Eyal-Hotels, hier sind es zu dieser Zeit angenehme 22 Grad Celsius. Von hier aus laufen wir zu Fuß zum Bus, der ein paar Straßen weiter parkt. Es gibt noch eine Verzögerung, aber um 8.58 Uhr fahren wir ab.
Zunächst geht es nach Yad Vashem. Auf dem Weg dorthin sehen wir im Regierungsviertel Jerusalems den Obersten Gerichtshof, rechts sehen wir das Außenministerium, es folgen weitere Ministerien, dann die “Knesset”, das israelische Parlament. Knesset heißt eigentlich “Versammlung” und bei Gründung des Staates legte man ein Parlament von 120 Abgeordneten fest, deren Grundlagen wieder die alte jüdische Geschichte bildet.
Links macht uns Yalon auch auf das “Israel-Museum” aufmerksam, das eine seltsame Form hat, die an einen Deckel auf einer antiken Amphore erinnern soll. Das macht deshalb Sinn, weil hier im “Schrein des Buches” die berühmten Qumran-Rollen im Original aufbewahrt werden. Allerdings gelangten auch einige der Schriftrollen nach Rom und Amman.
Wir sehen die moderne Straßenbahn Jerusalems und werden rechts auf den Mount Herzl hingewiesen. Hier liegt der umgebettete Theodor Herzl begraben. Auf dem hier angelegten Nationalfriedhof findet jährlich am “Heldengedenktag” eine große, tief berührende Veranstaltung für gefallene Soldaten und im Dienst getötete Polizisten statt, bei der in einem Fall vor Jahren auch eine GdP – Vertretung mit anwesend war, wie Sven uns erklärt. Der Mount Herzl hat bereits einen schönen Baumbestand, hier wachsen besonders Kiefern.
Links sehen wir Yad Vashem.
Es ist die zentrale Gedenkstätte zur Mahnung der Geschehnisse der “Shoa”, die sich auf dem `Berg des Gedenkens´ in Jerusalem befindet. Dort werden in modernen Gebäuden die Erinnerung an den “Holocaust” und das Vermächtnis der Opfer erhalten. Hier versucht man, allen umgekommenen Juden ihr Gesicht und ihre Persönlichkeit wiederzugeben.
Wir sehen die Riesenskulptur des Denkmals zum Warschauer Ghetto. In der Ausstellung sehen wir Exponate über den Antisemitismus in Deutschland, der dann auf die ersten Lager eingeht und schließlich auf die Vernichtungslager. Auch der Aufstand im Warschauer Ghetto von 1943 wurde systematisch aufgearbeitet. Ergreifend sind oft zurückgelassene Tagebücher und persönliche Habe der Ermordeten.
Als besonders erschütternd empfinden wir das “Childrens Memorial”, in dem an 1,5 Millionen ermordeter jüdischer Kinder und Jugendlicher erinnert wird. Es ist abgedunkelt, tausende kleine Lichter leuchten im Mittelteil, eine monotone Stimme nennt Namen der Ermordeten. In einer Kuppel sehen wir die berührenden Kinderbilder. Sie sind, mit dem Wissen ihrer Ermordung, für uns schwer zu ertragen. Sind die Menschen erst aus der Anonymität der Zahlen, mit der das Thema bei uns oft sachlich “abgehakt” wird, herausgetreten, dann ist alles noch entsetzlicher, unbegreiflicher, als es vorher schon war. Manches Auge ist feucht geworden. Der Himmel hätte einstürzen müssen. Diesem Ausmaß an deutscher Schuld kann man einfach nicht mit Worten beikommen.
Still kommen wir aus der Ausstellung. Jeder Kommentar wirkt unpassend, ja banal.
Wir lernen die Einstellung der Israelis in ihrer Politik hier heute besser verstehen. Nie mehr will man seine Sicherheit von anderen Staaten abhängig machen. Seit dem Warschauer Ghetto wird man sich aktiv und so effektiv wie möglich verteidigen. Man entwickelt Verständnis für das hohe Maß an Wehrhaftigkeit der Israelis von heute.
Sehen noch die große Halle, beim Betreten setzen Männer eine Kippa auf, mit der “ewigen Flamme” und den Namen der deutschen Vernichtungslager. “Man muss weiterleben!”, ist die allgemeine jüdische Tendenz, aber auch “Erinnerung” sei wichtig.
In den Anlagen befinden sich unter Bäumen die Schilder von Menschen, die den Juden während der “Shoa”, unter Lebensgefahr, geholfen haben. Wenigstens ein paar deutsche Namen sind auch darunter.
Von den sechs Millionen ermordeter Juden hat man die Identität von vier Millionen durch intensive Recherchen ermittelt. In Regalen stehen die Akten dazu, etwa ein Drittel ist noch leer, Platz für die zwei Millionen ermordeter Menschen, deren Personalien und Lebensläufe noch ihrer Klärung harren.
Um 12.40 Uhr verlassen wir Yad Vashem. Kann man nach einem solchen Besuch eigentlich zur Tagesordnung übergehen und im “Programm” weitermachen?
In der Neustadt halten wir zu einer “Mittagspause” bis 13.20 Uhr. Inzwischen haben wir eine Außentemperatur von 30 Grad Celsius erreicht. Es dauert dann doch bis 13.35 Uhr, ehe wir weiterfahren.
Deaib steuert uns durch die Neustadt, wir passieren einen Park und fahren dann auf die sechsspurige Stadt-Autobahn. Es geht in Richtung Altstadt.
Wieder gelangen wir zur Davids-Zitadelle. Gleich neben dem Davidsturm liegt die hiesige “Davidswache” in einem eigenen Gebäude mit Hof. Hier war auch der Standort der früheren osmanische Wache am Jaffator. In der Wache selbst ist uns das Fotografieren verboten.
Was wissen wir über die israelische Polizei (hebräisch: Mischteret Jisrael)?
Die Polizei in Israel: Die 25.000 Berufspolizisten (manche Zahlen sagen: 30.000 Mann) sind den Armeeangehörigen gleichgestellt. Die regionale Gliederung der Polizei entspricht den sechs Bezirken des Landes. Daneben existiert noch die Grenzpolizei (hebräisch: Mischmar Ha Gvul oder kurz Magav), die besonders zur Terrorismusbekämpfung eingesetzt wird und hierzu unter anderem die Spezialeinheit JAMAM unterhält. Wer von ihnen im Dienst des Landes zu Tode kommt, bekommt ein Ehrengrab auf dem Nationalfriedhof Herzlberg. Unterstützung erhalten die Polizisten durch bis zu 70.000 ehrenamtliche freiwillige Kräfte. Die meisten Verkehrspolizisten sind übrigens Freiwillige.
Die Notrufnummer in Israel lautet “100”!
Johnny Kassabri und Arik Cohn empfangen uns herzlich.
In einem Aufenthaltsraum hat man uns Mineralwasser bereitgestellt. Johnny hält in englischer Sprache einen Vortrag über diese Dienststelle, deren Revier die Altstadt bildet. 450 Beamte, darunter auch Frauen, sind hier eingesetzt. Von den 40.000 Altstadt-Bewohnern sind 28.000 Muslime und 12.000 Christen (5000 Griechisch-Orthodoxe, 5000 Christen und 2000 Armenier). So benötigt man hier an hohen christlichen Feiertagen durchaus 2000 Beamte aus Polizei und Grenzpolizei, um Sicherheit und Ordnung aufrecht zu erhalten. Johnny erläutert weiterhin, dass es allein für die Grabeskirche dreizehn christliche Oberhäupter gibt, das Christentum selbst sei in 33 Glaubensrichtungen gespalten. Jährlich besuchten 10 Millionen Menschen Jerusalem, davon seien 3 Millionen christliche Pilger. Johnnys Meinung nach spitzt sich die Lage zur Zeit zwischen den Religionen weiter zu. Das deckt sich mit unserem Eindruck in Nazareth. Johnny befürchtet gar eine “3. Intifada!”.
Man zeigt uns die Einsatzleitstelle mit über 40 Großmonitoren. Die Altstadt wird lückenlos und überlappend von Kameras überwacht.
Wir unterhalten uns mit Arik Cohn, dem Sprengstoffexperten, den wir bereits in Nazareth kennen gelernt haben. Arik spricht deutsch. Er hat für alle Teilnehmer, als Andenken jeweils ein Stoffabzeichen der israelischen Polizei verteilt. Tauschen die Anschriften aus, wir bleiben in Verbindung. Arik begleitet uns bis zum Jaffator, wo wir uns leider verabschieden müssen.
Bei der Weiterfahrt bleibt Yalon zurück, weil wir wieder in eine A-Zone hineinfahren. In Fahrtrichtung rechts passieren wir eine Freilicht-Bühne, gelangen dann im Süden Jerusalems in den Stadtteil Gilo. In dieser Siedlung, 1973 – 1979 auf dem Land des palästinensischen Dorfes Beit Jala erbaut, leben heute 27.000 Israelis. Es gehört zu den umstrittenen “Siedlungen” und liegt am Rande Jerusalems mit Blick auf Beit Jala, von dem es durch eine Schlucht getrennt ist. Auch das Land des palästinensischen Dorfes al – Walajah wurde von der israelischen Regierung zum Siedlungsbau konfisziert. Als weitere Siedlung wurde Har Gilo (462 Einwohner) erbaut. Den palästinensischen Bewohnern der Umgebung wird seit dem Siedlungsbau hier auch nicht mehr erlaubt, ihre Oliven unterhalb der Siedlungen zu ernten. Gilo wurde ab Herbst 2000 während der 2. Intifada von Beit Jala aus mit Raketen beschossen, wobei Sachschaden entstand, Polizisten und einige Zivilisten wurden verletzt. Israel reagierte mit Militäraktionen in Beit Jala und dem Bau einer Betonmauer zum Schutz Gilos. Es gibt rund 150 umstrittene Siedlungen mit 100.000 Einwohnern auf der “Westbank”, die praktisch exterritorial mit unabhängigen Straßenverbindungen ins israelische Kernland (oft Tunnels) versehen wurden.
Die bis zu neun Meter hohe Sperrmauer wurde wegen der Intifada 2000 errichtet. Sie muss diese Höhe haben, so erfahren wir von Sven, um ein Herüberschießen auf israelisches Gebiet von Häusern im Westjordanland aus zu verhindern. Seitdem gäbe es keine Sprengstoffanschläge mehr in der Stadt, wie zuvor. Durch die effektiven Grenzkontrollen käme auch kein Sprengstoff mehr nach Jerusalem. Die Sicherheit in der Stadt, in der früher Cafe´s oder gar Busse von Anschlägen betroffen waren, habe sich entscheidend verbessert. Man sei hier stolz darauf, dass noch nie ein Tourist in Israel verletzt worden ist, während das in Ägypten schon anders war. Trotzdem scheint niemand Bedenken zu haben, in Ägypten Urlaub zu machen.
Die Grenze, die uns Deutschen “bekannt” vorkommt, ist durch Technik und Wärmebildkameras lückenlos überwacht. 8000 Palästinenser passieren hier täglich den Checkpoint, sie haben spezielle Grenzübertrittspapiere, wenn sie in Israel arbeiten. Im Spannungsfall, wie während der “Intifada”, werden die Grenzübergangsstellen geschlossen. Wir fahren also wieder in die autonome A-Zone hinein. Israelischen Staatsbürgern ist der Zutritt zur A-Zone verboten. Am Checkpoint überwacht die israelische Polizei den Übergang. Seit der 2. Intifada (2000 – 2005), die alles verschlimmert hat, gibt es hier erhebliche wirtschaftlich Probleme, erfahren wir. Wir sind wieder im Westjordanland.
Wir passieren eine schöne christliche Kirche und sehen dann das Herodion, eine von Herodes dem Großen in den Jahren 24 bis 12 vor Christus errichtete Festung und Palastanlage auf einem künstlich angelegten Bergkegel (758 Meter über dem Meeresspiegel). Hier hat man eine Zitadelle und das Mausoleum von Herodes ausgegraben. Der Archäologe Ehud Netzer, Professor an der Hebräischen Universität zu Jerusalem, gab 2007 bekannt, das lang gesuchte Herodes-Grab, das er seit 1972 suchte, gefunden zu haben. Vor vier Jahren, im Oktober 2010 stürzte Netzer tragischerweise bei den Ausgrabungen im Herodion ab und starb kurz darauf im Krankenhaus an den erlittenen Verletzungen.
Vierzig Minuten verbringen wir im Kings-Store zu Bethlehem, einem Laden mit allerhand Andenken von Schmuck mit dem grünen Eilat-Stein bis zu Schnitzereien aus Olivenholz. Für viele palästinensische Familien ist die Sparte “Touristenandenken” ein wichtiger Erwerbszweig.
Bei der Weiterfahrt sind wir ganz schnell in Beit Jala, einem Großdorf von 10.000 Einwohnern, zehn Kilometer südlich von Jerusalem. Der Ort ist bereits mit Bethlehem zusammengewachsen. 80% der arabischen Einwohner sind hier christlichen Glaubens (80 % griechisch-orthodox, 15% Katholiken und 5% Lutheraner). Schutzpatron ist der Heilige Nikolaus. In Beit Jala gibt es seit mehr als 160 Jahren ein berühmtes Bildungszentrum, die Talitha Kumi.
Auf einem zehn Hektar großen Gelände einer bewaldeten Anhöhe hat man einen Kindergarten, eine Schule, die von der 1. Klasse bis zur Hochschulreife unterrichtet, eine Hotelfachschule, ein Mädcheninternat und ein großes Gästehaus eingerichtet. Talitha Kumi ist aramäisch und bedeutet das Jesuswort: “Mädchen, steh´ auf!” (Markus 5:41). Als älteste evangelische Schule in Palästina von Diakonissen aus Kaiserswerth bei Düsseldorf 1851 hier gegründet, wurde sie auch 1898 von Kaiser Wilhelm II. und seiner Frau Auguste Victoria besucht. Heute ist das Bildungszentrum eine von fünf evangelischen Privatschulen der evangelisch-lutherischen Kirche, hier werden Christen und Muslime gemeinsam unterrichtet.
Unweit der christlichen Kirche “Abrahams Herberge” lebt die Familie von Faten Mukarker in ihrem dreistöckigem Haus. Weshalb sind wir hier?
Frau Faten Mukarker, der wir bereits in Jericho als Dolmetscherin begegnet sind, 58 Jahre Jahre alt, wuchs als Gastarbeiterkind im Rheinland auf. Sie gehört mit ihrer Familie zu arabischen Christen, wir sind heute Abend bei ihr zum Abendessen zu Gast. Die Gastgeberin empfängt uns freundlich in einem schwarzen Kleid, das mit traditionellen roten Mustern verziert ist. Sie arbeitet heute als Reiseleiterin, Dolmetscherin, hält Vorträge in Deutschland und vermietet in ihrem Haus auch Zimmer an Touristen.
Während das Essen in riesigen Töpfen in der modernen Küche, von den Töchtern Ursula und Monika betreut, vor sich hin köchelt, erzählt Faten aus ihrem Leben.
In Bethlehem geboren, kam sie als zwei Monate altes Kind mit ihrem Bruder und der Mutter über Beirut und Neapel nach Köln. Ihr Vater hatte im Rheinland als Schriftsetzer für die arabische Ausgabe einer Zeitung eine Stelle gefunden und ließ die Familie nachkommen. Sie erzählt, wie sie als Gastarbeiterkind, sie bezeichnet es auch als “Hintergrundkind”, im Rheinland aufwuchs. Damals habe es dort nur wenige Gastarbeiter gegeben.
Trotz christlichen Glaubens lebte und lebt die Familie in arabischen Traditionen mit dem strengen Verhaltenskodex, von dem besonders Frauen betroffen sind. Die “Ehre der Familie” ist ein so hohes Gut, dass heranwachsende Mädchen ständiger und zunehmender Überwachung ausgesetzt sind. Die Ehre eines jungen Mädchens sei wie Glas, habe die Mutter ihr erklärt. Niemand könne geplittertes Glas wieder zusammenfügen. Während gleichaltrige deutsche Mädchen sich während des Heranwachsens ihrem Elternhaus gegenüber weitere Rechte erkämpfen konnten, sei es bei ihr eher umgekehrt gewesen. Klassenfahrten, an denen natürlich auch Jungen teilnahmen, mussten den Eltern nach und nach erst mühevoll abgetrotzt werden. Die Klassenlehrerin intervenierte deshalb erfolgreich.
Als Faten längst im heiratsfähigen Alter war, es war nach arabischen Traditionen schon “reichlich spät”, wie sie lächelnd erklärt, entschied sie sich schließlich für eine Heirat in Beit Jala, der Heimat, die sie immer wieder besucht hatte.
Wir erfahren viel von den komplizierten Vorgängen einer arabischen Heirat, bei der die Brautleute sich bis zur Trauung kaum sehen. Ehre und Respekt der Familien sind unabdingbar. Sie bezeichnet diese Eheschließung mit einer “Lotterie” und meint dazu, dass sie “Glück gehabt” habe.
Sie blieb in Beit Jala in der Großfamilie ihres Mannes, während ihre Eltern nach den Hochzeitsfeierlichkeiten wieder zurück ins Rheinland fuhren. Es sei nicht immer einfach gewesen, sich in die neue Familie einzufügen. Erst als sie und ihr Mann eine eigene Wohnung im Haus bezogen hätten, habe sich ihre Situation verbessert und sie sei selbstbewusster geworden. Da alle in einem Haus wohnen, blieb der Kontakt zur Familie aber erhalten. Kinderbetreuung, Altenpflege fordern nach wie vor gerade die Frauen.
Der Ehe entsprossen die beiden Söhne Fuad, den wir heute Abend noch kennen lernen, und Kamal, der uns morgen durch Bethlehem führen wird. Bei den Töchtern konnte sich Faten sogar gegen ihren konservativen Mann durchsetzen und diese auf die “urkölschen” Namen Ursula und Monika taufen lassen. Nur 2% der arabischen Bevölkerung auf der “Westbank” seien christlich, so erfahren wir von ihr.
Die Familie trägt das Essen auf. Es gibt eine Art palästinensischen Kusskuss, mit Rinderklein, Kichererbsen, Gurken, Tomaten, später Obst, Süßes und Tee. Alles sehr lecker. Später erzählt Faten weiter aus ihrem Leben.
Sie hat inzwischen ihren eigenen Weg inmitten einer arabischen Männerwelt gefunden und arbeitet in christlichen Kreisen mit, ermuntert auch andere Frauen, selbstbewusster zu werden. Hierbei ist sie auch ein wenig “Wanderer zwischen den Welten” und kann auf ihre Erfahrungen in Deutschland zurückgreifen. Ihre Kinder sprechen alle deutsch. Kinderbetreuung und Altenpflege allein waren ihr zu wenig. Die resolute Frau, die immer wieder Grenzen überschritten hat, erzählt uns vom heutigen Leben im “Heiligen Land”.
Für die Israelis seien die christlichen Araber, die noch nie einen Anschlag verübt hätten, einfach nur “Palästinenser”, denen ein tiefes Misstrauen entgegengebracht wird. Die Palästinenser hingegen, sehen sie, da sie nicht dem muslimischen Glauben angehören, als keine “echten Araber” an.
Faten erzählt aus der Geschichte, von vier Jahrhunderten osmanischer Herrschaft. Seit 150 Jahren wanderten die Christen hier ab, erfahren wir. Viele Männer seien im 20. Jahrhundert in den Kriegen gefallen, die Familien danach verarmt. Viele seien auch nach Lateinamerika ausgewandert, wo sie “Turkos” genannt werden. Der Bevölkerungsanteil arabischer Christen sei inzwischen dramatisch zurückgegangen.
Wir erfahren, wie stark sich die 2. Intifada (2000 – 2005) auf das Leben in Beit Jala ausgewirkt hat. Israel hat das von ihm beanspruchte Gebiet mit der Grenzmauer abgeriegelt, und hierbei auch Land aus Beit Jala abgeschnitten, auch einige Wasserquellen habe man großzügig auf israelischer Seite mit eingemauert. Die Bauern aus dem Ort mussten tatenlos mit ansehen, wie israelische Soldaten die jahrhundertealten Olivenbäume, die die Existenz der Menschen hier bedeuteten, beim Planieren der Fläche gnadenlos fällten, als man die Sperrmauer errichtete. Durch den Bau dieser Mauer hätten die Palästinenser 11 % ihres Landes verloren. Proteste waren wirkungslos. Israel nenne das Bauwerk “Sicherheitsmauer”, hier befand sich früher die sogenannte “Grüne Linie”. Die Menschen hier sähen sich nicht als Eigentümer, sondern als “Hüter des Landes”. Eine Klage vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag habe 2004 festgestellt, dass die Mauer “rechtswidrig” sei, was aber an den Realitäten nichts ändere.
Oft werde den Palästinensern, die besondere Ausweise benötigten, um im israelischen Kernland zu arbeiten, an den Checkpoints die Einreise verweigert. Im Spannungsfall würden die Checkpoints ganz geschlossen, so auch während der Gaza-Krisen. Da die Palästinenser meist über keine Sozial- oder Krankenversicherung verfügten, seien sie im Falle der Arbeitslosigkeit auf die Familie angewiesen. Viele Familien hätten nur einen Verdiener.
Israel ergänze seinen Arbeitskräftebedarf neuerdings aus Rumänien, Bulgarien, ja sogar aus Thailand, was die palästinensischen Arbeiter weiter vom Arbeitsmarkt zurückdränge.
Ein Beispiel aus der Familie erzählt sie uns noch: für eine ältere Tante, die an Krebs erkrankt war, wurde ein Krankenhausaufenthalt in einer israelischen Klinik erforderlich. Die Krankenhausverwaltung gestattete die Einweisung nur per Vorkasse. Es war ein immenser Betrag zu entrichten und Faten konnte wenigstens erreichen, dass man sich mit einer Anzahlung zufriedengab und die Familie alle Ersparnisse zusammenkratzen musste, um die Behandlung zu ermöglichen.
Für die knapp vier Millionen Palästinenser im Gaza-Streifen und im Westjordanland sei der Zionismus eine Ideologie. Religiöser Fundamentalismus habe im Heiligen Land immer zu Kriegen und im Endeffekt zu noch größeren Problemen geführt.
Faten macht uns, auch wenn man durchaus anderer Meinung sein kann, deutlich, dass auch sie und ihre Landsleute, die “Palästinenser”, sich nichts sehnlicher wünschen, als ohne Angst, frei und selbstbestimmt in einem eigenen Staat zu leben. Wie man Mauern einreißt, um den Teufelskreis der Gewalt zu beenden und zu einem friedlichen Miteinander zu kommen, weiß zur Zeit wohl niemand. Man kann den Menschen hier nur wünschen, dass sie einen Weg zu einem friedlichen Nebeneinander finden werden.
Fatens Schlusswort an uns lautet: “Mit Respekt und Achtung kann man auch Schmetterlinge in den Bauch locken!” und “Wer im Wunderland nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist!”.
Als Andenken an diesen Abend und eine bemerkenswerte Frau nehmen wir ihr Buch: “Leben zwischen Grenzen – Eine christliche Palästinenserin berichtet” mit, lassen es signieren.
Um 21.00 Uhr sitzen wir wieder im Bus, fünf Minuten später sind wir wieder am Checkpoint.
Deaib Ghadir setzt uns in Jerusalem an der Altstadt ab und fährt den Bus zum Parkplatz.
Yalon erwartet uns vor dem Jaffator. Er erklärt uns noch ein paar historische Bauwerke, die wir von hier aus angestrahlt gut erkennen können.
Da ist zum Beispiel das beherrschend auf der Höhe residierende King-David-Hotel (hebräisch: Malon ha – Melech David), 1931 eröffnet. Hier befand sich das britische Hauptquartier, als die jüdische “Irgun” unter Menachem Begin am 22. Juli 1946 hier ihren verheerenden Bombenanschlag verübte. Die Anzahl der Opfer schwankt zwischen 91 und 176. In der Folge machten die Briten das Haus zur Festung. Im Mai 1948 wurde es von der israelischen Armee genutzt, weil man von hier aus auf der israelischen Seite gut das Niemandsland an der Waffenstillstandslinie nahe der Altstadt überblicken konnte. Nach dem Sechstagekrieg 1967 wurde das Haus wieder Luxushotel im Besitz der deutsch-jüdischen Familie Federmann aus Chemnitz. Sie machte das “King David” wieder zum Luxushotel und zur Grundlage der heutigen “Dan-Hotels” in Israel.
Weiterhin sehen wir von hier aus die gerade erst frisch restaurierte Montefiore-Windmühle in der westlichen Jerusalemer Neustadt. Der aus Italien stammende Philanthrop Moses Montefiore ließ das Bauwerk 1857 hier errichten, um der ersten jüdischen Siedlung “Yemin Mosche”, die außerhalb der Altstadtmauern angelegt wurde, ihre Unabhängigkeit und eine Erwerbsmöglichkeit zu sichern. Sie soll nur zwanzig Jahre lang in Betrieb gewesen sein. Im Israelischen Unabhängigkeitskrieg waren hier jüdische Scharfschützen auf dem Dach postiert.
Weiter in der Altstadt im Jüdischen Viertel sehen wir auf einem niedrigeren Bodenniveau das originale römische Pflaster und 3000 Jahre alte Mauerreste aus der Zeit König Salomons.
Vom Rabinovitch Square aus, ist es nicht mehr weit bis zur “Klagemauer”, der “Kotel” oder Westmauer des jüdischen Zweiten, des herodianischen, Tempelplateaus. Vorher müssen wir aber noch eine Sicherheitsschleuse passieren um den Platz, der den Juden heilig ist, zu betreten.
Nach jüdischem Glauben fließt Gott an dieser Stelle in die irdische Welt ein. Der Westmauer, als letztem Überbleibsel des Tempelplateaus, wird deshalb spirituelle Kraft zugeschrieben, die laut den Weisheiten Salomons auch Nichtjuden zugute komme. Aus diesem Grunde glaubt man daran, dass die Zettel, die man in die Nischen der zyklopischen Steine steckt, direkt zu Gott gelangen.
Jahrhunderte lang war den Juden der Zugang zu ihrem größten Heiligtum verboten, zuletzt 1948 bis 1967. Ein Drittel der Tempelmauer war durch die Römer abgetragen worden, ein weiteres Drittel befindet sich unter der Erde, wovon wir uns in den nächsten anderthalb Stunden überzeugen können. Um 22.20 Uhr geht es los!
Der Eingang zum “Klagemauertunnel” oder auch Tunnel unter dem Tempelberg befindet sich etwa 20 Meter links von der Westmauer unscheinbar unter einem Bogen. Als der Tunnel (Minheret Hakotel) im September 1996 durch die israelische Regierung geöffnet wurde, kam es zu Unruhen unter der arabischen Bevölkerung, die eine unterirdische Entweihung ihrer Heiligtümer auf dem Tempelberg befürchtete. Es gab 70 Tote und 1000 Verletzte. Zwanzig Jahre haben die Israelis hier auch archäologische Forschungen unternommen und einige Fundstücke zutage gefördert.
Während der oben sichtbare Teil der Westmauer nur gut sechzig Meter lang ist, liegt der größte Teil dieser Mauer im Untergrund. Der Tunnel, den wir nun in zwei Gruppen beschreiten, ermöglicht den Zugang von weiteren 485 Metern. Christa und ich gehören zu Svens Gruppe. Ein freundlicher schottischer Reiseleiter erklärt uns in englischer Sprache den Bau des Tempels in seiner Geschichte und betritt mit uns die “Katakomben”. Wir steigen etliche Meter in die Tiefe hinunter, man hat hier sogar an eine Bewetterung gedacht. Hier sehen wir wieder die schönen herodianischen “Quadersteine mit Rahmen” und den oft als “Klagestein” bezeichneten riesigen Felsblock mit 13,6 Metern Länge und einer Breite von 3,5 Metern bei 4,5 Metern Höhe. Der Block gilt als größter von Menschenhand bewegter Steinblock und soll rund 550 Tonnen wiegen. Selbst die Römer konnten diesen Koloss bei der Zerstörung des Tempels 70 nach Christus nicht zertrümmern. Die wuchtige Mauer ist insgesamt zwölf Meter hoch.
An der Felsen-Stelle, die dem Allerheiligsten unterirdisch am nächsten liegt, beten zwei jüdische Frauen andächtig. Dieser Fels, auf dem Abraham Isaak opfern wollte, endet “oben” über uns in der Rotunde des muslimischen Felsendoms. Wir sind hier am “Warren-Tor” 46 Meter tief im Tunnel.
Unser Reiseleiter macht uns dann auf ein Straßenpflaster und zwei Säulen aus herodianischer Zeit aufmerksam: sie zeigen uns hier das Höhenniveau um das Jahr 0. Hier ist also Jesus noch gegangen! Beim Weitergehen haben wir immer wieder das Gefühl, dass es noch weitere Stockwerke tief hinunter geht. An einer Stelle sehen wir auch unter einer dicken Glasplatte “beerdigte Zettel” aus der Westmauer. Wie beschädigte Thora-Rollen werden diese Zettel nach jüdischer Tradition beerdigt.
Wir kommen noch zu einem unterirdischen Wasserbecken und haben Mühe, nach diesem langen Tag noch etwas “aufzunehmen”. Unser netter Schotte zeigt uns noch den Ausgang an der Via Dolorosa (wir sehen die Stelle morgen von außen). Es ist hier aber nun geschlossen, weil die Bewohner des arabischen Viertels um diese späte Nachtzeit “ihre Ruhe haben” möchten. Also marschieren wir den ganzen Weg wieder zurück, auch an dem Felsenstück des “Allerheiligsten”, das nun verlassen ist.
Um 23.45 Uhr machen wir auf dem Platz vor der Klagemauer Rast und warten auf die zweite, Yalons, Gruppe. Einige von uns nutzen die Wartezeit und gehen getrennt zur Tempelmauer: für Frauen wurde rechts ein Teil abgetrennt, die Männer beten links an der etwas größeren Mauerfläche. Die Westmauer ist angestrahlt, in den breiten Ritzen der Quadersteine wachsen Grasbüchel. Orthodoxe Juden stehen kopfnickend vor der Wand, andere legen die Stirn an die alten Steine, viele lesen in Gebetsbüchern, die man auch links aus einem Regal entleihen kann. Es folgt eine kurze Gedenkminute vor der Mauer, innere Einkehr und Ruhe. Schließlich wieder zurück zur Gruppe.
Die zweite Gruppe kommt gerade aus dem Tunnel. Mitternacht ist vorüber, alle zusammen spazieren wir zurück zum Bus. Wir hätten auch über das Jaffator zum Hotel zurück laufen können, aber Deaib wollte es sich nicht nehmen lassen, uns noch zu fahren. Sparen dadurch doch noch etwas Zeit, denn die Nacht wird wieder kurz. Gegen 1.30 Uhr kommen wir ins Bett.
Das Frühstück fällt heute sehr “früh” auf 6.45 Uhr, weil wir bereits ab 7.30 Uhr am Bus sein sollen. Abfahrt um 7.50 Uhr, wieder in Richtung Süden in die A-Zone. Passieren wieder den Checkpoint, um 08.12 Uhr sind wir dort. Yalon blieb in Jerusalem, dafür steigt Kamal Mukarker, der zweite Sohn von Faten, bei uns ein und erzählt in einem sehr guten Deutsch Wissenswertes über die Stadt Bethlehem.
So erfahren wir, dass die Römer die Olivenbäume in Palästina einführten. Aus dem Holz der Bäume werden heute viele Figuren und Andenken geschnitzt.
Auf der kurzen Fahrt nach Bethlehem macht uns Kamal auf Rachels (Rahel) Grab aufmerksam, das von Gläubigen aller drei monotheistischen Religionen verehrt wird. Die Mutter von Jakobs Lieblingssöhnen Josef und Benjamin soll hier bei der Niederkunft mit Benjamin gestorben und begraben worden sein. Die Israelis lassen Muslime seit 1967 nicht mehr hier beten. Im Judentum steht Rahel als Symbol für Israel und seine Trauer um das verlorene Volk Ephraim, das nicht aus assyrischer Gefangenschaft zurückkehrte: “Rahel weint um ihre Kinder …” (Jeremia 31:15).
In Fahrtrichtung links passieren wir das Hirtenfeld: “Fürchtet Euch nicht ….” (Lukas 2 : 8-14). Wir erfahren noch, dass Obst und Gemüse hier billig sind, aber Strom, Milch und moderne Technik kämen aus Israel und seien relativ teuer. Ziegen- und Schaffleisch erzeugen die Palästinenser durch ihre Viehzucht selbst, aber Rindfleisch muss man wieder teuer aus Israel einführen.
Die Stadt Bethlehem liegt auf einer 777 Meter hohen Felserhebung und wird von terrassenförmig angelegten Weinbergen, Olivenhainen, Mandel- und Feigenbaumgärten umgeben. Hebräisch bedeute der Name “Haus des Brotes”. Unterhalb der Stadt liegen die Felder, in denen sich die Geschichte von Ruths Liebe zu Boas ereignete (Buch Ruth im Alten Testament). Ihr Sohn Obed wurde der Großvater König Davids, der vor 3000 Jahren in Bethlehem geboren und gesalbt wurde (1. Buch Samuel, 16:13).
Heute hat Bethlehem 25.300 Einwohner. Seit 1973 gibt es hier die Vatikanische Katholische Universität, an der Christen und Muslime gemeinsam studieren. Deutsche Partnerstadt Bethlehems ist Köln. Die Geburtskirche wurde 2012 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt.
Jedem Christen ist der Ort natürlich als Jesu Geburtsstätte ein Begriff. Der wahrscheinlich genaue Geburtsort (Matthäus 2:1 und Lukas 2: 4-11) in einer Höhle oder Grotte wird von den Christen schon ab dem 2. Jahrhundert verehrt. Es muss ein Höhlensystem gewesen sein, in dem auch Tiere gehalten wurden, deshalb war auch eine Krippe vorhanden. Kaiser Hadrian ließ an dieser Stätte einen Adonis-Schrein errichten, um die neue Religion zu bekämpfen, bestätigte aber damit den genauen Standort. Von der Pilgerfahrt der Königin Helena ins Heilige Land inspiriert, ordnete Kaiser Konstantin 326 die Errichtung der Geburtskirche über der Höhle mit der Krippe an. Seit 333 steht über dieser Stätte eine Memorialkirche. Nachdem diese durch Erdbeben oder Brand zerstört wurde, baute man im 5. Jahrhundert die konstantinsche Basilika, die heute noch den Mittelpunkt des Sakralgebäude bildet. Beim Persersturm 614 verschonte man die Kirche, die 1161 – 1169 von den Kreuzfahrern restauriert wurde. Unter den Osmanen verfiel die Geburtskirche derart, dass 1670 die Griechisch – Orthodoxe Kirche mit der Renovierung begann. 1717 wurde ein silberner Stern mit der Inschrift “Hic de Virgine Maria Jesus Christus natus est” (“Hier wurde Jesus Christus von der Jungfrau Maria geboren”) an der Geburtsstelle eingepasst. Die 14 Zacken des Sterns symbolisieren die 14 Geschlechter des Stammbaums Jesu. Wegen Streitigkeiten regelte die osmanische Pforte, dass der Hauptaltar und die rechten Seitenaltäre den Griechen und zwei Seitenaltäre links den Armeniern gehören. Den Katholiken (Lateinern) blieben neben dem Dreikönigsaltar und dem “Stern” unter dem Geburtsaltar nur die Hieronymus-Grotten und der Platz links von der Basilika, wo sie sich eine eigene Kirche bauen durften. 1847 wurde der silberne Stern der Geburtsgrotte entfernt und 1852 vom Sultan Abdülmecid I. wieder neu gestiftet. Dieser Vorfall soll mit zum Ausbruch des Krimkrieges (1853-1856) zwischen dem Osmanischen Reich und Russland beigetragen haben, weil Russland (Zar Nikolaus I.) als Schutzmacht der Orthodoxen Kirche das Protektorat über alle Christen im Heiligen Land verlangte. Dies wollten Briten aus strategischen Gründen und Franzosen, weil sie sich als Schutzmacht der Katholiken sahen, verhindern. Sie unterstützten die islamistischen Osmanen deshalb im Krieg gegen Russland.
Auf dem Platz vor der Geburtskirche, dem Manger Square, steigen wir aus dem Bus. Man sieht das Justiniantor mit gotischem Bogen aus der Kreuzfahrerzeit. Mit einem Fotografen wird ein Erinnerungsfoto abgesprochen, das wir nach der Besichtigung der Geburtskirche erhalten.
Kamal erzählt aus der Baugeschichte des ehrwürdigen Kirchenbaus. Seit 386 wirkte der Kirchenvater Hieronymus, der die Bibel ins Lateinische übersetzte, in Bethlehem, er wurde in der Geburtskirche begraben. Im Jahr 1100 feierten die Kreuzritter hier die Krönung Balduins I. zum König von Jerusalem. Zu den vier großen christlichen Kirchen gehören die “Orientalisch-Orthodoxen Christen” wie koptische, syrische und äthiopische Kirche, die Griechisch-Orthodoxe Kirche (Ostrom mit Griechenland, Bulgarien, Russland), die Katholische Kirche (Rom, auch Lateiner genannt) und seit 1517 die Evangelische Kirche.
Die Kirche hatte früher drei Eingänge, von denen zwei geschlossen wurden. Der dritte und größte Eingang wurde ebenfalls zum Teil verschlossen, um zu verhindern, dass angreifende Reiter direkt in die Kirche gelangen konnten. Da die Besucher sich beim Eintreten bücken müssen, heißt dieser Eingang heute das “Tor der Demut”.
Die Basilika mit dem griechisch-orthodoxen Hauptaltar und offenem Dachstuhl ist zum Teil seitlich mit Gerüsten versehen. Wir sehen die Kalksteinsäulen und an einigen Stellen Mosaiken der Kreuzfahrerzeit, unter einer nur teilweise geöffneten Holzabdeckung auf dem Boden erblickt man das alte Bodenmosaik aus der Vorgängerkirche des 4. Jahrhunderts. Von Kamal erfahren wir, dass Armenien im Jahre 302 als erster Staat christlich geworden war. Wir sehen hier im ältesten Teil der Kirche den armenischen Altar. An beiden Seiten des Chors der Basilika führen Treppen hinab zur Geburtskapelle, die sich direkt unter dem Hauptaltar befindet.
Wir müssen vor der Treppe noch einen Moment warten, haben die Basilika noch für uns ganz allein, weil wir so früh vor Ort sind. Kamal zeigt uns die Ausschmückungen aus der Kreuzritterzeit (12. Jahrhundert) mit Holzschnitzereien und bemalten Tafeln mit Szenen aus der Geschichte Jesu.
Griechisch-orthodoxe, armenische und katholische Mönche fegen erst, bevor sie die Geburtskapelle für uns freigeben. In dieser tiefer liegenden Kapelle befindet sich der silberne Stern auf mit Marmor ausgelegtem Boden, der den Ort der Geburt Jesu anzeigt. Im Lukasevangelium (2:6-7) steht dazu: “Und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen, wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil für sie kein Platz in der Herberge war.“ Darüber hängen silberne Öllampen. Die Patriarchen der verschiedenen Kirchen zelebrieren hier Hochamt und Weihnachtsmessen: die Katholiken am 24. und 25. Dezember, der griechisch-orthodoxe Patriarch am 6. und 7. Januar nach dem julianischen Kalender und der Patriarch der Armenischen Kirche am 18. und 19. Januar. Die unterschiedlichen Kalender sind sogar als Glücksfall zu sehen, so verteilen sich die in Massen anreisenden Gläubigen besser.
Die Geburtskapelle enthält noch den Altar der Krippe sowie den Altar der Magier, der drei Weisen aus dem Morgenland (Matthäus 2: 9-11). Ergriffen gehen wir wieder nach oben, in der Kirche ist die nächste Gruppe eingetroffen.
Links an die Basilika angebaut ist die von den Franziskanern 1881 – 1888 errichtete römisch-katholische dreischiffige Katharinenkirche. Mit schneeweißem Stein erbaut, ruht sie auf den Fundamenten eines alten Klosters und auf einem unterirdischen Grottensystem in dem die Heiligen-Gräber der Eustochium, der Paula und des Kirchenvaters Hieronymus, deren Gebeine im 15. Jahrhundert nach Rom gebracht wurden, lagen. Wir sehen eine große Bronzetafel, die die Salbung Davids in Bethlehem zeigt und die Geschichte der biblischen Ruth. Papst Benedikt XVI. spendete diese Tafel bei seinem Besuch hier im Jahre 2009.
Kamal erzählt auch, dass es immer wieder Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Konfessionen hier gibt. Es wäre dann durchaus auch zu “Raufereien” beispielsweise zwischen armenischen und griechisch – orthodoxen Priestern gekommen, die von der Polizei aufgelöst werden mussten. Was mögen Muslime und Juden darüber denken, wenn sich die Priester christlicher Religionen so aufführen?
Im April 2002, während der oft genannten 2. Intifada, kam es zu einer 39 Tage dauernden “Belagerung” der Geburtskirche durch israelisches Militär, nachdem sich 40 bewaffnete palästinensische Kämpfer in die Geburtskirche geflüchtet und dort verschanzt hatten. Mit ihnen waren etwa 160 weitere Personen, darunter 60 Priester, Mönche und Nonnen, in dem Sakralgebäude eingeschlossen.
Im Kreuzgang der Katharinenkirche mit dem Denkmal des Heiligen Hieronymus spielt Kamal auf der Blockflöte: “O du fröhliche …”, wir singen alle mit. Auf dem Vorplatz können wir die Gruppenaufnahme im Großformat erwerben, das Foto ist gut gelungen und ein schönes Andenken.
Kamal führt uns weiter. Gegenüber der Geburtskirche befinden wir uns auf dem Omar-Platz, im Hintergrund erhebt sich die Omar-Moschee mit ihrem markanten Turm. Wir gehen von hier aus in die Altstadt und über den Markt, mit seinen Obst- und Gemüseständen, Fleischtheken, aber auch Textilgeschäften. Kamal kauft Bananen für uns alle. Treffen auch noch einmal kurz Faten Mukarker am Markt, die mit einer Gruppe Touristen unterwegs ist.
Uns hat Bethlehem sehr gut gefallen, wir waren eher angenehm überrascht.
Beim Verlassen der Stadt blicken wir noch einmal auf das Herodion. Kamal bedankt sich für unser Interesse und bittet uns darum, wieder zu kommen. Mit dem Hinweis auf das Jahr 1989 in Berlin meint er: “Mauern bleiben nicht!”. Salaam Kamal, das war eine gute Führung, vielen Dank!
Um 10.35 Uhr sind wir wieder am Checkpoint.
Unser nächstes Ziel ist ein Aussichtspunkt als Fotostopp. Eine Fahrt zum Ölberg hält Sven für zu risikoreich. Hier hat es Steinwürfe gegen Touristenbusse gegeben, ein unnötiges Risiko. Wir haben 25 Grad Celsius, als uns Deaib (über die Nationalstraße 60, die im Stadtgebiet am Neuen Tor die Altstadt “streift”) zum Friedenswald auf die “Sherover Promenade” fährt. Hier haben wir einen imposanten Blick auf Jerusalem. Fixpunkt ist stets die goldene Kuppel des Felsendoms auf dem Tempelberg. Vor uns senkt sich das Gelände zum Hinnom-Tal ab, steigt dann wieder an und wird von der osmanischen Stadtmauer der Altstadt und dem Tempelberg beherrscht. Links befindet sich der Berg Zion, rechts die Davidsstadt überragt vom Tempelberg mit der Al-Aksa-Moschee, hinter der sich der Felsendom erhebt. Weiter rechts trennt das Kidrontal den Tempelberg vom Ölberg. Gut erkennbar ist auch der am südlichen Ölberghang angelegte Jüdische Friedhof, das gleißende Sonnenlicht bricht sich dort auf den weißen Stein-Flächen. Es ist der älteste Friedhof der Welt, der ohne Unterbrechung genutzt wird. Hier finden sich neue Gräber neben solchen, die vor mehr als 4000 Jahren gegraben wurden. Generationen gläubiger Juden haben diese Stätte gewählt, weil sie am “Tage des Jüngsten Gerichts” so nah wie möglich am Tempelberg sein wollen.
Der Ölberg ist ein langgestreckter Höhenzug von 809 Metern, andere Nationen nennen ihn Oliven-Berg (jüdisch: Har Hazetim). Auf seiner Höhe erkennt man im Hintergrund noch gut den massiven Turm der deutschen Himmelfahrtskirche (Ascension Church) die zum Auguste-Viktoria-Hospital der Ölbergstiftung, einem evangelischen Pilgerzentrum, gehört und 1914 fertig gestellt wurde. Infolge eines Erdbebens musste der Turm um zehn Meter gekürzt werden, hierdurch wirkt er gedrungener als ursprünglich geplant. Seine Glocken kommen aus Apolda (Thüringen), die Orgel aus Frankfurt an der Oder.
Wir halten wenige hundert Meter weiter noch einmal kurz für weitere Fotos über gepflegte Anlagen hinweg an. Dann steuert Deaib unseren Bus wieder in die Stadt hinein. Wir sehen bereits den Zionsberg im Südwesten der Stadt, außerhalb der Stadtmauern gelegen. Weiter dahinter ist auch die markante Silhouette der Montefiore-Windmühle zu erkennen. In deren Bereich standen 1860 die ersten Häuser außerhalb der Altstadtmauern. Deaib setzt uns um 11.35 Uhr am südöstlichen Ende des Berges Zion hier ab. Wir laufen nun zu Fuß weiter.
Die Dormitio-Kirche der Benediktiner mit ihrem Kuppelbau krönt die markante Erhebung außerhalb der heutigen Altstadt. Der Glockenturm der Dormitio-Abtei mit Uhr und dem pagodenartigen Dach werde “Kaiser Wilhelm II.” genannt, weil das ungewöhnliche Dach wie eine preußische Pickelhaube aussehe, so Yalon, der inzwischen wieder zu uns gestoßen ist. Das Grundstück hatte Wilhelm II. bei seinem Besuch 1898 erworben und es den Katholiken überlassen, die 1910 diese Kirche erbauten. Yalon rät davon ab, heute zum Löwentor oder Garten Gethsemane zu gehen, am Damaskustor und in Ost-Jerusalem habe es “Probleme” gegeben. Die Altstadt dagegen sei unproblematisch. Hinter uns befindet sich der katholische Friedhof, auf dem Oskar Schindler seine letzte Ruhe gefunden hat. Wir sind an der (Straße) Maale Shazach.
Es geht bergauf, vorbei an der Dormitio-Kirche. Hier ist nach alter Tradition auch Maria, die hier gewohnt haben soll, im Kreise der Jünger gestorben. (Dormitio Mariä bedeutet “Mariä Entschlafen”). Sie wurde am Fuße des Ölbergs begraben. Yalon erklärt, dass die ersten Christen ja jüdisch waren. Simon Petrus und Jakobus (der Bruder Jesu) führten die erste Gemeinde. Hier, beim Grab König Davids (“King Davids Tomb) habe die erste Kirche gestanden. Man nannte die Stelle nur so, damit die Osmanen, die König David achteten, die Bauten nicht zerstörten. König David sei in der Altstadt begraben worden. Ein Denkmal König Davids mit Harfe wird hier oft fotografiert. Wir sehen dann den Raum des letzten Abendmahls! Das Coenaculum, der Saal, in der Jesus in der Nacht vor seinem Tod mit den Jüngern das Festmahl für den Sederabend des jüdischen Passahfestes einnahm. Es ist die Abendmahlskirche, von den Franziskanern im 14. Jahrhundert über der historischen Stätte erbaut. Schließlich stehen wir vor dem Zionstor, durch das man in das Jüdische Viertel der Altstadt gelangt. Am Portikus sind Einschüsse erkennbar, hier aber aus dem Israelischen Unabhängigkeitskrieg von 1948.
Mittags (12.05 Uhr) befinden wir uns an der Jewish Quarter Street im Jüdischen Viertel. Wir hören fröhliche Musik zum Bar Mizwa-Fest. Jungen werden, wie bereits erwähnt, mit 13 Jahren religionsmündig, Mädchen schon mit Zwölf. Eine Gesellschaft mit einem stolzen Dreizehnjährigen unter einem mit Davidstern bedrucktem weißen Baldachin, bevölkert musizierend und tanzend, die Gasse.
Die Hurva-Synagoge, vor der wir nun ankommen, ist übrigens die größte Synagoge der Stadt und ihr Bau wurde bereits im Jahre 1700 begonnen, stockte aber immer wieder. Zeitweise verfiel die Baustelle, was ihr den Namen “Hurva” (Ruine) einbrachte. Erst 1856, mit finanzieller Unterstützung durch die Familie Rothschild und weiterer Gönner (darunter König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen), wurde der imposante Bau beendet. Die Hurva-Synagoge, offizieller Name Beit Jaakov (Haus Jakob), war das erste Bauwerk dieser Art mit einer großen Kuppel. Die im neobyzantinischen Stil errichtete Synagoge war im Unabhängigkeitskrieg 1948 eine wichtige Stellung der jüdischen Hagana. Die Jordanische “Arabische Legion” konnte jedoch in das Bauwerk eindringen und es erobern. Kurz darauf sprengten die Jordanier den gesamten Komplex. Nach 1967 hatte die Ruine die Funktion eines Mahnmals und man nannte sie “das Fenster des Himmels”, 2005 aber begann man mit dem Wiederaufbau, der 2010 schließlich abgeschlossen wurde. Auch an der nahegelegenen Ha – Tamid Street feiern zwei Jungen gerade Bar Mizwa mit ihren Verwandten.
Ein Stockwerk tiefer befinden wir uns wenige Minuten später auf einer 1900 Jahre alten römischen Straße, die die Römer nach der Niederschlagung des Bar Kochbar-Aufstandes 135 nach Christus in der umbenannten Stadt Aelia Capitolina erbaut hatten.
Weiter geht es durch die Gassen, Yalon legt ein ganz schönes Tempo vor. Am Aussichtspunkt an der Klagemauer machen wir Fotos. Dann sind wir in der Chain-Gate-Street (Kettentorstraße) und kurz darauf im muslimischen oder arabischen Viertel, hier im Suq El – Qattanin.
In den Gassen ruft ein älterer Jude mit Kippa einige Kinder zur Ordnung. Als er mir dabei den Rücken zuwendet, sehe ich, dass er eine Pistole im Gürtel trägt. Ich spreche Sven darauf an, er erklärt mir, dass man aus Sicherheitsgründen beispielsweise bei Klassenfahrten stets einen Bewaffneten und einen ausgebildeten Sanitäter mitnimmt. Einen solchen “Lehrer” werden wir da wohl gesehen haben.
Inzwischen befinden wir uns auf der El Wad Road (auch: Al Watt-Street), die nach rechts durchgehend zum Damaskustor führt. Yalon biegt noch einmal ab. Wir sind nun schon auf der Via Dolorosa, dem Leidensweg Christi. Singende christliche Gruppen wandeln hier verzückt und andächtig hinter Kreuzsymbolen her. Wir sehen Jesu Gefängnis (“Prison of Christ”), als wir in der engen Gasse einer größeren Prozession ausweichen. Es geht tief hinunter in das Gefängnis, das man in einen Felsen gehauen hat. Hier herrscht eine feuchte Hitze und es gibt eine Einzelzelle mit einem Mosaikaltar. Ob Jesus hier wirklich inhaftiert war? Wir sehen auch den Ausgang des Klagemauertunnels, den wir gestern Abend nicht mehr benutzen konnten.
Gelangen dann in den Bereich der früheren Festung Antonia nahe dem Tempelberg (heute die El Omarieh-Schule). Hier beginnt die “Via Dolorosa“, der Leidensweg Christi, der zum Berg Golgatha, da wo heute die Grabeskirche steht, führte. Dieser Weg mit den vierzehn Kreuzwegstationen wurde erst im 16. Jahrhundert angelegt.
Die Antoniusfestung war ursprünglich ein Palast des Königs Herodes und nach dessen Freund Markus Antonius benannt. Zur Zeit als Pontius Pilatus 26 nach Christus hier Statthalter von Judäa wurde, waren die vier gewaltigen Türme zum Symbol der römischen Herrschaft im Land geworden.
Yalon erklärt uns, dass das damalige Niveau der Stadt tiefer als heute lag. Die Anglikaner beten übrigens oft im sogenannten Gartengrab, das General Gordon von Khartum 1883 in der Umgebung entdeckt hatte. Die Katholiken beten nach wie vor in der Grabeskirche. Jeden Freitag gibt es hier um 15.00 Uhr eine katholische Prozession über alle 14 Stationen. Wir folgen den Punkten, die in englischer Sprache gut ausgeschildert sind. So sehen wir die Verurteilungskirche und folgen den Stationen auf der Via Dolorosa bis zur Grabeskirche. Auf diese Weise verlassen wir auch das arabische Viertel und gelangen in das christliche Viertel der Altstadt.
Nach dem Krimkrieg, in dem die hier herrschenden Osmanen von Briten und Franzosen gegen Russland unterstützt worden waren (1853 – 1856), bekamen Engländer und Franzosen vom Sultan die Erlaubnis, in Jerusalem präsent zu sein. Dabei ging es machtpolitisch auch darum, den russischen Einfluss über die griechisch-orthodoxe Kirche im Heiligen Land einzudämmen.
Wir passieren auf dem Weg zur Grabeskirche auch das “Austrian Hospice”, das österreichische Hospiz, praktisch schräg gegenüber der 3. Kreuzwegstation gelegen. Es sieht von außen unscheinbar aus, aber Sven schwärmt von dem tollen Garten, in dem man, unter den Augen der unvergessenen Kaiserin “Sisi”, österreichische Spezialitäten, wie Sacher-Torte, Kaiserschmarrn, aber auch leckere Gerichte genießen kann.
Die 9. Kreuzwegstation (“Jesus stürzt das dritte Mal unter dem Kreuz”) ist die letzte, außerhalb der Grabeskirche. Zunächst gelangen wir auf das Dach des verschachtelt wirkenden Gebäudes mit einer großen und einer kleineren Kuppel. Dazu gehören ein massiver festungsähnlicher Turm und ein schlankerer Glockenturm. Die Grabeskirche unter uns geht mehrere Stockwerke tiefer. Links sehen wir ein ziemlich baufälliges Kloster der Eritreer. Eine komplizierte Rechtslage verhindert oft notwendige Bausicherungsmaßnahmen.
Die Grabeskirche (“Church of tue Holy Sepulcher”) wird von den Orthodoxen Auferstehungskirche (“Anastasis” bedeutet Auferstehung) genannt, die damit einen anderen Schwerpunkt setzen.
Nach antiken Angaben soll Helena, die Mutter Konstantins des Großen, die Stelle der römischen Schädelstätte gefunden haben, den Berg Golgatha, der zur Zeit Jesu außerhalb der Stadtmauern lag. Sie beauftragte den Bischof Macarius, über dem Grab Jesu eine Basilika zu errichten. Hierbei wurde der gesamte umgebende Fels abgetragen und nur der Teil des Stein blieb stehen, in dem sich das Christusgrab befand. Im September 335 wurde dieser Kirchenbau geweiht. Im Jahre 614 durch die Perser unter dem Sassanidenherrscher Chosrau II. durch Feuer beschädigt, wurde die Basilika 1009 auf Befehl des Kalifen al – Hakim mit dem noch weitgehend intakten Felsengrab zerstört. Nach der blutigen Eroberung Jerusalems durch die Kreuzritter 1099 wurde der Bereich östlich der Rotunde 1160 – 1170 durch den Anbau der heute noch bestehenden Kirche umgestaltet. 1767 erteilte die osmanische “Hohe Pforte” einen “Ferman”, der die Kirche zwischen den Parteien aufteilte. Der Streit um die Schutzherrschaft über die Kirche des Heiligen Grabes war vordergründig auch ein Anlass des Krimkrieges.
Heute ist die Grabeskirche in der Hand von sechs christlichen Konfessionen. Anfangs Bestandteil der griechisch-orthodoxen, römisch-katholischen (vertreten durch die Franziskaner) und Armenischen Apostolischen Kirche, kamen im 19. Jahrhundert die Syrisch-orthodoxe Kirche von Antiochien, die Kopten und die Äthiopisch-Orthodoxe Tewahedo-Kirche dazu. Die Äthiopier leben als kleine Gruppe auf einem Dach der Kirche! Die Evangelische Kirche ist nicht vertreten. Wegen des beschämenden Streits der christlichen Kirchen untereinander, verwahrt die muslimische Familie Nusseibeh seit Jahrhunderten die Schlüssel der Kirchentore und die ebenfalls muslimische Familie Joudeh öffnet und schließt täglich die Pforten. Beide Familien treten, bei bisher leider oft geschehenen Streitigkeiten, als Schlichter auf. Die israelischen Behörden beließen diese festgesetzte Aufteilung bei Übernahme Ost-Jerusalems 1967.
Das Heilige Grab (Aedicula) wird von einer 1997 renovierten Rotunde umgeben. Die Grabeskapelle bildet die 14. Kreuzwegstation. Überbaut ist diese Station im Stile eines türkischen Kiosks. Seit einem Erdbeben verhindern stählerne Stützen den Einsturz der eigentlichen Grabeskapelle.
Am Salbungsstein beim Eingang der Kirche soll Jesu Leichnam nach der Kreuzabnahme für die Bestattung vorbereitet worden sein (Kreuzwegstation).
Rechts des Eingangs befindet sich die relevanten Reste des Kalvarienbergs oder des Golgatha-Felsens – die Stelle, an der Jesus am Kreuz gestorben ist. Hier stehen der römisch-katholische Kreuznagelungsaltar (11. Kreuzwegstation) und der griechisch-orthodoxe Kreuzigungsaltar (12. Station des Kreuzweges).
Unterhalb des Kalvarienbergs befindet sich die griechisch-orthodoxe Adamskapelle, dort soll der Schädel Adams gelegen haben. Das vergossene Blut Jesu soll nach christlicher Tradition durch Felsritzen auf den Schädel geflossen sein und Adam auf diese Weise von der Erbsünde befreit haben.
Im Zentrum des Sakralbaus, von der Rotunde her zugänglich, liegt das Mittelschiff mit Altar. Es wird als “Katholikon” bezeichnet und ist unter der Kontrolle der griechisch-orthodoxen Kirche. Nach mittelalterlicher Auffassung befand sich hier der “Nabel der Welt”.
Auf tieferem Niveau befindet sich im Untergeschoss die armenisch-orthodoxe Helenakapelle und die römisch-katholische Kreuzauffindungskapelle in einer in den Felsen geschlagenen Zisterne.
Zu Ostern wird hier die “Zeremonie des Heiligen Feuers” mit mehr als 10.000 Gläubigen zelebriert.
Um 13.50 Uhr sind wir in der Grabeskirche. Mehrere hundert Menschen aber ebenso. Es gibt hier die reich ausgestatteten Stätten der Armenier, Kopten und Syrer neben dem byzantinischen Prunk in Silber und Gold der griechisch-orthodoxen Kirche und dem eher italienischen Stil der Katholiken.
Wir haben uns gleich rechts gehalten und gehen die Treppe hinauf auf den Kalvarienberg, die Reste des Golgatha-Felsens. Vor einem reichgeschmückten griechisch-orthodoxen Altar mit den lebensgroßen Figuren der Maria und des Johannes unter dem Gekreuzigen, befindet sich die silberne Platte, die die Stelle markiert, wo Jesu gekreuzigt wurde. Eine Menschenschlange defiliert an der Platte vorbei, berührt oder küsst sie. Rechts am Altar zeigt man den Spalt im Felsen, der durch das Erdbeben während der Kreuzigung hervorgerufen wurde und durch den das Blut Christi hinunter auf den Schädel Adams (ein Stockwerk tiefer) getropft sein soll.
Beim Weitergehen haben wir vom “Balkon” aus einen guten Ausblick auf den “im Erdgeschoss” im Eingangsbereich liegenden und von Menschen umlagerten Salbungsstein (Foto). Wenige Minuten später stehen wir an der Stelle, wo Christus nach der Kreuzabnahme auf diesem Stein gesalbt worden ist, um begraben zu werden. Ein Mosaik an der Wand illustriert den Vorgang plastisch. Der Stein ist in Marmor eingefasst, über ihm hängen die silbernen Öllampen, die es hier überall gibt. Rechts passieren wir die Helena-Krypta, die tiefer liegt.
Die große Rotunde beherrschend, befindet sich hier der mit Marmor umkleidete “Kiosk”, in dem sich die beiden Kammern befinden, die als Grab Jesu bezeichnet werden. Riesige Kerzen und Öllampen geben dem Ort eine eigenartige Faszination. Ein griechisch-orthodoxer Priester füllt, auf einer Aluminiumleiter in zwei Metern Höhe stehend, Öl in den Lampen am Eingang zum Heiligen Grab auf. Hier steht eine große Schlange von Menschen, die die Grabstätte besuchen möchten. Weihrauch erfüllt die Luft. Menschengewühl aller Nationen umgibt uns. Lange Schlangen warten auf Einlass.
Gegenüber sehen wir uns stattdessen das “Katholicon” an, es stammt aus dem 12. Jahrhundert und bildet den Hauptkörper der Basilika. Hier sehen wir die Iconostasis, die verschwenderisch ausgeschmückte Abtrennung, die den Altar von der Gemeinde trennt. Das Ganze wird von einer Kuppel überragt. Für viele Gläubigen und vor allem in der Kunst des Mittelalters ist diese Stelle der “Nabel der Welt”. In der Realität beugt sich eine schwarz gekleidete Frau vor dem rot-goldenen Thronsessel über ein tischähnliches Möbelstück, das sie reinigt, gleichzeitig spricht sie aber auch in ihr Handy. Wir sind im 21. Jahrhundert angekommen! Ich fotografiere die Szene.
Nach einer guten halben Stunde verlassen wir mit einem Stoßseufzer der Erleichterung die überfüllte Grabeskirche.
Von hier aus ist es gar nicht weit zu einem von Sven empfohlenen Restaurant “Panoramic Golden City” mit Dachgarten, von dem aus man einen schönen Blick über die Dächer der Stadt hat. Er hat nicht zuviel versprochen. Auf dem Dachgarten sitzen wir bei 30 Grad Celsius unter einer Markise und können Fotos in die Umgebung machen.
Zunächst als ist Orientierungspunkt die goldene Kuppel des Felsendoms sichtbar. Ganz nahe sind wir auch an der Erlöserkirche (“Church of the Redeemer”), ein evangelisch-lutherisches Gotteshaus, das 1893 – 1898 von dem deutschen Architekten Paul Ferdinand Groth auf den Grundmauern der Kreuzfahrerkirche Sankt Maria Latina erbaut wurde. Innen ist diese Kirche heute in nüchternem Weiß gehalten. Bei ihrer feierlichen Einweihung am Reformationstag des Jahres 1898 war Kaiser Wilhelm II. mit seiner Frau zugegen. Das Grundstück hatte der Vater Wilhelms II., Kronprinz Friedrich, 1869 auf seiner Durchreise zur Eröffnung des Sueskanals am Ostrand des Muristans für Preußen erworben. Hier gibt es heute auch eine deutsche Gemeinde.
Die an der Erlöserkirche vorbeilaufende ungewöhnlich breite Muristan-Road hieß früher übrigens preußisch langatmig: Kronprinz-Friedrich-Wilhelm-Straße.
Man kann von hier aus auf den Brunnen des Muristan-Basars (Suq Aftimos) sehen, an dem sich vier Gassen kreuzen. Was für ein Ausblick. Erst ruft der Muezzin zum Gebet, dann läuten um 14.30 Uhr die Glocken der Erlöserkirche. Danach meldet sich der Muezzin wieder.
Nach einer schönen “Mittagspause” mit interessanter Aussicht haben wir nun die restliche Zeit des Nachmittags zur freien Verfügung, nächster Termin neben dem Abendessen vorher ist um 19.30 Uhr im Hotel der Besuch von Arye Sharuz Shalicar, dem Sprecher der israelischen Armee.
Wir passieren also die Muristan-Road mit Erlöserkirche, laufen wieder etwas zurück und gelangen zum Johanniter-Ehrenmal von 1882. Spazieren dann in Ruhe durch den arabischen Markt (Suq), wo es allerhand zu sehen gibt, die Farben und Düfte sind schon faszinierend für uns. Haben uns einige wenige markante Punkte des Weges im Markt gemerkt, um uns zurecht zu finden. Zuletzt kommen wir auf der nahe dem Jaffa-Tor beginnenden Omar ibn el-Khattab Street aus.
Da wir vorhaben, morgen am letzten Vormittag auf den Tempelberg zu gehen, wollen wir uns noch ansehen, an welcher Stelle man sich dort einfinden muss und den Weg dorthin erkunden. Also spazieren wir zurück zur Klagemauer, die man korrekter Westmauer nennen sollte. Diesen Weg kennen wir ja bereits. Vor Betreten des Bereichs passieren wir problemlos den Checkpoint, bei dem unser mitgeführter Rucksack durchleuchtet wird. Zwei israelische Grenzpolizisten nahe der Westmauer, ihre Sturmgewehre lässig über die Schulter gehängt, erklären uns nur widerwillig in Englisch, wo die Stelle ist, an der man als Christ wartet, um auf den Tempelberg zu gelangen.
Sehr freundlich dagegen ist ein weiterer Sicherheitsbeamter an der Ausgangsschleuse des Westmauerbezirks, der Jossi heißt, und uns genau in englischer Sprache erklärt, dass wir uns morgen unweit “seiner Schleuse” an einer unscheinbaren Stelle einfinden müssen. Ab 7.30 Uhr sei bis 10.00 Uhr (und dann noch einmal ab 12.00 Uhr) für Christen geöffnet. Er erklärt uns auch, dass der Weg, den wir gekommen seien, wirklich der kürzeste zum Jaffa-Tor sei. Er beendet seine Erläuterungen lächelnd mit der hier typischen Bemerkung: “You are welcome!”.
Wir flanieren durch die Chain-Gate-Street weiter, spazieren durch den Suq El – Bashoura und die Plugat Hakotel-Street. Zuletzt laufen wir über die David-Street zurück zum Jaffa-Tor.
Hier legen wir noch einmal eine Rast ein, wie auch einige britische Touristen. Über die Mamilla Avenue gelangen wir zum Hotel Eyal zurück, treffen 17.15 Uhr dort ein. Wir sind viel gelaufen und packen bereits die ersten Sachen in die Koffer ein. Morgen müssen wir leider wieder nach Hause, wollen aber vorher zum Tempelberg, das steht für uns nun fest.
Beim Abendessen sprechen wir mit den anderen Teilnehmern unserer Gruppe. Da wir Morgen früh los wollen, ich denke dass 6.30 Uhr die ideale Zeit ist, bedeutet dies, zunächst auf das Frühstück zu verzichten. Der Tempelberg ist uns wichtiger. Wollen früh dort sein, weil wir spätestens um 11.00 Uhr zurück im Hotel zur Abfahrt bereit sein müssen.
So findet sich nur eine Dame aus Berlin bereit, uns zu begleiten.
In Jerusalem hat sich auch ein Vorfall ereignet: ein Extremist (Palästinenser?) ist mit dem Auto in eine Bushaltestelle hinein gefahren, hat eine israelische Mutter mit Kind getötet und weitere Personen verletzt. Die aktuellen Ermittlungen laufen noch. Bekannt hat sich keine Terror-Organisation zu der Tat.
Unsere nächste landestypische Begegnung erfolgt um 19.30 Uhr im 1. Stock mit Major Arye Sharuz Shalicar, Pressesprecher des israelischen Heeres. Dieser Mann steht nun in Armeeuniform mit umgehängtem Sturmgewehr vor uns.
Was wissen wir überhaupt über die israelische Armee, die aus den drei Teilstreitkräften Heer, Luftwaffe und Marine besteht?
Die israelische Armee:
Der Militärdienst ist hier der “Kitt, der die Gesellschaft insgesamt zusammenhält“. Männer haben drei Jahre Wehrpflicht, Frauen 21 Monate. Tscherkessen, Alawiten und Araber sind von der Wehrpflicht ausgenommen, Beduinen dürfen zum Wehrdienst, Israelis und Drusen müssen ihn ableisten. In Israel dauert die Grundausbildung vier Monate. Die israelische Armee verfügt heute über 176.500 Mann regulärer Truppen und hat 565.000 Reservisten sofort verfügbar, falls erforderlich. Reservisten (Reservedienst: Miluim) vertreten reguläre Einheiten regelmäßig, damit diese dann in weiterführende Ausbildung gehen können. Reservisten sind im Dienst gleichberechtigt und leisten auch Kriegsdienst. Sie sollen im Alarmfall innerhalb von 24 Stunden mit ihren Einheiten an jedem beliebigen Frontabschnitt eingetroffen sein. Sie dienen einen Monat im Jahr und im Mobilmachungsfall, man nennt sie auch “Soldaten mit elf Monaten Urlaub”. Frauen leisten bis zur Vollendung des 24. Lebensjahres Reservedienst.
Man spricht sich in der Armee mit “Du” an. Bis zur Vollendung des 42. Lebensjahres dient man in einer israelischen Kampfeinheit, Offiziere bis zur Vollendung des 51. Lebensjahres. Soldaten nehmen ihre Waffe während der Dienstzeit stets mit nach Hause. Es gibt genaue Vorschriften über die Aufbewahrung von Waffen und Munition. Das Verhältnis zur Waffe ist hier ein anderes, als wir es in Deutschland gewöhnt sind. Es ist durchaus normal, das Schnellfeuergewehr auch beim Besuch von Restaurants mitzunehmen.
Es gibt eine große Erinnerungskultur für gefallene Soldaten und Polizisten. Ihr Opfer für den Staat ist nicht vergessen.
Das Interessante an Aryes Lebenslauf ist die Tatsache, dass er als Sohn persischer Juden 1977 in Göttingen geboren worden war. Er spricht also fließend deutsch. Die jüdische Religion habe er damals nie ausgeübt. Nach dem Umzug seiner Familie 1990 nach Berlin-Wedding, mit hohem muslimischen Bevölkerungsanteil, galt er als Jude urplötzlich als Außenseiter und wurde von da an großen Anfeindungen ausgesetzt. Wie er uns erzählt, habe er sich einer libanesischen Gang angeschlossen, die ihn schützte. Als Jugendlicher war er als Graffiti-Sprüher in der Gruppierung “ASP” (“Black Panthers”) aktiv, trat als Rapper unter dem Pseudonym “Boss Aro” auf und plante seine eigene Hip-Hop-LP, zu der es dann aber nicht kam. Er habe auch eine Haft verbüßt, räumt er ein. Nach dem Abitur leistete er bei der Bundeswehr als Sanitäter seinen Wehrdienst und studierte an der FU Berlin Politikwissenschaft, machte weitere Studien zum Judentum und zum Islam. 2001 wanderte Arye nach Israel aus und absolvierte hier ein Politik-Studium an der Hebräischen Universität Jerusalem mit Bachelor-Abschluss 2006 und Master in European Studies im Jahre 2009. Er arbeitete auch für das deutsche ARD-Studio Tel Aviv und ist seit 2009 Pressesprecher der israelischen Armee speziell für Europa und Deutschland. Der Mann spricht arabisch, türkisch, persisch, hebräisch und deutsch. Was für ein Lebenslauf! Einen Teil seiner Geschichte hat er in dem Buch: “Ein nasser Hund ist immer noch besser als ein trockener Jude” verarbeitet. Es sei die Geschichte eines Deutsch-Iraners, der Israeli wurde.
Arye erzählt aus seinem Leben, aber auch von den Herausforderungen, vor denen seine Wahl-Heimat Israel steht. Er erläutert uns die Bedrohungen durch Terror und neue Waffensysteme.
Zu dem Vorfall mit der Bushaltestelle in Jerusalem, bei der eine israelische Frau mit ihrem Kind ermordet, weitere Personen verletzt wurden, erklärt Arye resignierend, habe niemand von der arabischen Seite die Möglichkeit eines Anschlags auch nur im Entferntesten in Betracht gezogen!
Westliche Medienvertreter zeigten oft linksliberale Tendenzen in der Berichterstattung. Man solle sich aber in Europa nicht täuschen: der Terrorismus träfe zwar zuerst Israel, später aber vielleicht auch die europäischen Länder.
Aryes Vortrag und vor allem sein Pessimismus erschrecken uns. Es gäbe “ewigen Stress” und Frieden sei leider noch lange nicht in Sicht. Es könne jeden Tag, ja jede Stunde “losgehen”! Mit freundlichen Wünschen und Abschiedsfotos endet sein Vortrag gegen 21.10 Uhr. Wieder haben wir eine ganz andere Meinung gehört und fühlen uns einigermaßen verwirrt. Alles Gute, Arye!
Um 21.30 Uhr folgt unsere vierzigminütige Abschlussbesprechung. Es war unser letzter ganzer Tag auf der Reise. Der Dank geht an Sven und Yalon für die tolle Organisation und die vielen Informationen, die wir hier bekommen haben. Sind einigermaßen “verwirrt”. Das Bild das wie hier gewonnen haben, ist vielfältig. Manches muss erst noch “sacken”.
Die meisten von uns würden gerne noch länger hierbleiben, so wie es Verena, Wilhelm und Sven ja machen. Angesichts der Vorfälle von Köln mit Zusammenstößen von Salafisten, Hooligans und Polizisten mit vielen Verletzten, ist es zuhause sicher gefährlicher als hier.
Nützt ja alles nichts. Wollen uns noch zum Abschluss-Abend im nahegelegenen “Irish Pub” treffen.
Um 22.25 Uhr sind wir also im “Irish Pub”, eine Querstraße weiter. Wir werden am Eingang von zwei Türstehern nach Waffen durchsucht! In dem abgedunkelten Lokal läuft Fußball. Die Kellnerinnen kennen die Vorteile von Servier-Tabletts noch nicht und tragen die Biergläser mit den Armen verschränkt vor der Brust, was ziemlich unprofessionell wirkt. Beim Bestellen wollen sie uns unbedingt ihr “Guinness” aufschwatzen.
Die Teilnehmergruppe sitzt unglücklich in verschiedenen Grüppchen an den Tischen, es sind auch nicht alle mitgekommen. Unterhalten uns über den abgelaufenen Tag und unsere Erlebnisse.
Beenden den Abend gegen Mitternacht, schließlich wollen wir morgen um 5.30 Uhr aufstehen, um noch zum Tempelberg zu gehen.
Dienstag, 28. Oktober 2014 (Tempelberg und Große Synagoge, Tel Aviv Flughafen).
Wie abgesprochen finden wir uns um 6.30 Uhr in der Lobby des Hotels Eyal ein und gehen zu dritt, los in Richtung Tempelberg. Jaffa-Tor, Omar ibn el-Khattab Street, arabischer Suq. Wir sind bereits nach fünfundzwanzig Minuten vor dem noch verschlossenen Eingang, etwa 20 Leute warten hier bereits. Wir stehen seitlich vor der Westmauer und können auf den “Archäologischen Garten”, noch innerhalb der Stadtmauern, südlich des Tempelberges blicken und hinter uns befindet sich das Dung-Tor (hebräisch: Ha´ Ashpot) mit seinen Zinnen und der schönen abgerundeten Durchfahrt. Nach einer Viertelstunde ist die Schlange der auf Einlass wartenden Besucher doppelt so lang. Nach 45 Minuten, als wir bereits eingelassen werden, stehen die Menschen wartend bis zum Dung-Tor. Eine singende Gruppe von zwanzig jüdischen Schülern mit Kippas und vielen Israel – Fahnen passiert unsere Menschenansammlung. Rabbis gehen eiligen Schrittes zur Westmauer.
Der Tempelberg (das edle Heiligtum: Haram Al-Sharif) ist heute dem islamischen Waqf, der autonomen muslimischen Verwaltung, unterstellt. Diese Verwaltung bestimmt, wann geöffnet wird. Sie kann auch unliebsame Besucher vom Tempelberg verweisen oder den Zugang für alle Christen ganz sperren. Meist wird man gegen 10.00 Uhr aufgefordert, das Gelände zu verlassen.
Österreichische Touristen hinter uns unterhalten sich darüber, dass sich gewöhnlich einmal im Monat 1500 radikale Israelis nachts mit Thora-Rollen und Fahnen ausgelassen um den Tempelberg herum und durch das arabische Viertel bewegen. Für die Araber sei das eine Provokation, die besonders in deren Fastenmonat Ramadan politisch brisant ist. Im Ramadan selbst, beteten jeden Freitag mehr als 220.000 Muslime auf dem Tempelberg. Sie alle gingen sozusagen gleichzeitig nach dem Gebet nach Hause, so dass sich Zehntausende in den engen Gassen drängten.
Man öffnet um 7.37 Uhr. Die Besucher müssen durch eine Schleuse mit zwei nebeneinander angeordneten Metalldetektoren, wie wir sie auch am Zugang zur Westmauer erlebt haben. Jedes religiöse Utensil, vom Kreuzanhänger bis zum Gebetbuch, muss hier abgegeben werden. Alles klappt problemlos und schnell sind wir auf dem ansteigenden “Holzweg”, dem auf Stützen stehenden Zugang für Christen, der nahe der Al Aksa-Moschee auf den Berg Moriah mündet. Durch das südwestliche Maghrebinertor, dem einzigen Zugang für Nichtmuslime, gelangen wir auf den Tempelberg, der die Ausmaße von 500 x 300 Metern hat. Rechts von uns befindet sich das Islamische Museum an der Südwestecke. Auf dem ganzen Gelände stand einst der Tempel Salomons.
Auf einer Esplanade, einem sich noch einmal um etwa vier Meter von der restlichen Fläche abhebenden Plateau, steht heute der Felsendom. Über Treppen gelangt man auf diese erhöhte Ebene und muss dabei Arkaden und Bögen passieren, in die Allah, nach muslimischer Überzeugung am Tag des Jüngsten Gerichts die Waagschalen hängen wird, um die Seele eines jedes Menschen zu wiegen.
Wenige Muslime sind hier, es gibt aber auch die für uns beruhigende Präsenz israelischer Polizei-Streifen. Da wir mit der ersten Gruppe hierher gelangt sind, können wir schöne Fotos machen.
Über dem Fels, auf dem nach jüdischer Überlieferung Abraham seinen Sohn Isaak opfern wollte, und auf dem zur Zeit des Tempels die Bundeslade im “Allerheiligsten” stand, erbauten die Umayyaden 691 – 692 den ältesten und schönsten Sakralbau des Islam, den Felsendom mit der goldenen Kuppel, die einen Durchmesser von 26 Metern hat. Er gilt ihnen nicht als Moschee, sondern als Schrein. Nach dem Koran, Sure 17 (Vers 1) ist hier der Prophet Mohammed mit seinem Hengst Burak zu seiner Nachtreise in den Himmel geritten, wo er den jüdischen Propheten und Jesus begegnete. Das mit hellblau glasierten Fliesen belegte Bauwerk hat eine achteckige Form. Im unteren Bereich wurde es mit Marmor verkleidet, der obere Teil wurde im 16. Jahrhundert mit Fayencen geschmückt, die nur noch vom Gold der Kuppel übertroffen werden. Diese Vergoldung ist ein Geschenk des jordanischen Königs Hussein. Darunter befinden sich arabische Verse aus dem Koran. Die vier Tore der Moschee sind mit Kupfer beschlagen, eins ist offen, man kann aber nicht hineinsehen, weil eine Zwischentür Einblicke verhindert. Ein Tempelwächter beobachtet uns. Innen gibt es einen doppelten Umgang mit 12 Pfeilern und 28 Säulen um den heiligen Felsen, der dem Bauwerk seinen Namen gibt. 36 Glasfenster lassen Licht in das Achteck.
Die Muslime glauben, dass der Fels die erste Stelle war, die wieder aus der Sintflut auftauchte. Schon das kürzeste Gebet hier garantiert Gläubigen einen Platz im Paradies. Am Tag des Jüngsten Gerichts soll die Heilige Kaaba von Mekka in einer triumphalen Prozession zum Felsendom geführt werden. Gläubige Muslime ziehen siebenmal um den Fels. Am Tage des Gerichts sollen sich, nach dem Ertönen einer Trompete, die Tore des Himmels hier öffnen.
Auf der Felsendom-Esplanade befinden sich noch weitere kleinere Zierbauten aus verschiedenen Epochen wie der Himmelfahrtsdom, die Gebetsnische des Propheten, die Sommerkanzel und der Josephsdom.
Ein Tempelwächter geht auf eine weitere Gruppe von drei Touristen zu, die offenbar irgendetwas fotografiert haben, das man nicht fotografieren darf. Man kann erkennen, dass er die Löschung des Fotos auf der digitalen Kamera überwacht.
Auf der Ostseite des Felsendoms steht der Kettendom (arabisch Qubbath es – Silsileh), eine Verkleinerung des Felsendoms, in offener Bauweise, so dass alle Säulen sichtbar sind. Das Bauwerk ist nach Mekka ausgerichtet. Hier lassen wir uns fotografieren.
Ein Grund für unseren Besuch auf dem Berg Moriah mit dem Tempel-Plateau war auch die Aussicht, die man von dort aus hat. So können wir von hier aus sehr gut zum Ölberg und auf den Garten Gethsemane blicken.
Einen besonderen Blickfang bildet hierbei die schöne russische Kirche der Heiligen Maria Magdalena, von Zar Alexander III. im 19. Jahrhundert für die Schutzheilige der Romanovs in Auftrag gegeben. Mit ihren im Sonnenlicht funkelnden goldenen Zwiebeltürmen gibt sie ein schönes Bild ab. Nicht weit davon entfernt befindet sich die schlichte Kirche Dominus Flevit, (übersetzt: “Der Herr weint”) in Tropfenform 1955 von dem Italiener Antonio Berluzzi erbaut. Der Name bezieht sich auf die Stelle in Lukas 19:41-42: “Und als er nahe hinzukam, sah er die Stadt an und weinte über sie und sprach: `Wenn doch auch du erkenntest zu dieser Zeit, was zu deinem Frieden dient! Aber nun ist es vor deinen Augen verborgen.´ Dieses Wort aus Lukas erinnert durchaus an die verfahrene Politik von heute.
Das Kidron-Tal ist durch die Zinnen der Tempelmauer von hier aus nicht direkt einsehbar. Wir verlassen das Felsendom-Plateau, das auf der niedrigeren Ebene von Grünanlagen umgeben ist, und bewegen uns auf die Al Aksa-Moschee zu. Auf dem Gelände stehen mehrere Brunnen, darunter das runde El Kas – Becken, zur rituellen Waschung vor dem Moscheebesuch.
706 begannen die Umayaden mit dem Bau der Al-Aqsa-Moschee, die im Jahre 717 eingeweiht wurde. Neben Mekka und Medina gehört Jerusalem seitdem für die Muslime zu ihrer dritten Heiligen Stadt. Immer wieder zerstörten Erdbeben den Bau an der Südwestseite des Tempelbergs, so dass er 1033 neu aufgebaut werden musste. Die Gestalt der Moschee wird von der “heiligen Zahl Sieben” bestimmt und bildet eine geometrische Struktur. Das Bauwerk hat zwei Kuppeln und vier Minarette. Nach Eroberung Jerusalems durch die Kreuzfahrer wurde das Sakralgebäude zur Königsresidenz, später übergab man es an die Tempelritter. 1187, Saladin hatte gesiegt, wurde die Moschee wieder muslimisch. 1951 wurde König Abdullah von Transjordanien nach dem Betreten des Gebäudes erschossen. 1969 richtete ein australischer Extremist durch Feuer großen Schaden an. Heute darf die Moschee von Nichtmuslimen nur mit Sondergenehmigung der Waqf-Verwaltung betreten werden. Das Bauwerk ist 80 Meter lang und 55 Meter breit, besitzt nicht die Pracht des Felsendoms, gehört aber zu den wichtigen islamischen Bauten. Der Haupteingang an der Nordseite ist mit Arkaden unter sieben großen Bögen versehen. In der Moschee können 5000 Menschen gleichzeitig beten.
Erwähnenswert sind noch die unterirdischen Gewölbe, die man auch “Ställe Salomons” nennt, an der Südostecke des Tempelberges gelegen, wo die Muslime mit Baggern Ausgrabungen unternahmen, was zu Protesten der Israelis führte.
Wir verabschieden uns von einem freundlichen, englisch sprechenden Tempelwächter, mit dem wir an der Moschee ins Gespräch gekommen waren, er zeigt uns noch die Richtung zum Ausgang, denn nur am Tor der Baumwollhändler gelangen Nichtmuslime wieder vom Tempelberg hinunter ins Arabische Viertel. Es gibt insgesamt elf Tore zum Tempelberg.
Unten steht eine Doppelstreife der Israelischen Polizei. Frage sie nach dem schnellsten Weg zurück zum Jaffator. Beide sind sehr freundlich. Der Weg ist mit nur zwei Abzweigungen schnell beschrieben: geradeaus, einmal rechts, einmal links und dann in die David-Street. “You are welcome!” lautet der letzte Gruß der israelischen Polizisten. Es geht die Hashalshelet – Straße entlang, schon nach gut hundert Metern kennen wir uns wieder aus und der Rückweg ist problemlos und schnell bewältigt.
Wäre er! Wenn nicht die beiden Damen in einem Textilgeschäft des Basars noch stöbern müssten. Der Verkäufer ist begeistert. So wandern noch zwei weiße Spitzenblusen in die Taschen und beschwingt geht es dem Jaffa-Tor zu. Hier verlassen wir die Altstadt endgültig.
Schon um 09.15 Uhr sind wir wieder im Hotel und gehen gleich zum Frühstück. Von unseren Mitreisenden sind einige auch erst jetzt präsent und wir erzählen unsere Eindrücke vom Tempelberg.
Zurück aufs Zimmer, Packen, Ausschecken. Deaib kommt mit dem Bus bis zum Hotel zur Gepäckverladung. Um 11.12 Uhr fahren wir, draußen sind es noch 23 Grad Celsius. Kaum zehn Minuten später halten wir am Prima Kings Hotel und gehen wenige Meter zu Fuß zur Großen Synagoge an der King – Georg – Street in der westlichen Neustadt gelegen. Das monumentale Gebäude wurde 1982 mit 1400 Sitzplätzen für 850 Männer und 550 Frauen eingeweiht. Das Sakralbauwerk ist den Ermordeten des Holocaust und den Gefallenen des Staates Israel gewidmet. Es ist vom Architekten Alexander Friedmann in Anlehnung an den Tempel für 18 Millionen US-Dollar gebaut worden. Innen bieten große, farbenfrohe Glasfenster Szenen aus dem Alten Testament.
Hier erfahren wir von Yalon noch einmal Besonderheiten des Judentums, zum Beispiel, dass die Thora-Rolle auf dem höher gelegenen Mittelteil ausgelegt wird, dass man Habima nennt. Der Thorarollen-Schrank ist nach Osten ausgerichtet. Eine Synagoge ist stets Mittelpunkt des Judentums. Man legt Wert auf gute Sänger, beispielsweise war bereits Neil Diamond hier.
Um 11.55 Uhr geht es für uns endgültig auf den Weg in Richtung Flughafen Ben Gurion nach Tel Aviv. Wir sehen auf der Fahrt nach Westen die moderne Calabrava-Brücke, 2008 fertig gestellt, mit 66 Kabeln und 129 Metern Höhe eine auffallende Konstruktion, die von den Jerusalemern als “Davidsharfe”, “Segel” oder “Spinnennetz”, von Böswilligen auch “krummer Nagel” genannt wird. Lehitraut Jerusalem (Auf Wiedersehen).
Die Autobahn 1, die wir nun befahren, führt in einem weiten Bogen nach Nordwesten auf den Flughafen Tel Avivs, nördlich von Lod, zu. In Fahrtrichtung rechts erblickt man anspruchsvolle Brückenbauten. Wir passieren Orte wie Abu Gosh, Hur Adar, Shoresh und Beit Meir. Links passieren wir auf einem Hügel eine Polizei-Kaserne mit markanten Türmen und der Fahne sowie einer kugelförmigen Parabol-Antenne. Vorbei geht es an Anava und Lod. In Fahrtrichtung links erkennt man bereits die Raffinerieanlagen von Tel Aviv. Eine Viertelstunde später, um 12.45 Uhr, sind wir am Flughafen, es sind 29 Grad Celsius.
Verabschiedung von Deaib und Grüße an seine Familie. Alles Gute Deaib!
Yalon und Sven gehen noch mit ins Terminal.
Es erfolgt noch einmal eine Befragung vor der Gepäckaufgabe. Die Beamtin fragt uns, ob wir die Koffer die ganze Zeit über beaufsichtigt haben und ob wir für jemand Anderen etwas mitnähmen. Mit dem Gewicht sind wir im Limit.
Dann die Verabschiedung von Yalon und Sven. Yalon fährt von hier aus nach Rishon Le Zion zu seiner Familie und Sven bleibt noch eine Woche bei Deaibs, “seiner” Familie. Er hat es gut! Von dem Programm sind wir alle ganz begeistert, wir haben soviel gelernt und gesehen. Shalom Yalon, Danke Sven. Es war einfach toll. Die Gruppe teilt sich bereits auf, weil einige Teilnehmer um 15.40 Uhr über Istanbul nach Düsseldorf fliegen. Schon wieder Verabschiedung!
Bei der Passkontrolle bekommen wir neue Ausreise-Belege. Dann haben wir Zeit. In der rund angeordneten Lobby, von der die “Gates” abgehen, setzen wir uns zum Cappuccino und genießen die letzten Israel-Eindrücke. Frau Matthies erklärt uns, dass sie einen “Schrittzähler” an ihrem Smart-Phone während der Reise aktiviert hatte. Mit unserer Exkursion zum Tempelberg kommt sie auf knapp 53 Kilometer, die wir auf dieser Tour insgesamt zu Fuß zurückgelegt haben. Das hätten wir nicht gedacht. In Berlin sollen es aktuell 9 Grad Celsius sein, in Aachen 12 Grad.
Unser Flug OS 858 der Austrian Airlines nach Wien über Gate C 4 soll 16.10 Uhr starten. Es wird zehn Minuten später, aber wir sehen ein letztes Mal die schöne Küste von Tel Aviv. Laut Kapitän Wendlinger fliegen wir in ein Schlechtwettergebiet. Beim Flug über Budapest, um 18.15 Uhr, teilt der 1. Offizier uns mit, dass es in Wien aktuell 5 Grad Celsius kalt sei. Unsere Uhren haben wir bereits eine Stunde zurückgestellt auf die Wiener Ortszeit, es ist schon dunkel. Beim Landeanflug können wir aber unter uns noch das Riesenrad im Prater und die zum Teil angestrahlte Ringstraße gut erkennen. Landen um 18.45 Uhr sauber in der Donaumetropole. Hier müssen wir noch einmal umsteigen!
Die Handgepäckkontrolle finden wir “unmöglich”. Die Wiener sehen uns als “Non-Schengen-Flug” und kontrollieren entsprechend gründlich. Ich muss Uhr, Gürtel und Geldbörse ablegen, bekomme noch eine “Rückenmassage”. Wir verabschieden uns auch von Arwed, der von hier aus nach Stuttgart ins “Ländle” weiterfliegt.
20.05 Uhr gehen wir zum “Boarding” und eine Viertelstunde später sitzen wir im Airbus A 320 der Austrian Airlines, der uns nach Berlin-Tegel fliegt.
An der Spree landen wir um 21.45 Uhr. Per Bus geht es zum Abfertigungsgebäude. Beide Koffer eingetroffen, alles klar. Verabschieden uns von den Berlinern. Es war eine schöne Zeit – und sie ist wie immer, zu schnell vorüber.
Per Taxi in die Bleibtreustraße 34, wo man uns Zimmer 114 reserviert hatte. Am nächsten Tag fuhren wir von Berlin mit dem ICE 650, über Köln, zurück nach Hause, wo wir wohlbehalten gegen 17.00 Uhr eintrafen.
Fazit:
Zwei Tage nach unserem Besuch auf dem Tempelberg wurde dieser am 30. Oktober geschlossen, weil es erneut Unruhen gab, bei denen zwei Tote zu beklagen waren. Einen Tag später meldete man einen “Raketenbeschuss auf dem Golan”, zwei Grenzen seien geschlossen worden.
Die Ereignisse zeigen, wie brüchig allgemein dieser Friede ist, der oft nur als ein Waffenstillstand auf Zeit betrachtet wird. Warum schaffen es die Politiker nicht, sich an einen Tisch zu setzen? Land und Leute hätten es verdient.
Wir haben eine informations- und erlebnisreiche Bildungsreise hinter uns, die uns nach lange beschäftigen wird. Sahen viele Sehenswürdigkeiten, das Wichtigste aber waren die Menschen, die wir trafen. So verschieden sie alle waren, so verschieden sind hier die Regionen und die Individuen mit ihren Lebensläufen. Wir haben Deaib Ghadir, den Beduinen, schätzen und seine große Familie kennen gelernt. Yalon Graeber steht für einen Deutschen, der zum Israeli wurde; wir haben mit Gaadi & Ruben von Kfar Shmarjahu, die noch in den 1930er Jahren als Kinder der ersten Einwanderungswelle hierher kamen, gesprochen. Henry erklärte uns das Judentum, Yarden die Palmach-Gedenkstätte in Rehovot. In Jericho sprachen wir mit Amin Nabel M. Wasta von der Palästinensischen Polizei im Autonomiegebiet. Shlomo aus Nazareth erklärte uns die Probleme der dortigen Polizei. Josef Abas, ein Niederländer, der zum Israeli wurde, zeigt Flagge in Misgav Am an der libanesischen Grenze. Johnny Kassabri und Arik Cohn berichteten von den Problemen der Davidswache in der Jerusalemer Altstadt. In Beit Jala lernten wir die arabische Christin Faten Mukarker kennen, die als Gastarbeiterkind im Rheinland aufwuchs und zurück in ihre palästinensische Heimat ging. Sie brachte uns den Standpunkt der Palästinenser nahe. Ihr Sohn Kamal hofft, dass “Mauern nicht bleiben!”. Arye Shalicar schließlich, der ebenfalls in Deutschland aufwuchs, berichtete aus seiner Sicht der Dinge und über die Gefahren, die er als Armeeangehöriger über sein Land heraufziehen sieht.
Lösungen können wir auch nicht bieten! Von all den Bibelzitaten, mit denen ich beim Abfassen dieser Zeilen zu tun hatte, scheint dieses frappant auf die heutige Situation zu passen, auch wenn es aus der Zeit des 2. Tempels stammt:
“Und als er (Jesus) nahe hinzukam, sah er die Stadt (Jerusalem) an und weinte über sie und sprach: `Wenn doch auch du erkenntest zu dieser Zeit, was zu deinem Frieden dient! Aber nun ist es vor deinen Augen verborgen. Denn es werden über dich die Tage kommen, dass deine Feinde werden um dich und deine Kinder einen Wall aufwerfen, dich belagern und an allen Orten ängstigen; und werden dich schleifen und keinen Stein auf dem andern lassen, darum dass du nicht erkannt hast die Zeit, darin du heimgesucht bist.´ (Lukas 19:41-44)”.
Trotzdem hoffe ich, dass einige von uns sagen: “Nächstes Jahr in Jerusalem …!”
Edgar Albrecht